Ich liebe diese kleine Straße wirklich, denn hier bin ich immer mit besonderer Vorfreude durchmarschiert. Zum einen hat mich diese Straße zum Haupteingang des Tivoli-Schwimmbads gebracht und zum anderen zur Nordtribüne des alten Tivoli-Fußballstadions. Und von hier aus – und nur von hier aus – haben die Innsbrucker Fans das Stadion betreten, der Südeingang war für die „Zugereisten“ vorgesehen. Ein paar Erinnerungen an die zahlreichen Wacker-Partien möchte ich noch loswerden, als lebenslanger und unheilbarer Fan sei mir das gestattet. Ich war dabei, als Buffy Ettmayer einen Volleyhammer über das Stadiondach bis in den Vergnügungspark hinüber geschossen hat. Ich war beim ersten FC-Wacker-Innsbruck-Match von Bruno Pezzey im Stadion und kann mich noch an den Kommentar eines „Wacker-Fans“ erinnern: „Was meggsch denn mit an Gsiberger?“ Ich habe der ewigen FC-Wacker-Innsbruck-Torwartlegende Friedl Koncilia einen Kaugummi reichen dürfen, ich habe von Kurt Jara ein Autogramm „Für Gernold“ bekommen und als ich einmal Hans Rebele blitzschnell einen ins Out gegangenen Ball zugeworfen habe, sagte er zu mir „Dangeschön, mein Junge“. Ab da wusste ich wenigstens, dass er Deutscher war.
Ich könnte noch seitenlang zum Thema Wacker Innsbruck weiterschreiben, von gleich mehreren Meisterfeiern hintereinander schwärmen, von bitteren Niederlagen ebenso wie von unfassbaren Höhenflügen. So zum Beispiel das Erreichen des Halbfinales im UEFA-Cup durch das 2:1 gegen Torino Calcio. Ich war an diesem denkwürdigen 18. März 1987 einer der 17.000 Zuschauer im ausverkauften Tivoli, Hansi Müller und Peter Pacult schossen die Tore. Beim Torjubel zum 2:0 stürzten vor lauter Euphorie hunderte Menschen die Stufen der Nordtribüne hinunter, meine Mutter, mein Bruder Robert und ich mittendrin. Passiert ist niemanden etwas, man hat sich halt aus dem Menschenknäuel herausgeschält, sich aufgerappelt und ungefähr wieder dort hingestellt, wo man vor Pacults Treffer gestanden ist. Einmal war ich mit meinem kleinen Bruder Helmut bei einem Europacup-Match gegen Ipswich Town, das war 1978. Wir hatten die Tickets im Vorverkauf erstanden, gingen erst knapp vor dem Anpfiff ins Stadion und schafften es tatsächlich nicht mehr auf die Publikumsränge. Zwar waren wir auf dem Stadiongelände, aber die Zuschauer standen im völlig überfüllten Tivoli derart eng beieinander, dass es für uns kein Durchkommen gab. So oft und heftig wir es auch versuchten. Und so haben wir uns das Match durch die Scheiben des ORF-Übertragungswagens angeschaut, wegen der Zeitverzögerung wussten wir anhand der Publikumsreaktionen immer schon vorher, wann im Fernsehen was Interessantes gezeigt wird. Mal eine andere Art, sich ein Fußballspiel anzuschauen …
Ach, der Wacker. Momentan tümpelt der Verein ja in der zweiten Liga vor sich hin, auch heuer hat es wieder nicht für den Aufstieg gereicht. Stört mich aber nicht besonders, ich bin Fan vom Verein und nicht Gloryhunter einer aktuellen Mannschaft.
Gut, lassen wir das mit dem Fußball, nebenan im Tivoli-Schwimmbad ist es ja auch sehr lässig. Als Kinder waren wir sehr oft im „Tivox“, die Eintrittskarten verdienten wir uns mit Müllsammeln. Zwei volle Wagen mit Abfällen ergab ein Ticket im Wert von sechs Schilling. Unvergessen auch das unwiderstehliche Angebot meines Onkel Wolfgangs: „Wer vom Zehner springt, der kriegt ein Cornetto!“ Natürlich haben sich Robert und ich geradezu ein Wettrennen auf den Sprungturm geliefert und sind ohne Zögern runtergesprungen, beide zum ersten Mal.
