Daß dieser unbekannte Factor Rückschlag auf einen früheren Zustand der Existenz ist, kann als im höchsten Grade wahrscheinlich angenommen werden. 112Es ist völlig unglaublich, daß ein Mensch nur in Folge eines bloßen Zufalls abnormer Weise in nicht weniger als sieben seiner Muskeln gewissen Affen gleichen sollte, wenn nicht ein genetischer Zusammenhang zwischen ihnen bestände. Stammt auf der andern Seite der Mensch von irgend einer affenähnlichen Form ab, so läßt sich kein triftiger Grund beibringen, warum gewisse Muskeln nach einem Verlauf von vielen tausend Generationen nicht plötzlich in derselben Weise wiedererscheinen sollten, wie bei Pferden, Eseln und Maulthieren dunkelfarbige Streifen auf den Beinen und Schultern nach einem Verlauf von Hunderten oder wahrscheinlich Tausenden von Generationen plötzlich wieder erscheinen.
Diese verschiedenen Fälle von Rückschlag sind denen von rudimentären Organen, wie sie im ersten Capitel mitgetheilt wurden, so nahe verwandt, daß viele von ihnen mit gleichem Recht in jedem der beiden Capitel hätten untergebracht werden können. So kann man sagen, daß ein menschlicher Uterus, welcher Hörner besitzt, in einem rudimentären Zustande das Organ repräsentiert, wie es gewisse Säugethiere im normalen Zustande besitzen. Manche Theile, welche beim Menschen rudimentär sind, wie das Schwanzbein bei beiden Geschlechtern und die Brustdrüsen beim männlichen Geschlecht, sind immer vorhanden, während andere, wie das supracondyloide Loch, nur gelegentlich erscheinen und daher in die Kategorie der Rückschlagsfalle hätten aufgenommen werden können. Diese verschiedenen auf Rückschlag ebenso wie auf Verkümmerung im strengen Sinne zu beziehenden Bildungen decken die Abstammung des Menschen von irgend einer niederen Form in einer nicht mißzuverstehenden Weise auf.
Fußnote
94Mémoire sur les Microcéphales. 1867, p. 50, 125, 169, 171, 184-198.
95Professor Laycock faßt die Charaktere der thierähnlichen Idioten in der Art zusammen, daß er sie theroid nennt (Journal of Mental Science, July 1863). Dr. Scott (The Deaf and Dumb, 2. ed. 1870. p. 10) hat oft beobachtet, wie Geistesschwache ihre Nahrung beriechen, s. über denselben Gegenstand und über das Behaartsein der Idioten: Dr. Maudsley , Body and Mind, 1870, p. 46-51. Auch Pinel hat ein auffallendes Beispiel von Behaartsein bei einem Blödsinnigen mitgetheilt.
96In meinem »Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication«, 2. Aufl. Bd. II, S. 65 schrieb ich den nicht seltnen Fall von überzähligen Brustdrüsen bei Frauen dem Rückschlage zu. Ich war hierzu, als zu einem wahrscheinlichen Schlusse, dadurch geführt worden, daß die überzähligen Drüsen meist symmetrisch auf der Brust stehen, und besonders noch dadurch, daß in einem Falle, bei der Tochter einer Frau mit überzähligen Brustdrüsen eine einzelne fungierende Milchdrüse in der Weichengegend vorhanden war. Ich bemerke aber jetzt (s. z. B. Preyer , Der Kampf um's Dasein, 1869, p. 45), daß mammae erraticae auch an andern Stellen vorkommen, so am Rücken, in der Achselhöhle und am Schenkel; die Drüsen gaben im letztern Falle so viel Milch, daß das Kind damit ernährt wurde. Die Wahrscheinlichkeit, daß die über zähligen Milchdrüsen in Folge von Rückschlag erschienen, wird hierdurch bedeutend vermindert; nichtsdestoweniger erscheint mir dies noch immer wahrscheinlich, weil häufig zwei Paar symmetrisch auf der Brust gefunden werden; von mehreren Fällen dieser Art ist mir selbst Mittheilung geworden. Es ist bekannt, daß mehrere Lemure normal zwei Paar Milchdrüsen an der Brust haben. Es sind fünf Fälle vom Vorhandensein von mehr als einem Paare Brustdrüsen (natürlich rudimentären) beim männlichen Geschlecht (Mensch) mitgetheilt worden; s. Journal of Anat. and Physiology, 1872, p. 56, in Bezug auf einen von Dr. Handyside angeführten Fall von zwei Brüdern, welche diese Eigenthümlichkeit darboten; s. auch einen Aufsatz von Dr. Bartels in Reichert und Dubois-Reymond's Archiv, 1872, p. 304. In einem der von Dr. Bartels erwähnten Fälle