1 ...8 9 10 12 13 14 ...18 Erst am Mittwochmittag beginnt der Wind abzuflauen, und wir nähern uns der spanischen Küste. Die Sonne kommt heraus, und ich kann sogar das zweite Reff herausnehmen, wieder die volle Genua setzen. Mit 7 Knoten jagen wir dem Ziel entgegen. Cati sitzt an Deck in der Sonne und ich kann zwei Stunden in die Koje gehen.
Eine Nacht noch, dann liegt Spanien endlich vor unserem Bug. Die vergangenen fünfeinhalb Wochen seit dem Start in Deutschland waren wir permanent auf der Flucht vor dem Herbst und haben immerhin 1.100 Seemeilen zurückgelegt. Nun endlich sollen wir den ewigen Sommer erreichen. Tagestörns, Buchtenbummeln und kein Meilenreißen mehr. Und wir sind wieder im Zeitplan, um rechtzeitig zur Passatsaison über den Atlantik zu kommen.
Doch in der dritten und letzten Nacht auf See ist der Wind plötzlich weg, 30 Seemeilen vor La Coruña. »Kein Problem«, denke ich. »Wir haben ja vollgetankt.« Die Maschine startet sofort und ohne Probleme, ich kuppele den Gang ein, und schon laufen wir bei 5,5 Knoten Marschfahrt dem Ziel entgegen. »ETA 8 Uhr«, verkünde ich. »Morgen früh sitzen wir in La Coruña an der Promenade und trinken Café con leche.« Keine Minute später kommt Qualm aus dem Maschinenraum. Bevor ich den Motor stoppe, versuche ich noch schnell in den Nebelschwaden den Fehler zu finden. Ich kann es kaum fassen: Der Kühlwasserschlauch für das Seewasser liegt neben dem Stutzen am Getriebe. Also sind wir ohne Kühlwasser gefahren. Er muss kurz nach dem Start abgerutscht sein, denn zu Beginn kam das Kühlwasser noch wie gewöhnlich aus dem Auspuff gesprotzt. Ich montiere den Schlauch wieder, zweiter Versuch. Doch wieder Nebelschwaden. Dann erst wird mir das ganze Ausmaß des Unglücks bewusst: Die heißen Abgase haben den oberen Teil des Wassersammlers geschmolzen, sodass Kühlwasser und Abgase vom Motor ins Schiffsinnere gepumpt werden. Wir können die Maschine nicht mehr benutzen, ohne das Boot zu füllen und zu vernebeln.
Bis zum Ziel sind es nur noch 30 Seemeilen. Eine Tagesetappe für einen Ostseesegler. Aber zugleich eine Distanz, die bei fast null Wind Tage dauern würde. Ich setze wieder Segel und beginne, im Dunkeln zu kreuzen. Bis 4 Uhr morgens schaffe ich es, zwei Seemeilen zurückzulegen, dann überwältigt mich die Müdigkeit. Cati übernimmt das Steuer, kreuzt weiter. Doch sie hat mehr Pech. Die Tide schiebt uns zurück hinaus auf die Biskaya. Als ich eine Stunde später wieder wach werde, sind wir die Hälfte der mühselig erkämpften Distanz wieder zurückgetrieben. Das Schiff rollt in den immer noch hohen Wellen von einer Seite auf die andere, es scheppert und knarzt. Die Segel wollen gar nicht mehr stehen.
Zum Glück haben wir schon wieder Handyempfang, also schnell einen Wetterbericht abrufen. Sehr ernüchternd. Drei Tage Flaute werden vorhergesagt, die gleichen Bedingungen wie jetzt. Keine Chance, voranzukommen, und der Wassersammler ist irreparabel kaputt. Gefrustet sitzen wir im Cockpit. »Wir brauchen einen Schlepper«, ist unser Fazit. Doch woher nehmen? Google findet nichts. Einige per SMS kontaktierte Freunde wissen auch keinen Rat. Die Küstenwache? »Ich könnte das MRCC in Bremen anrufen«, schlage ich vor und erschrecke zugleich vor meiner Idee. Ich habe auf See noch nie Hilfe von außen in Anspruch nehmen müssen. Und ist das hier denn ein Notfall? Wir sind ein Segelschiff und könnten ja segeln. »Aber die nächsten drei Tage ist doch absolut kein Wind vorhergesagt«, wirft Cati ein. »Wie sollen wir da an Land kommen?« Guter Einwand. Außerdem treibt uns die Tide wieder raus. Jetzt haben wir gerade noch Handyempfang, später nur noch die EPIRB. Aber gleich ein Rettungsboot? Ein Schlepper würde doch reichen. Vielleicht können die Leute in Bremen auch Auskünfte erteilen und einen Schlepper vermitteln. Es gibt keine andere Wahl. Also wähle ich die Nummer, die ich sicherheitshalber im Handy gespeichert habe. Und ehe wir uns versehen, ist ein Rettungsboot verständigt. Schlepper gibt es hier laut Auskunft nicht.