Aber jetzt verlassen wir endgültig das Tivoli-Areal und setzen unseren Fußmarsch durch Innsbruck fort. Wir gehen die Purtschellerstraße wieder retour, anschließend links ein paar Meter bis zu den Gebäuden der Innsbrucker Berufsfeuerwehr hinauf und starten dort die Begehung der Anzengruberstraße (Schriftsteller, 1839-1889). Die führt an ihrer rechten Seite an der Außenmauer des Schwimmbads vorbei, links ist noch einer der letzten Äcker von Pradl übriggeblieben. Etwas weiter vorne hat einst mein schon erwähnter Onkel Wolfgang gewohnt, der Neubau war damals der modernste, den ich von innen kannte. Noch dazu hat Onkel Wolfi bereits Ende der 1960er-Jahre einen Farbfernseher besessen, seinen Angaben nach eines der ersten Geräte in Innsbruck überhaupt. Der hat damals, so lautet die Familienlegende, 26.000 Schilling gekostet, ich erinnere mich an diese Zahl bis heute. Das werden schon so an die fünf, sechs durchschnittliche Monatsgehälter gewesen sein. Die Anzengruberstraße mündet in die Roseggerstraße (Heimatdichter, 1843–1918), die wir als Nächstes angehen. Dazu müssen wir zuerst an ihren Anfang, aber das sind keine 50 Schweine-Meter. Danach spazieren wir die Straße gemütlich entlang, nach einem kleinen Rechts-links-Knick bei der Pacherstraße zieht sie sich bis zur Burgenlandstraße hinauf.
Nach einer Straße ist für uns vor einer Straße, also marschieren wir die Roseggerstraße ein paar Meter weit retour, um in die Cranachstraße (Maler des berühmten Gnadenbilds Mariahilf, 1472–1533) zu gelangen. Die ist keine 150 Meter lang, eine reine Wohnstraße. Die nächste Straße müssen wir dann zu einem Teil wieder doppelt gehen, denn die Pacherstraße (Maler und Bildschnitzer, 1435–1498) beginnen wir an der Kreuzung mit der Amraser Straße. Also müssen wir danach wieder retour bis zur Kreuzung mit der Dr.-Glatz-Straße latschen, aber dann geht’s eh recht flott dahin. Ziemlich am Ende der Pacherstraße habe ich vor einigen Jahren mitten am Gehsteig einen großen Skorpion liegen gesehen. Im Bereich des letzten Wohnblocks um 5 Uhr früh, ich war auf dem Heimweg von einer Nachtschicht. Natürlich habe ich das gelblich-braune Ding zuerst für ein Plastikspielzeug gehalten, aber es hat irgendwie so echt gewirkt, dass ich genauer nachgeschaut habe. Tatsächlich – ein echter Skorpion, sicher über 20 Zentimeter lang, höchstwahrscheinlich tot. Aber was weiß man schon. Als verantwortungsbewusster Staatsbürger habe ich natürlich sofort 133 gewählt und die Polizei angerufen. Die wollten mir erwartungsgemäß nicht glauben – „Ein Skorpion in Innsbruck? Sind’s vielleicht a bisserl angesoffen? Tun Sie uns nicht pflanzen, der Spaß könnte teuer werden“ –, sind dann aber doch mit einem Streifenwagen angerückt. Nach dem erstaunten „Der ist ja wirklich echt“ eines Beamten habe ich die Bergung des Tiers der Staatsgewalt überantwortet und bin schlafen gegangen.
Die Pacherstraße endet an der Resselstraße – glaubte ich zumindest. Doch zum Glück erkannte ich ein Straßenschild an der Kreuzung mit der Anton-Eder-Straße, bin die 100 Meter vorgegangen und tatsächlich stand am Schild „Pacherstraße“. Das wäre ja was gewesen, wenn ich aus Versehen einen Teil einer Straße ausgelassen hätte. Da müssen wir echt mehr aufpassen. Und ein bisserl mehr aufpassen sollten wir auch bei unserer Routenplanung, denn um zur nächsten Straße zu gelangen, dürfen wir die gesamte Pacherstraße gleich noch einmal durchmarschieren. Das sind viele, viele Extra-Meter, aber sie bringen uns immerhin – nachdem wir die Amraser Straße überquert haben – in die Rudolf-Greinz-Straße (Pradler Schriftsteller, 1866-1942). Das relativ kurze Sträßchen kenne ich schon seit meiner Kindheit, denn es war Teil meines Schulwegs. Und gleich am Anfang der Straße gibt es bis heute ein Geschäft für Modellautos und Spielzeug-Eisenbahnen, da habe ich mir an den Schaufenstern nicht nur einmal die Nase plattgedrückt.
Mit wenigen Schritten haben wir die Rudolf-Greinz-Straße hinter uns gebracht und biegen links in die Kranewitterstraße ein. Die werden wir gleich angehen, vorher kommt aber noch der Eichhof (nach einem ehemaligen Bauernhof) dran. Normalerweise geht man einfach durch eines der Tore in den Innenhof dieser Wohnanlage hinein, momentan wird aber in der Umgebung heftig gebaut, also ist nichts normal. Wir müssen doch glatt über eine massive Holzabsperrung klettern, um in den Hof zu kommen, das artet ja noch in eine Expedition aus. So schlimm war es natürlich nicht und danach stärken wir uns mit einer Jause in der nahegelegenen Metzgerei „Hörtnagl“ in der Amraser Straße.
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