Professor Canestrini kommt nach Erörterung der vorstehenden und noch anderer analoger Fälle zu demselben Schluß, wie der eben mitgetheilte. Er führt als ferneres Beispiel noch das Wangenbein an, 98welches bei einigen Quadrumanen und andern Säugethieren normal aus zwei Theilen besteht. Dies ist sein Zustand im zweimonatlichen menschlichen Foetus; und so bleibt es zuweilen in Folge von Entwicklungshemmung beim erwachsenen Menschen und besonders bei den niederen prognathen Rassen. Hieraus schliesst Canestrini , daß bei irgend einem früheren Urerzeuger des Menschen dieser Knochen normal in zwei Theile getheilt gewesen sein muß, welche später mit einander verschmolzen sind. Beim Menschen besteht das Stirnbein aus einem einzigen Stück, aber im Embryo und bei Kindern und bei fast allen niederen Säugethieren besteht es aus zwei durch eine deutliche Naht getrennten Stücken. Diese Naht bleibt gelegentlich mehr oder weniger deutlich beim Menschen noch nach der Reifeperiode bestehen und findet sich häufiger bei Schädeln aus dem Alterthum als bei solchen aus der Neuzeit, und besonders, wie Canestrini beobachtet hat, bei den aus der Driftformation ausgegrabenen und zum brachycephalen Typus gehörigen Schädeln. Auch hier gelangt er wieder zu demselben Schluß, wie bei dem analogen Falle von Wangenbein. Bei diesen und andern sofort zu gebenden Beispielen scheint die Ursache der Thatsache, daß ältere Rassen in gewissen Merkmalen sich häufiger niederen Thieren annähern, als es neuere Rassen thun, die zu sein, daß die letzteren durch einen etwas größeren Abstand in der langen Descendenzreihe von ihren früheren halbmenschlichen Vorfahren getrennt sind.
Verschiedene andere Anomalien beim Menschen, welche den vorstehenden mehr oder weniger analog sind, sind von verschiedenen Schriftstellern als Fälle von Rückschlag aufgeführt worden; doch scheinen dieselben ziemlich zweifelhaft zu sein; denn wir müssen außerordentlich tief in der Säugethierreihe hinabsteigen, ehe wir derartige Verhältnisse normal vorhanden finden. 99
Beim Menschen sind die Eckzähne vollständig fungierende Kauwerkzeuge; aber ihr eigentlicher Charakter als Eckzähne wird, wie Owen bemerkt, 100»durch die conische Form ihrer Krone angedeutet, welche in einer stumpfen Spitze endet, nach außen convex, nach innen eben oder subconcav ist und an der Basis der inneren Fläche einen schwachen Vorsprung zeigt. Die conische Form ist am besten bei den melanesischen Rassen, besonders bei den Australiern ausgedrückt. Der Eckzahn ist tiefer und mit einer stärkeren Wurzel als die Schneidezähne eingepflanzt«. Und doch dient dieser Eckzahn beim Menschen nicht mehr als eine specielle Waffe zum Zerreißen seiner Feinde oder seiner Beute; er kann daher, soweit es seine eigentliche Function betrifft, als rudimentär betrachtet werden. In jeder größeren Sammlung menschlicher Schädel können einige gefunden werden, wie Haeckel 101bemerkt, bei denen der Eckzahn beträchtlich, in derselben Weise wie bei den anthropomorphen Affen, aber in einem geringeren Grade, über die andern Zähne vorspringt. In diesen Fällen bleiben zwischen den Zähnen der einen Kinnlade offene Stellen zur Aufnahme der Eckzähne des entgegengesetzten Kiefers. Ein Zwischenraum dieser Art an einem Kaffernschädel, den Wagner abbildete, ist überraschend groß. 102Bedenkt man, wie wenig alte Schädel im Vergleich mit neueren untersucht worden sind, so ist es eine interessante Thatsache, daß in mindestens drei Fällen die Eckzähne bedeutend vorspringen, und in dem Kiefer von Naulette sind sie, wie man sagt, enorm. 