besaß ein Mann fünf Milchdrüsen, eine davon in der Mittellinie oberhalb des Nabels; Meckel von Hemsbach glaubt, daß dies durch das Vorkommen einer medianen Mamma bei gewissen Fledermäusen illustriert wird. Im Ganzen dürfen wir wohl bezweifeln, ob sich in beiden Geschlechtern beim Menschen jemals überzählige Brustdrüsen überhaupt hätten entwickeln können, wenn nicht seine früheren Urerzeuger mit mehr als einem einzigen Paare versehen gewesen wären. In meinem oben angeführten Werke (Bd. II, p. 14) schrieb ich auch, wennschon mit großer Zögerung, die häufigen Fälle von Polydactylismus beim Menschen dem Rückschlage zu. Zum Theil wurde ich durch die Angabe Professor Owen 's, daß einige Ichthyopterygier mehr als fünf Finger haben und daher, wie ich annahm, einen ursprünglichen Zustand beibehalten haben, zu dieser Erklärung veranlaßt; Professor Gegenbaur bestreitet indeß Owen 's Folgerungen (Jenaische Zeitschrift Bd. V, Heft 3, p. 341). Es scheint aber andrerseits nach der vor Kurzem von Dr. Günther über die Flosse des Ceratodus vorgetragenen Ansicht (welche Flosse zu beiden Seiten einer centralen Reihe von Knochenstücken mit gegliederten knöchernen Strahlen versehen ist) nicht besonders schwierig, anzunehmen, daß sechs oder mehr Finger an der einen Seite, oder die doppelte Zahl an beiden Seiten, durch Rückschlag wiedererscheinen können. Dr. Zouteveen hat mir mitgetheilt, daß ein Fall bekannt ist, wo ein Mann vierundzwanzig Finger und vierundzwanzig Zehen hatte! Zu der Folgerung, daß das Vorhandensein überzähliger Finger eine Folge des Rückschlages sei, wurde ich vorzüglich durch die Thatsache geführt, daß derartige Finger nicht bloß streng vererbt werden, sondern auch, wie ich damals glaubte, das Vermögen haben, wie die normalen Finger niederer Wirbelthiere, nach Amputationen wieder zu wachsen. Ich habe aber in der zweiten Auflage meines Werkes »Das Variiren im Zustande der Domestication« erklärt, warum ich den berichteten Fällen eines derartigen Wiederwachsens nur wenig Vertrauen schenke. Nichtsdestoweniger verdient es, insofern Entwicklungshemmung und Rückschlag eng verwandte Vorgänge sind, Beachtung, daß das Vorhandensein verschiedener Bildungen in einem embryonalen oder gehemmten Zustande, wie ein gespaltener Gaumen, ein zweihörniger Uterus u. s. w., häufig mit Polydactylismus verbunden ist. Meckel und I. Geoffroy St. Hilaire haben dies stets betont. Für jetzt ist es aber am sichersten, die Idee ganz und gar aufzugeben, daß zwischen der Entwicklung überzähliger Finger und dem Rückschlage auf irgend einen niedrig organisierten Vorfahren des Menschen irgend eine Beziehung bestehe.
97s. Dr. A. Farre 's bekannten Artikel in der Cyclopaedia of Anatomy and Phys. Vol. V. 1859, p. 642. Owen . Anatomy of Vertebrates. Vol. III. 1868, p. 687. Prof. Turner , in: Edinburgh Medical Journal, Febr. 1865.
98Annuario della Soc. dei Naturalisti di Modena. 1867, p. 83. Prof. Canestrini giebt Auszüge aus verschiedenen Autoren über diesen Gegenstand. Laurillard bemerkt, daß er in der Form, den Proportionen und der Verbindung der beiden Wangenbeine bei mehreren menschlichen Körpern und gewissen Affen eine vollständige Ähnlichkeit gefunden habe und daß er diese Anordnung der Theile nicht als einen bloßen Zufall zu betrachten vermöge. Einen andern Aufsatz über dieselbe Anomalie hat Dr. Saviotti in der »Gazetta delle Cliniche«, Turin, 1871, veröffentlicht, wo er angiebt, daß sich Spuren der Theilung in ungefähr 2 % erwachsener Schädel nachweisen lassen; er bemerkt auch, daß sie häufiger in prognathen, nicht-arischen Schädeln vorkomme als in anderen, s. auch G. Delorenzi über denselben Gegenstand: »Tre nuovi casi d'anomalia dell'osso malare«, Torino, 1872. Auch E. Morselli , Sopra una rara anomalia dell'osso malare. Modena, 1872. Noch neuerlicher hat Gruber eine Brochure über die Theilung dieses Knochens geschrieben. Ich führe diese Citate hier an, weil ein Kritiker ohne Grund und ohne Bedenken meine Angaben bezweifelt hat.
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