»Schade, du hättest ihnen alles erklären sollen.«
»Zu spät. Jetzt müssen wir dabei bleiben.«
Greg drückte seine Zigarette aus. »Dann geht es nicht.«
»Wieso?«
»Du glaubst doch nicht, daß ich deine Eltern anlügen werde?«
»Warum denn nicht?«
»Micky, nimm endlich Vernunft an … Ich kann nicht zu ihnen hingehen und sagen: Mir könnt ihr eure Tochter ruhig anvertrauen, ich werde schon auf sie aufpassen, wenn ich im gleichen Atemzug lüge?«
»Eltern wollen es nicht anders, Greg. Glaub es mir.«
»Egal. Ich kann es nicht.«
»Greg«, sagte Michaela und legte ihre Hand auf Seinen Arm. »Hast du mich eigentlich lieb?«
»Ja.«
»Dann ist ja alles gut. Wir werden uns also weiter treffen. Ich muß in Zukunft bloß vorsichtiger sein.«
»He«, erwiderte Greg, »so geht das nicht … Natürlich ist nichts dabei, wenn wir zusammen tanzen gehen. Im Grunde haben deine Eltern doch recht. Du bist noch zu jung für so was.«
»Auf einmal?«
»Gar nicht auf einmal. Ich habe mir das schon oft gedacht.«
»Aber gesagt hast du es mir bisher noch nie. Du hast jetzt ein fach Angst, sie könnten uns erwischen und mein Vater würde zu deinem Alten gehen oder zu deiner Bank, oder was weiß ich. Das ist alles.«
»Denk, was du willst«, Gregor stand auf. »Machen wir uns doch nichts vor, die Kiste ist verfahren. Das beste wird sein, wir lassen Gras darüber wachsen. In zwei Monaten oder drei sieht die Geschichte schon ganz anders aus.«
»Drei Monate? Greg, das halte ich nicht aus.«
»Du wirst, Micky«, lächelte er. »Wenn du dich richtig hinter deine Schularbeiten kniest, wirst du nicht einmal mehr Zeit haben, an mich zu denken.«
»Du bist gemein, Gregor … Oh, bist du gemein. Wenn ich deine Freundin gewesen wäre … so richtig deine Freundin, hättest du sicherlich nicht so zu mir gesprochen.«
Michaela stand hastig auf. Sie rannte zum Ausgang.
Sie verließ nicht nur das Lokal. Sie verließ Greg.
Sie war fertig mit ihm …
Als Michaela nach Hause kam, achtete sie nicht mehr darauf, ob die Haustür laut oder leise hinter ihr ins Schloß fiel. Sie war so verzweifelt, daß ihr alles gleichgültig geworden war. Sie erschrak nicht einmal, als sie in der Diele ihren Eltern, die zum Kaffeetrinken heruntergekommen waren, geradewegs in die Arme lief.
Isabellas Augen wurden dunkel vor Enttäuschung, als sie ihre Tochter sah: »Michaela, du hast uns doch versprochen …«
Erhard Schneider packte seine Tochter beim Handgelenk. »Wo bist du gewesen?«
»Ich habe mit Gregor Schluß gemacht.«
Sofort ließ Erhard Schneider sie los.
Isabella sagte erleichtert: »Michaela … Ich habe ja gewußt, daß du ein vernünftiges Mädchen bist.«
Sie wollte ihre Tochter in die Arme schließen. Doch Michaela wich vor ihr zurück, wandte sich ab und ging schnell die Treppe hinauf. Die Eltern hörten, wie die Tür ihres Zimmers hinter ihr ins Schloß flog. Sie hörten, wie Michaela den Schlüssel zweimal umdrehte.
»Michaela«, rief ihre Mutter und wollte ihr nach.
»Laß das, Isa«, sagte Erhard Schneider und legte seinen Arm um ihre Schulter. »Du siehst doch, sie ist ganz durcheinander … Wir müssen ihr jetzt Zeit lassen. Glaub mir, es wird alles gut werden.«
Noch nie in seinem Leben sollte sich Erhard Schneider so geirrt haben …
Zwar sah es in den nächsten Tagen ganz so aus, als wenn alles wieder in Ordnung gekommen wäre. Schneiders richteten es so ein, daß wenigstens Isabella jeden Abend frühzeitig nach Hause kam, damit sie sich um ihre Tochter kümmern konnte.
Michaela schien ganz verwandelt. Mit überraschender Energie stürzte sie sich in ihre Schulaufgaben. Das Benehmen den Eltern gegenüber war höflich, wenn auch etwas kühl. Sie schien Gregor vollständig vergessen zu haben.
Wenn Isabella vorsichtig versuchte, dieses Thema zu berühren, wich sie sofort aus.
