23
Die Kräfte ermatten, ermüden die Arme,
Schwindelnd wankt der weiße Schwertgott. 27Ohnmacht befällt sie in der eisigen Nachtluft, Die Sinne schwanken der ganzen Versammlung.
24
Da trieb aus dem Thore wieder der Tag
Sein schön mit Gestein geschmücktes Ross;
Weit über Mannheim glänzte die Mähne:
Des Zwergs Ueberlisterin zog es im Wagen.
25
Am nördlichen Rand der nährenden Erde
Unter des Urbaums äußerste Wurzel
Gingen zur Ruhe Gygien und Thursen,
Gespenster, Zwerge und Schwarzalfen.
26
Auf standen die Herscher und die Alfenbestralerin;
Die Nacht sank nördlich gen Nifelheim.
Ulfrunas Sohn stieg Argiöl 27hinan, Der Hornbläser, zu den Himmelsbergen.
5. Vegtamskvidha
. Das Wegtamslied.
Inhaltsverzeichnis
1
Die Asen eilten all zur Versammlung
Und die Asinnen all zum Gespräch:
Darüber beriethen die himmlischen Richter,
Warum den Baldur böse Träume schreckten?
2
(Ihm schien der schwere Schlaf ein Kerker,
Verschwunden des süßen Schlummers Labe.
Da fragten die Fürsten vorschaunde Wesen,
Ob ihnen das wohl Unheil bedeute?
3
Die Gefragten sprachen: »Dem Tode verfallen ist
Ullers 31Freund, so einzig lieblich.« Darob erschraken Swafnir und Frigg, Und alle die Fürsten sie faßten den Schluß:
4
»Wir wollen besenden die Wesen alle,
Frieden erbitten, daß sie Baldurn nicht schaden.«
Alles schwur Eide, ihn zu verschonen;
Frigg nahm die festen Schwür in Empfang.
5
Allvater achtete das ungenügend,
Verschwunden schienen ihm die Schutzgeister all.
Die Asen berief er Rath zu heischen;
Am Mahlstein gesprochen ward mancherlei.)
6
Auf stand Odhin, der Allerschaffer,
Und schwang den Sattel auf Sleipnirs 42Rücken. Nach Nifelheim hernieder ritt er; Da kam aus Hels Haus ein Hund ihm entgegen,
7
Blutbefleckt vorn an der Brust,
Kiefer und Rachen klaffend zum Biß,
So ging er entgegen mit gähnendem Schlund
Dem Vater der Lieder und bellte laut.
Fort ritt Odhin, die Erde dröhnte,
Zu dem hohen Hause kam er der Hel.
8
Da ritt Odhin ans östliche Thor,
Wo er der Wala wuste den Hügel.
Das Wecklied begann er der Weisen zu singen,
(Nach Norden schauend schlug er mit dem Stabe,
Sprach die Beschwörung Bescheid erheischend)
Bis gezwungen sie aufstand Unheil verkündend.
Wala .
9
Welcher der Männer, mir unbewuster,
Schafft die Beschwerde mir solchen Gangs?
Schnee beschneite mich, Regen beschlug mich,
Thau beträufte mich, todt war ich lange.
Odhin .
10
Ich heiße Wegtam, bin Waltams Sohn,
Wie ich von der Oberwelt sprich von der Unterwelt.
Wem sind die Bänke mit Baugen (Ringen) bestreut,
Die glänzenden Betten mit Gold bedeckt?
Wala .
11
Hier steht dem Baldur der Becher eingeschenkt,
Der schimmernde Trank, vom Schild bedeckt.
Die Asen alle sind ohne Hoffnung.
Genöthigt sprach ich, nun will ich schweigen.
Wegtam .
12
Schweig nicht, Wala, ich will dich fragen
Bis Alles ich weiß. Noch wüst ich gerne:
Welcher der Männer ermordet Baldurn,
Wird Odhins Erben das Ende fügen?
Wala .
13
Hieher bringt Hödr 28den hochberühmten, Er wird der Mörder werden Baldurs, Wird Odhins Erben das Ende fügen. 49Genöthigt sprach ich, nun will ich schweigen.
Wegtam .
14
Schweig nicht, Wala, ich will dich fragen
Bis Alles ich weiß. Noch wüst ich gerne:
Wer wird uns Rache gewinnen an Hödur,
Und zum Bühle bringen Baldurs Mörder?
Wala .
