Genug jetzt damit, zurück in die Petzoldstraße. Die ersten Wohnblocks links und rechts brüllen geradezu nach einer Sanierung, hier ist seit der Errichtung im Jahre Schnee (vermutlich Ende der 1950er-Jahre) nie etwas renoviert worden. Zeit wird’s. Die kurze Petzoldstraße ist schnell abgehakt, wir gehen nach links und sind schon nach wenigen Schritten in der Kernstockstraße (Verfasser des „Hakenkreuzliedes“, 1848–1928). In meiner Sturm-und-Drang-Periode habe ich mich den Protesten gegen diese Straßenbezeichnung angeschlossen, die Stadt ist aber unnachgiebig geblieben. Schließlich habe ich, gemeinsam mit einem Freund, das Schild der Kernstockstraße gefunden, bevor es die Stadt überhaupt verloren hat. Es ist jetzt an einem besseren Ort. Natürlich wurden die verloren gegangenen Schilder immer wieder erneuert und seit 2011 ist zumindest ein zusätzlicher Info-Text über Kernstock angefügt. Trotzdem ärgert mich die Sturheit der Stadt in dieser Sache immer noch, denn in fast allen anderen Orten Österreichs sind die Kernstockstraßen umbenannt worden. Hakenkreuz hin oder her, ich kann mich der Kernstockstraße natürlich nicht verweigern und gehe in die vermeintliche Sackgasse hinein. Und siehe da, das ist ja gar keine Sackgasse mehr, denn „die Unaussprechliche“ führt hinüber bis zur Seebergasse. Das habe ich nicht gewusst und dabei ist das keine 400 Meter von mir daheim entfernt …
Die Seebergasse (Priester und Germanist, 1856–1919) ist nur unwesentlich länger als die Gasse davor und wir gehen sie bis zur Amraser Straße. Dann links hinauf die paar Schweine-Meter bis zum Blindenheim und dort scharf nach links in die Grenzstraße (ehemalige Grenze zwischen den Dörfern Amras und Pradl). Wir sind hier öfters auf einem Spaziergang unterwegs und genießen auch heute den Blick auf die gewaltige Nordkette. Das Wetter ist zum Wandern optimal und mit jeder Stunde wird es wärmer. Die Grenzstraße setzt sich dann als Koflerstraße (Tiroler Politiker, 1855–1943) fort und endet erst an der Gumppstraße. Über die Koflerstraße gibt es wenig zu sagen, eine reine Wohngegend mit netten Einfamilien- und Mehrparteienhäusern. Einziger Mangel ist die Infrastruktur, es gibt im Umkreis von 500 Metern kein Lebensmittelgeschäft, aber das ist in ganz Ost-Pradl so.
Wir gehen danach die Gumppstraße ein Stück stadtauswärts bis zur Kreuzung mit der Türingstraße (Erbauer des Goldenen Dachls, gest. 1517), das ist unsere nächste Adresse. Diese Gegend habe ich immer schon gerne gemocht, die einstöckigen Wohnhäuser der sogenannten „Südtiroler-Siedlung“ strahlten für mich immer große Gemütlichkeit aus. Damit ist es jetzt vorbei, seit einiger Zeit wird in der Türingstraße alles abgerissen, was nur ein Stockwerk hat. Eines der Südtiroler-Häuser in dieser Straße steht noch, aber auch sein Schicksal ist längst besiegelt. An der Kreuzung mit der Amthorstraße drehen wir am Absatz um, weil von der Türingstraße noch zwei Querstraßen abgehen. Als Erstes nehmen wir uns Am Rain (Flurname) vor, auch hier stehen noch einige ältere Häuserblocks der Südtirol-Umsiedler und auch die werden wohl nicht mehr lange stehen bleiben. Gleich parallel dazu verläuft Am Roßsprung, die Geschichte dazu habe ich eh gestern schon erzählt. Auch hier dominieren noch die alten Häuser, aber es ist schon erstaunlich, wie rasch sich dieser Teil Innsbrucks in den letzten Jahren verändert hat. Aber durchaus nicht zum Schlechten.
