1 ...7 8 9 11 12 13 ...19 „Dohmke? . . . Wer ist Dohmke?“
„Mein Gott: mein langjähriger Sozius, der Justizrat Dohmke! Kein Springinsfeld mehr, sondern abgeklärt! Ein weiser, alter Rabe, dem die Menschheit nichts mehr vormacht . . .“
„Und dem wollen Sie den Fall Vohwinkel überlassen . . .?“
„Sie sind doch eine Herrschernatur in Taschenformat, Fräulein Matteis! Der Dohmke ist ein bequemer Grosspapa! Mit dem werden Sie leichter fertig als mit so ’nem nervösen, rechthaberischen Eigenbrötler wie mir!“
„Wo Sie doch schon für unsere Firma die Prozesse geführt haben . . .“
„. . . und dazwischen hat sich Ihre Frau Mutter vor einem Vierteljahr, als bei Ihnen eingebrochen worden war, nicht an mich, sondern an einen Hellseher gewendet . . .“
„. . . und auf die Weise das gestohlene Silberzeug auch wirklich wieder gekriegt!“
„Na, sehen Sie, der Mann kann mehr als ich!“
„Und das, was wir eben erlebten, ist für einen so grossen Mann wie Sie zu unbedeutend?“ Male Matteis lachte zornig auf. Sie beschleunigte mit einem spöttischen Achselzucken ihre Schritte und schaute jetzt selbst, ob nicht ein Frühtaxi des Weges käme. „Ein Fall, der Ihren Namen noch berühmter machen würde als er schon ist! Sie selber interessiert der Fall meiner Schwester garnicht?“
„Der ist nicht so sehr interessant!“
„Ein Geheimnis, das in kurzem ganz Berlin beschäftigt?“
„Ich glaube garnicht, dass es ein so grosses Geheimnis ist!“
Das junge Mädchen blieb stehen un starrte ihren Begleiter wortlos, mit offenem Mund an. Der Rechtsanwalt Burhem sah auf die Uhr, steckte sie wieder ein und versetzte: „Ihre Schwester lebt nämlich!“
„Die Elfi ist tot!“
„Ihre Schwester lebt!“
„Woher wollen Sie das wissen?“
„Sie lebt im Ausland. Oder in Deutschland. Vielleicht in Berlin. Wahrscheinlich ganz in unserer Nähe. Am Ende gerade hier um die Ecke . . .“
„In Ihrer Phantasie . . .“
„. . . und weil sie nach meiner Überzeugung lebt und nach Ihrer Überzeugung nicht mehr lebt, würden wir uns über die Behandlung des Falles auch noch unnötig in die Haare kommen, gnädiges Fräulein!“ Der Rechtsanwalt Burhem sprach es halb zerstreut und beobachtete dabei mit einer stillen und starken Anteilnahme, wie sich die Wangen des jungen Mädchens vor ihm in Überraschung, Unruhe, innerem Widerspruch röteten. „Sehen Sie: fein ist die Eckdestille da vor uns nicht. Aber das einzige Lokal, das jetzt schon offen hat! Da trinken wir Kaffee, und Sie sprechen sich aus! Kommen Sie nur ruhig hinein! Es tut Ihnen niemand ’was!“
„Gott — ich frühstücke doch bei uns in der Fabrik alle Finger lang in der Kantine zwischen den Arbeitern!“ sagte Male Matteis. „Glauben Sie, ich wäre etepetete? Da käme ich da draussen weit!“
Sie und der Rechtsanwalt setzten sich in eine leere Ecke am Fenster. An den Tischen ringsum sassen nächtliche Strassenbuddler, Bahnhofchauffeure, Eisenbahner, Bauplatzwächter. Sie rauchten. Sie redeten wenig miteinander. Der hemdärmelige Wirt, mit der Muskelpackung und dem aufgedrehten Schnurrbärtchen eines Ringkämpfers, brachte den beiden Kaffe und Butterschrippen. Male Matteis schob den Teller zur Seite. Sie beugte sich über den weissgescheuerten Holztisch gegen den Rechtsanwalt Burhem vor. Sie begann unvermittelt — unterdrückt und heftig: „Meine Schwester . . . und ruhig irgendwo sitzen und sich ihres Daseins freuen, während ich sie für tot halte — so etwas täte mir die Elfi nie und nimme an! So war sie nicht! Sie haben sie nicht gekannt!“
„Und wie war sie in Wirklichkeit?“ Es zuckte unruhig auf den übernächtigen Zügen des Verteidigers. Er langte sich nervös eine Zigarette heraus und zündete sie an.
