»Urban«, sagte sie, »ich habe nachgedacht, über uns beide und über das Leben, das wir führen. Du liebst mich doch noch?«
»Aber ja«, sagte er unbehaglich, »was für eine Frage!«
»Sonst hätte es nämlich gar keinen Zweck. Aber ich weiß ja, daß du mich liebst. Wenn ich nicht alles falsch gemacht hätte –«
»Was für ein Unsinn«, unterbrach er sie. »Rede dir doch nicht solche Sachen ein!«
»Ich bin ein Feigling«, sagte sie, »ich habe mich vor dem Leben gedrückt, ich habe Zuflucht in der Ehe suchen wollen. Aber das geht nicht. Das Leben läßt sich nicht betrügen, es rächt sich, und nur deshalb –«
Er ließ sie nicht weiterreden. »Eva«, sagte er, »ich weiß, wie gescheit du bist. Aber ich bin nun mal ein simpler Geschäftsmann, der für philosophische Gedankengänge keinen Sinn hat, und außerdem …«
Er warf einen ostentativen Blick auf seine Armbanduhr.
»Nein, bleib«, forderte sie entschlossen. »Einmal wird das Hotel wohl fünf Minuten auf dich warten können. Ich habe dir etwas sehr Wichtiges zu sagen!«
Er zuckte die Schultern, steckte die Hände in die Taschen und sah sie an – sein Lächeln zeigte jene Spur von Herablassung, die sie rasend machen konnte.
»Also, wenn’s wirklich nicht länger dauert … schieß los.«
»Ich habe mich entschlossen, dir im Hotel zu helfen.«
Sein Lächeln verschwand, dann lachte er laut auf.
»Du … mir?« rief er. »Was für eine Idee!«
»Es ist mir völlig klar, daß du dich erst an diesen Gedanken gewöhnen mußt«, sagte sie, »aber ich …«
Sein Lachen ließ sie verstummen.
»Eva«, rief er, »was willst du denn im Hotel? Du hast doch vom Fach nicht die geringste Ahnung! Nein, nein, das kann nicht dein Ernst sein, gib zu, du hast einen Witz gemacht.«
»Durchaus nicht«, erklärte sie, »man kann alles lernen, wenn man nur will …«
»Bravo!« unterbrach er sie. »Willst du als Page bei uns anfangen?«
»Auch das, wenn es sein müßte«, erwiderte sie, als ob sie seinen Spott gar nicht bemerkte. »Aber es gibt etwas viel Besseres, was ich tun kann. Du weißt, ich beherrsche Stenografie und Schreibmaschine. Laß mich als deine Sekretärin beginnen.«
Das Lachen verging ihm, ein jäher Verdacht stieg in ihm auf. War es möglich, daß sie etwas ahnte? Sollte man ihr etwas über seine Beziehungen zu Lona Simon hinterbracht haben?
Aber sie fuhr schon fort, und die Art, wie sie ihren Plan erklärte, machte ihm ihre Arglosigkeit deutlich und beruhigte ihn.
»Dort könnte ich dir wirklich helfen«, sagte sie, »und du wirst sehen … in ein paar Monaten werde ich schon einen sehr guten Einblick gewonnen haben!«
In diesem Augenblick erschien Teddy oben auf der Galerie.
»Mutti«, rief er herunter, »Babsy ist munter … und wie! Sie will aufstehen! Ich kann sie nicht länger bändigen!«
Urban Horster griff sofort das Stichwort auf.
»Da hast du es!« sagte er. »Und die Kinder? An die hast du wohl überhaupt nicht gedacht! Sie brauchen dich!«
Sie trat dicht auf ihn zu und hob ihr Gesicht zu ihm empor.
»Ich brauche dich, Urban!« sagte sie mit tiefem Ernst.
Die Unbedingtheit ihrer Liebe erschütterte ihn.
»Eva«, stammelte er, »Eva … habe ich dich denn so vernachlässigt?«
»Noch mehr«, sagte sie mit einem wehen kleinen Lächeln.
Er riß sie in die Arme, bedeckte ihren Nacken, ihren Hals mit Küssen, verbarg sein Gesicht in ihrem duftigen Haar.
»Ich verdiene deine Liebe ja gar nicht! Wenn du wüßtest …«
Sie hatte die Augen geschlossen, genoß den herrlichen Augenblick des lang ersehnten Zueinanderfindens.
»Wir werden zusammen arbeiten«, flüsterte sie. »Wegen der Kinder wird sich eine Lösung finden lassen. Das Hotel –«
»Nein«, sagte er, »nein, Liebes, du sollst mir kein Opfer bringen …«
Als sie ihm widersprechen wollte, legte er ihr einen Finger auf den Mund.