15
Rindur 30, 36im Westen gewinnt den Sohn, Der einnächtig, Odhins Erbe, zum Kampf geht. Er wäscht die Hand nicht, das Haar nicht kämmt er Bis er zum Bühle brachte Baldurs Mörder. Genöthigt sprach ich, nun will ich schweigen.
Wegtam .
16
Schweig nicht, Wala, ich will dich fragen
Bis Alles ich weiß. Noch wüst ich gerne:
Wie heißt das Weib, die nicht weinen will
Und himmelan werfen des Hauptes Schleier?
Sage das Eine noch, nicht eher schläfst du.
Wala .
17
Du bist nicht Wegtam, wie erst ich wähnte,
Odhin bist du der Allerschaffer.
Odhin .
18
Du bist keine Wala, kein wißendes Weib,
Vielmehr bist du dreier Thursen Mutter.
Wala .
19
Heim reit nun, Odhin, und rühme dich:
Kein Mann kommt mehr mich zu besuchen
Bis los und ledig Loki der Bande wird
Und der Götter Dämmerung verderbend einbricht.
6. Hâvamâl
. Des Hohen Lied.
Inhaltsverzeichnis
1
Der Ausgänge halber bevor du eingehst
Stelle dich sicher,
Denn ungewiss ist, wo Widersacher
Im Hause halten.
2
Heil dem Geber! der Gast ist gekommen:
Wo soll er sitzen?
Athemlos ist, der unterwegs
Sein Geschäft besorgen soll.
3
Wärme wünscht der vom Wege kommt
Mit erkaltetem Knie;
Mit Kost und Kleidern erquicke den Wandrer,
Der über Felsen fuhr.
4
Waßer bedarf, der Bewirthung sucht,
Ein Handtuch und holde Nöthigung.
Mit guter Begegnung erlangt man vom Gaste
Wort und Wiedervergeltung.
5
Witz bedarf man auf weiter Reise;
Daheim hat man Nachsicht.
Zum Augengespött wird der Unwißende,
Der bei Sinnigen sitzt.
6
Doch steife sich Niemand auf seinen Verstand,
Acht hab er immer.
Wer klug und wortkarg zum Wirthe kommt
Schadet sich selten:
Denn festern Freund als kluge Vorsicht
Mag der Mann nicht haben.
7
Vorsichtiger Mann, der zum Male kommt,
Schweigt lauschend still.
Mit Ohren horcht er, mit Augen späht er
Und forscht zuvor verständig.
8
Selig ist, der sich erwirbt
Lob und guten Leumund.
Unser Eigentum ist doch ungewiss
In des Andern Brust.
9
Selig ist, wer selbst sich mag
Im Leben löblich rathen,
Denn übler Rath wird oft dem Mann
Aus des Andern Brust.
10
Nicht beßre Bürde bringt man auf Reisen
Als Wißen und Weisheit.
So frommt das Gold in der Fremde nicht,
In der Noth ist nichts so nütze.
11
Nicht üblern Begleiter giebt es auf Reisen
Als Betrunkenheit ist,
Und nicht so gut als Mancher glaubt
Ist Ael den Erdensöhnen,
Denn um so minder je mehr man trinkt
Hat man seiner Sinne Macht.
12
Der Vergeßenheit Reiher überrauscht Gelage
Und stiehlt die Besinnung.
Des Vogels Gefieder besing auch Mich
In Gunlöds Haus und Gehege.
13
Trunken ward ich und übertrunken
In des schlauen Fialars Felsen.
Trunk mag taugen, wenn man ungetrübt
Sich den Sinn bewahrt.
14
Schweigsam und vorsichtig sei des Fürsten Sohn
Und kühn im Kampf.
Heiter und wohlgemuth erweise sich Jeder
Bis zum Todestag.
15
Der unwerthe Mann meint ewig zu leben,
Wenn er vor Gefechten flieht.
Das Alter gönnt ihm doch endlich nicht Frieden,
Obwohl der Sper ihn spart.
16
Der Tölpel glotzt, wenn er zum Gastmal kommt,
Murmelnd sitzt er und mault.
Hat er sein Theil getrunken hernach,
So sieht man welchen Sinns er ist.
17
Der weiß allein, der weit gereist ist,
Und Vieles hat erfahren,
Welches Witzes jeglicher waltet,
Wofern ihm selbst der Sinn nicht fehlt.
18
Lange zum Becher nur, doch leer ihn mit Maß,
Sprich gut oder schweig.
Niemand wird es ein Laster nennen,
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