»Das ist doch ganz uninteressant, Mutter.«
Sie kam jeden Tag von der Schule ohne Umweg nach Hause. Und wenn sie angerufen wurde, waren es Klassenkameradinnen, die ihre Aufgaben mit Michaela besprechen wollten Ihr Vater strahlte. Für ihn war die Schlacht bereits gewonnen.
Nur Isabella betrachtete das Betragen ihrer Tochter mit Besorgnis. Sie konnte ein Gefühl des Unbehagens nicht loswerden.
Michaelas Verschlossenheit erschreckte sie. Ihre Freudlosigkeit tat ihr weh.
Schließlich war sie es, die Michaela zuredete, ihre beiden Schulfreundinnen Stefanie und Heidi ins Luitpold-Kino zu begleiten. Als die drei Mädchen nach der Vorstellung ins Freie traten, gingen gerade die Straßenlaternen an. Tauwetter hatte eingesetzt, und das Schneewasser rauschte gurgelnd in die Gullys. Sie hatten keine rechte Lust, nach Hause zu gehen.
Die dunkle Stefanie war es, die zuerst das Auto sah, das wenige Meter von ihnen am Bordstein hielt. »Schaut mal«, rief sie, »schicke Karre, was?«
Michaela drehte sich um. Am Steuer des weißen Sportwagens saß Till Torsten.
Er hatte das Wagenfenster heruntergekurbelt und winkte ihr zu.
»Ein guter Bekannter«, sagte Michaela hastig zu ihren Freundinnen. »Ich muß los. Bis morgen, ihr beiden. Tschau …«
Ohne sich noch einmal umzusehen, lief sie auf den Wagen zu. »Schöner Bekannter«, sagte Heidrun neiderfüllt hinter ihr her. »Der könnte ja zweimal ihr Vater sein.«
»Onkel Till … du?« fragte Michaela den Mann am Steuer und stieg in den Wagen.
Till Torsten lächelte, langte an ihr vorbei und zog die Tür ins Schloß. »Wenn du ein nettes Mädchen bist, sagst du nie wieder Onkel zu mir.«
»Warum nicht?« fragte Michaela verständnislos. »Du bist doch mein Onkel.« Und mit plötzlichem Mißtrauen fügte sie hinzu: »Oder etwa nicht?«
»Natürlich … trotzdem mag ich es nicht von dir hören. Onkel steht mir nicht. Es macht alt.«
»Ach, deshalb«, sagte Michaela erleichtert. »Ich dachte schon …«
Sie schwieg und biß sich auf die Lippen. Fast hätte sie von ihrem Verdacht erzählt, daß sie nicht das wirkliche Kind ihrer Eltern wäre. »Warum kommst du uns denn nicht mehr besuchen?«
»Haben sie dir das nicht gesagt?« fragte Till Torsten und blickte sie forschend von der Seite an.
»Nein … sag mal, wohin fahren wir eigentlich?«
»Ich habe mir gedacht, wir gehen irgendwo eine Tasse Kaffee trinken.«
»Nein, das geht auf keinen Fall«, erwiderte Michaela sofort.
Till Torsten zeigte ihr nicht, daß er beleidigt war. »Also auch du willst nichts von mir wissen«, sagte er spöttisch. »Ich hätte es mir denken können.«
»Doch nicht deswegen, mir ist es doch ganz egal, weswegen du dich mit Paps zerstritten hast, er paßt in letzter Zeit höllisch scharf auf mich auf. Ich darf nirgends mehr hin. Nichts darf ich mehr.«
Er begriff sofort. »Was ausgefressen?«
»Meine Eltern tun so, als wenn ich wer weiß was angestellt hätte. Nur weil ich tanzen war«, sagte sie bitter. »Wozu haben sie mich dann erst in die Tanzstunde geschickt?«
»Mach dir nichts draus, Kleines. Alles geht vorüber. Aber das ist ein schlechter Trost.«
Michaela berührte seinen Arm. »Sag nicht Kleines zu mir, du willst ja auch nicht, daß ich …«
»Schon recht. Wie soll ich dich dann nennen?«
»Micky. So wie meine Freunde.«
»Gut, Micky, abgemacht.«
Till Torsten fuhr ruhig und sicher durch das Gewühl des abendlichen Verkehrs. Er nahm den Weg über die Friedensbrücke und am Friedensengel vorbei.
»Bitte«, sagte Michaela, »setz mich nicht gerade vor unserem Hause ab. Ein paar Straßen früher, damit meine Eltern es nicht merken.«
»Geht es wirklich nicht, daß du dich noch einmal von zu Hause wegschleichen kannst?« fragte er. Als er merkte, daß sie zögerte, setzte er rasch hinzu: »Warum sollten wir beide nicht einmal zusammen bummeln gehen? Es wäre wunderbar. Ich kenne die schicksten Lokale und die besten Kapellen …«
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