»This is SALVAMAR SHAULA. Speaking spanish, eh?«, knarzt es aus dem UKW-Gerät. Der Empfang ist schlecht. Der Sender muss noch weit weg sein. »Buenos días«, antworte ich und ergänze gleich, »unfortunately not.« Der erste Kontakt mit den Spaniern – und es ist ein Rettungsboot. Ein mulmiges Gefühl im Magen. »We are coming«, rauscht es zurück. »One hour.«
Sie kommen. Cati und ich sitzen in der Kajüte und versuchen, uns festzuhalten. Cati in der Naviecke, ich über den Kartentisch gelehnt, während unser Schiff in den drei Meter hohen Wellen ruckartig von einer Seite auf die andere geworfen wird. Schapps fliegen auf, Dinge poltern durch die Gegend. Kein Wind, der das Schiff mit gesetztem Großsegel stabilisiert. Es herrscht absolute Flaute. Der Ozean ist genauso still wie wir, doch vom Atlantik rollt noch die alte, hohe Welle durch, die am Tag vorher vom starken Wind aufgebaut wurde. Keiner wagt, ein Wort zu sagen. »Es kann sein, dass die Reise hier schon zu Ende ist«, fange ich an und drücke aus, was uns beiden durch den Kopf geht. Cati nickt stumm, mit Tränen in den Augen. »Dann ist es halt so«, antwortet sie. »Es war die richtige Entscheidung.« Ich kann nur ein leichtes, gezwungenes Lächeln hervorbringen. Meine Augen sprechen eine deutliche Sprache. Ich bin niedergeschlagen.
30 Minuten später geht die Sonne auf. Das AIS läutet, Kollisionskurs. Die SALVAMAR SHAULA brettert mit 27 Knoten auf uns zu. Am Horizont ist sie wenige Minuten später zwischen den Wellenbergen zu erkennen. Und dann steht sie, die Schleppverbindung. Die Männer sind Profis, das merkt man. Vor allem der Skipper. Behutsam zieht er mit seinen 2.800 PS die 100 Meter lange Leine stramm. Ohne Rucken nimmt MAVERICK TOO Fahrt auf. Wir laufen gen Hafen.
Es wäre zu schön, wenn man uns nach La Coruña schleppen würde – doch das können wir nicht erwarten. Da die spanischen Seenotretter kaum Englisch sprechen, erfahren wir überhaupt nicht, wo es hingeht. Zweieinhalb Stunden lang werden wir mit 7 Knoten an der fantastischen Kulisse der spanischen Felsküste entlanggeschleppt. Felsen, denen wir ohne Maschine und Wind nicht zu nahe kommen möchten. Schließlich werden wir längsseits genommen, in den kleinen Fischerhafen Cariño gebracht und an der Berufs-schifffahrtspier festgemacht. Die Leiter hinauf ist vier Meter lang, und die Salinge schwingen immer wieder bedrohlich nah an die Kaimauer. Wir bringen unsere vier Fender aus, um MAVERICK TOO so gut wie möglich zu sichern. Aber bei dem Schwell durch die Fischerboote rutschen sie immer wieder weg.
Der Schlepperkapitän steht kurz darauf an der Pier und möchte mit mir den Papierkram erledigen. Die Versicherungsnummer braucht er. Ein wunder Punkt, denn ich weiß nicht, ob MAVERICK TOO hier noch versichert ist. Ich habe etwas von »nicht südlicher als La Rochelle« aus den Kaskovereinbarungen in Erinnerung. Die Kommunikation ist nicht einfach, denn der Kapitän versteht ja kein Englisch, ich kein Spanisch.
Was denn eigentlich kaputt sei, will er wissen. »Was heißt denn Wassersammler auf Spanisch?«, überlege ich und versuche, mit Händen und Füßen die Verbindung zwischen der Maschine und der Abgasanlage darzustellen. »Agua« ist klar. Mit einer Fließbewegung mache ich den Lauf des Kühlwassers durch die Maschine klar. »Fumar« verbindet sich mit dem »Agua«. Er scheint zu verstehen. »Un momento!«, winkt er und greift zum Handy. »Maquinista!« Fünf Minuten später stehen die beiden Mechaniker seines Rettungsbootes vor MAVERICK TOO und halten unseren geschmolzenen Wassersammler in den Händen, wenden ihn und schauen in das verkohlte Ende. Dann hat der eine Idee. »Fontanero!«, ruft er. Ich verstehe nicht. Er macht Schraubbewegungen, formt Rohre. »Ehh … you know Super Mario?«, fragt er. Der ist Klempner. Ein Klempner! Das ist die Idee! Handys werden gezückt. Während der Wartezeit unterhalten wir uns über den kleinen Fischerort, das Leben dort und unsere Reise. Keiner spricht die Sprache des anderen, aber mit viel Lachen, Händen und Füßen ist die Sprachbarriere verschwunden. Einige Zeit später rollt ein Lieferwagen heran, den Laderaum voll mit PVC-Rohren. Schnell haben wir ein Rohr gefunden, das die richtigen Maße hat. Mit einem Gasbrenner wird es weich gemacht und in den Wassersammler eingepasst. Das sollte funktionieren. Die Wasserrohre müssen schließlich auch kochendes Nudelwasser abkönnen.
Читать дальше