„Die Elfi? Also am einfachsten: Sie stellen sich mein gerades Gegenteil vor!“ sagte Male Matteis. „Da haben Sie sie vor scih, wie sie leibt und lebt!“
„Ich denke, sie galt für eine Schönheit!“
„Eine rührende Schönheit! So zart und zerbrechlich wie . . .“
„Dann kann sie doch nicht Ihr Gegenteil gewesen sein, Fräulein Matteis! Sie sind doch wirklich nicht von der Natur vernachlässigt!“
„Ach Quatsch . . . Verzeihen Sie — das fuhr mir so heraus! Das macht die Umgebung!“ sagte das junge Mädchen mit grosser Ruhe. „Also auf mein Äusseres kommt es dabei wirklich nicht an, sondern auf die ganze Persönlichkeit! Die Elfi war von klein auf das Prinzesschen und ich ein handfester Pummel! Sie war die ältere, und ich hab’ sie, auf dem Weg zur Schule, bemuttert, dass sie nicht unter die Elektrische kam. Die Elfi war das Sonntagskind und ich für den Hausgebrauch in der Familie!“
„Also Martha und Maria, um mich poetisch auszudrücken!“
„Oder Poesie und Prosa — wenn Sie es noch poetischer haben wollen! Ich hab’ mich in der Fabrik herumgetrieben, während die Elfi Verse in ihr Tagebuch gekritzelt hat, und wenn sie am Klavier gesessen hat, dann hockt’ ich schon als kleines Baby auf einem Fabrik-Chassis und trat aus Leibeskräften die Kuppelung aus un gab imaginäres Gas. Die Arbeiter haben immer gelacht. Aber so lernt man’s! Ich hab’ mir die technischen Kenntnisse rein auf eigene Faust angeeignet!
Ja — aber Sie wollen von der Elfi hören . . .“ Male Matteis hielt inne und besann sich. „Man kann sie gar nicht so schildren. Sie war ja ein kleines Fabelwesen. So rührend unmodern — deswegen hab’ ich sie so wahnsinnig geliebt und bewundert — sie war wie eine Verschönerung des Lebens, das wir Leute von heute führen und nicht mehr so wie die Elfi führen können, sonst kommen wir unter die Räder! Die Elfi war wie ein grosses, ganz reines, unschuldiges Kind — ganz auf Liebe gestellt — ganz auf Hingebung — ganz auf Weichheit . . .“
„Efeu und ein zärtlich Gemüt . . .“
„Ja. So. Ich weiss nicht, von wem das ist . . .“
„Von Goethe!“
„Ach! . . . Ja — es kam bei der Elfi alles auf ihren Mann an. Das ging nun auf einmal wahnsinnig schnell. Die Elfi lernte meinen Schwager kennen: Verliebt! Verlobt! Standesamt! Weg war sie.“
„Verzeihen Sie eine schnöde Zwischenfrage, Fräulein Matteis: Ihre Schwester bekam eine ansehnliche Mitgift mit?“
„Ein für allemal ihr ganzes Erbteil!“ Male Matteis furchte die Stirne. „Mein Schwager bestand auf der sofortigen Barauszahlung, und die Elfi war sein willenloses Sprachrohr!“
„Ihr Schwager hat also finanziell nichts mehr von seiten Ihrer Schwester zu erwarten?“
„Nein — keinen Pfennig mehr! Gott sei Dank! Das hielte die Fabrik wirklich nicht mehr aus! Die hat schon ’ne Pferdekur hinter sich. Damals, wie er die Elfi anstiftete, ihr gesetzliches Erbteil aus der Fabrik zu ziehen, da hab’ ich meinen lieben Schwager zum erstenmal kennengelernt, wie er wirklich war! Ich bitte Sie: heutzutage das bisschen Kapital, das man noch hat, aus dem Betrieb ’raus! Ich hab’ an dem Abend wirklich gesessen und geheult wie ein Schlosshund . . .“
„Und Herr Vohwinkel war keinen Vernunftsgründen zugänglich?“
„Er baute doch die Eigenhäuser für die Siedlung Neuwest! Da wollte er sich selber finanziell dran beteiligen! Es sei eine grosse Sache! . . . erklärte er . . . Abe rich glaube: nachher war es gar keine solche Goldgrube . . .“
„Ganz im Gegenteil!“
„Und wie, in der Autofabrik, waren die Leidtragenden!“ Male Matteis’ Lippen zuckten. „Damals waren es gerade zwei Jahre, dass Papa gestorben war. Plötzlich, morgens beim Frühstück. Schlaganfall. Da standen wir. Die Aktien waren doch Familienbesitz. Meine Mutter hatte ’nen Haufen — ich — die Elfi — und dann ein ganzes Schock Muhmen und Tanten und Neffen und Nichten. — Das life nun alles durcheinander — jedes hörte auf ’nen andern — keine hatte ’ne Ahnung . . . Da Ordnung schaffen: ich war damals erst zwanzig. Aber ich sagte mir: da musst du rücksichtslos dreinfahren und alles unter einen Hut bringen! Sonst müssen wir alle zusammen in einigen Jahren den Leierkasten drehen . . . Aber da red’ ich jetzt von mir statt von der Elfi . . .“
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