Wir spazieren danach erneut die Türingstraße Richtung Norden runter und kommen wieder zur Amthorstraße (Verleger alpiner Reiseliteratur, 1820–1884). Der folgen wir jetzt stadteinwärts, sie wird uns immerhin bis vor zur Pradler Straße bringen. Wir starten beim Dotterbichl, früher war hier die ganze rechte Straßenseite von Baracken gesäumt. Bis vor zum ehemaligen Kiosk an der Ecke zur Pestalozzistraße. In meinem Taxi-Buch „Eine Million Kilometer durch Innsbruck“ habe ich mich eh ausführlicher mit dieser Sauf-Bude auseinandergesetzt. Genau gegenüber hat sich einer der ersten illegalen Nachtclubs Innsbrucks befunden, im Keller eines ganz normalen Mehrparteienhauses. Die Mieter werden auch einiges mitgemacht haben …
Gehen wir anschließend über die Langstraße, dann kommen wir linksseitig an der ehemaligen Backstube der ebenfalls ehemaligen „Konditorei Schiessling“ vorbei. Ich weiß das deshalb, weil mein Bruder Robert hier eine Lehre begonnen hat und ich ihn ein paar Mal an seinem süßen Arbeitsplatz besucht habe. Auf der gleichen Straßenseite, keine 100 Meter weiter, habe ich einmal ein Erlebnis der besonderen Art gehabt. Ich war zu der Zeit als Fahrer bei der „Spenglerei Auer“ beschäftigt, aber weil ich mich nicht ganz ungeschickt gezeigt habe, durfte ich bald auch kleinere Montagearbeiten durchführen. Und so habe ich, gemeinsam mit einem erfahrenen Kollegen, an einem fünfstöckigen Haus Ablaufrohre angebracht. Das dürfte im Juli 1984 gewesen sein. Jedenfalls hing ich gerade an der Strickleiter in gut 15 Metern Höhe und bohrte mit der schweren Hilti-Maschine Löcher in die Außenmauer. Plötzlich setzte ohne Vorwarnung das heftigste Gewitter ein, das ich je erlebt habe. Sofort nach dem ersten Windstoß prasselte Starkregen auf mich ein, der bald darauf in Hagel überging, die Schloße waren zum Teil so groß wie Tischtennisbälle. Es blitzte und donnerte minutenlang ununterbrochen, mein mich sichernder Kollege war sogleich in den Dachboden geflüchtet und hatte zur Vorsicht die Luke geschlossen. Ich hing also buchstäblich in der Luft, krallte mich an den Sprossen der Strickleiter fest und wurde eine gute Viertelstunde lang von Sturm, Regen und Hagel ordentlich bearbeitet. So etwas vergisst man auch nicht mehr. Übrigens, am nächsten Tag zeigten alle Medien die teils spektakulären Auswirkungen des Unwetters – im Hofgarten etwa war keine einzige Blume heil geblieben und statt der Blütenpracht steckten lediglich nüchterne Hinweisschilder auf das Hagelunwetter in den Beeten.
Die Verlängerung der Amthorstraße ist die Gaswerkstraße (nach dem ehemaligen Innsbrucker Gaswerk), sie wird uns zum Rapoldipark bringen. Die kurze Straße stellt für mich natürlich keine große Herausforderung dar, überhaupt geht es mir körperlich besser als gestern. Klar, den Muskelkater aus der linken Wade werde ich so schnell nicht loswerden, aber sonst ist alles bestens. Trotzdem nützen wir den wunderschönen Stadtpark Rapoldi (Innsbrucker Politiker, 1880–1926) für eine ausführliche Rast, eh die erste heute. Wir pausieren am kleinen See, schauen den Enten beim Schwimmen zu und freuen uns, dass es in der Sonne schon richtig angenehm warm wird.
Um danach zu unserer nächsten Straße zu gelangen, müssen wir ein paar hundert Schweine-Meter machen. Zuerst durch den Rapoldipark durch, dann über den Leipziger Platz und schließlich noch die Hunoldstraße ein Stück rauf. Aber dann befinden wir uns endlich in der Hörmannstraße (nach einem Ehepaar, sie Lyrikerin, 1843–1921, er Volkskundler, 1837–1924), die von hier links abzweigt. Wenn man die schmale Straße entlanggeht, dann kann man sich nicht vorstellen, dass das ein Teil der Rad-WM-Strecke von 2018 gewesen ist und die Profis hier mit einem lockeren 50er durchgeprescht sind. Heute ist weit weniger los, beim Sonnpark drehen wir um und gehen die Hälfte der Hörmannstraße wieder zurück, um zur Knollerstraße (Tiroler Maler, 1725–1804) zu gelangen. Die Knollerstraße hat sich zeit meines Lebens nicht verändert, ich kenne sie nur so. Zu tun hatte ich hier allerdings nie etwas, eigentlich ist die Knollerstraße eine reine Wohnstraße. Sie findet ihr Ende an der Anzengruberstraße, die gehen wir ein paar Meter nach rechts, um danach links in die Purtschellerstraße (Tiroler Alpinist, 1849–1900) einzubiegen. Auch hier habe ich dereinst ein Straßenschild gefunden, schon bevor es die Stadt vermisst hat. Ich habe es meinem Freund Wolfgang geschenkt, er war damals gerade nach Wien übersiedelt und das Schild mit seinem Namen sollte ihn an Innsbruck erinnern. Ganz davon abgesehen, dass es sich bei Ludwig Purtscheller um seinen Großonkel handelte.
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