»Pst! Jetzt bin ich es, der dir einen Vorschlag macht! Ich werde das Hotel umorganisieren, ich werde mir einen tüchtigen zweiten Mann holen …«
Sie küßte seine Finger, schob sie beiseite.
»Aber warum denn? Laß mich dein zweiter Mann werden!«
Er sah ihr mit einem gerührten Lächeln in das vor Eifer leuchtende Gesicht.
»Du nicht«, sagte er, »du sollst bleiben, was du bist … meine liebe, geliebte Frau!«
Er küßte sie, und es war ihr, als ob dieser zärtliche und leidenschaftliche Kuß alle Ängste und alle Qual der letzten Monate wegschwemmte. Nichts blieb als Liebe und das starke Gefühl unauflöslichen Zusammengehörens.
»Mutti«, brüllte Teddy von oben. »Mutti, Babsy klettert aus dem Bett!«
Er ließ sie los, gab ihr noch einen kleinen Kuß auf die Nasenspitze und wandte sich zur Tür.
Sie lief ihm nach.
»Wann kommst du?«
»So früh wie möglich.«
»Wann?« fragte sie noch einmal.
Er krauste die Stirn, sagte zögernd:
»Gegen acht Uhr. Bis dahin werde ich es wohl geschafft haben.« Er lächelte sie an. »Ich glaube, wir haben einiges miteinander zu reden!«
Noch einmal flog sie ihm in die Arme, dann löste er sich sanft von ihr und verließ das Haus.
Langsam, mit einem stillen Lächeln schritt sie die Treppe hinauf. Ihr Herz tanzte vor Glück.
Auf der Fahrt nach Straßburg war Urban Horster sehr schweigsam. Lona Simon spürte, daß etwas in der Luft lag. Aber sie hielt es für richtig, seine Gedankenabwesenheit einfach zu überspielen. Sie plauderte munter darauf los und ließ sich durch seine kurzen, unfreundlichen Antworten keineswegs die Laune verderben.
Er parkte seinen Wagen, ein Sportcoupé, hinter dem Münster, blieb sitzen, während sie ausstieg, und zündete sich eine Zigarette an.
»Kommst du denn nicht mit?« fragte sie, nun doch irritiert.
»Nein. Ich werde hier auf dich warten.«
Sie lachte auf.
»Das nehme ich dir nun doch nicht ab, soviel Geduld hast du gar nicht. Ich muß die Kleider ja noch anprobieren, das dauert mindestens eine halbe Stunde, wenn nicht länger. Komm mit! Ich möchte doch auch gern wissen, wie sie dir gefallen.«
»Darauf kommt es wirklich nicht an.«
»Mir schon.«
»Ich denke, ich werde sie früh genug zu sehen bekommen.«
Er schwang seine langen Beine aus dem Wagen und stieg aus.
Sie zuckte die Schultern.
»Der Herr scheinen heute reichlich ungnädig zu sein«, meinte sie spöttisch.
Er schloß das Auto ab und sagte, ohne sie anzusehen: »Ich warte dann im Weinhaus Bär auf dich. Aber beeil dich. Du weißt, ich will sofort zurück.«
Er steckte die Schlüssel ein und ging davon. Ziellos schlenderte er durch die romantischen alten Straßen. Er war sehr unzufrieden mit sich selber.
Er liebte seine Frau, das war ihm an diesem Nachmittag wieder ganz stark zu Bewußtsein gekommen, er wollte sie nicht enttäuschen, und es wäre ihm unerträglich gewesen, sie zu verlieren. Er sah die Konsequenz, die sich aus dieser Erkenntnis ergab, ganz klar: Er mußte sich aus der verhängnisvollen Bindung zu Lona Simon lösen.
Ich werde es tun, dachte er, ich muß es tun. Noch heute – nein, nicht heute. Eva erwartet mich, ich habe ihr versprochen, pünktlich zu sein. Aber morgen – morgen ganz bestimmt!
Aber eine unüberhörbare Stimme sagte ihm, daß er die Kraft zu dieser Entscheidung nicht aufbringen würde – weder heute noch morgen, noch übermorgen.
Schließlich blieb er seufzend stehen, um sich zu orientieren, sein Blick fiel auf. die Auslage eines Juweliers. In der Mitte des Schaufensters lag auf dunkelblauem Samt eine kunstvoll geschmiedete goldene Rose, in deren Blütenblättern eine weiße Perle wie ein schimmernder Tautropfen hing.
Urban Horster trat ein und kaufte die Rose – für seine Frau. Bei dem Gedanken daran, wie glücklich Eva über dieses Geschenk sein würde, wurde ihm wohler. Er steckte die goldene Rose, die der Juwelier sorgfältig in eine Schmuckschachtel gelegt und mit Seidenpapier umhüllt hatte, in die Innentasche seiner Jacke und schlug den Weg zum Weinhaus Bär ein.
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