103Nur die Männchen der anthropomorphen Affen haben völlig entwickelte Eckzähne; aber beim weiblichen Gorilla und in einem geringeren Grade beim weiblichen Orang springen diese Zähne beträchtlich über die andern vor; die Thatsache also, daß, wie man mir versichert hat, Frauen zuweilen beträchtlich vorspringende Eckzähne besitzen, bietet keinen ernstlichen Einwand gegen die Annahme dar, daß ihre gelegentlich bedeutende Entwicklung beim Menschen ein Fall von Rückschlag auf die Form des affenähnlichen Urerzeugers sei. Wer die Ansicht verlacht, daß die Form seiner eigenen Eckzähne und deren gelegentliche bedeutende Entwicklung bei andern Menschen Folge des Umstands ist, daß unsere frühen Urerzeuger mit diesen furchtbaren Waffen versehen gewesen sind, wird doch wahrscheinlich im Acte des Verhöhnens seine Abstammung offenbaren. Denn obschon er nicht mehr diese Zähne als Waffen zu gebraucht geneigt ist und nicht einmal die Kraft dazu hat, so wird er doch unbewußter Weise seine Fletschmuskeln (wie sie Sir C. Bell 104nennt) zusammenziehen und dadurch jene Zähne ebenso zur Action bereit exponieren wie ein Hund, der zum Kampfe gerüstet ist.
Gelegentlich entwickeln sich viele Muskeln beim Menschen, welche andern Vierhändern oder andern Säugethieren eigen sind. Professor Vlacovich 105untersuchte vierzig männliche Leichen und fand bei neunzehn unter ihnen einen Muskel, den er den ischiopubicus nennt; bei drei andern war ein Band vorhanden, welches diesen Muskel ersetzte, und bei den übrigen achtzehn fand sich keine Spur davon. Unter dreißig weiblichen Leichen war dieser Muskel auf beiden Seiten nur bei zweien entwickelt, aber bei drei andern fand sich das rudimentäre Band. Es scheint daher dieser Muskel beim männlichen Geschlecht viel häufiger zu sein als beim weiblichen, und aus dem Princip, nach welchem der Mensch von einer niederen Form abstammt, läßt sich diese Thatsache wohl verstehen. Denn bei mehreren niederen Thieren ist der Muskel nachgewiesen worden und dient bei allen diesen ausschließlich nur den Männchen beim Reproductionsgeschäft.
Mr. J. Wood hat in einer Reihe werthvoller Aufsätze 106eine ungeheure Anzahl von Muskelvarietäten beim Menschen ausführlich beschrieben, welche normalen Bildungen bei niederen Thieren gleichen. Betrachtet man nur die Muskeln, welche denen gleichen, die bei unsern nächsten Verwandten, den Vierhändern, regelmäßig vorhanden sind, so sind diese schon zu zahlreich, um hier auch nur angeführt zu werden. Bei einem einzigen männlichen Leichnam, welcher eine kräftige körperliche Entwicklung und einen wohlgebildeten Schädel besaß, wurden nicht weniger als sieben Muskelabweichungen beobachtet, welche sämmtlich deutlich Muskeln repräsentieren, welche verschiedenen Arten von Affen eigen sind. So hatte dieser Mensch z. B. auf beiden Seiten des Halses einen echten und kräftigen Levator claviculae, so wie er sich bei allen Arten von Affen findet und von welchem man sagt, daß er bei ungefähr einer unter sechzig menschlichen Leichen vorkommt. 107Ferner hatte dieser Mensch »einen speciellen Abductor des Metatarsalknochens der fünften Zehe, einen solchen wie er nach den Demonstrationen von Professor Huxley und Mr. Flower gleichförmig bei den höheren und niederen Affen existiert«. Ich will nur noch zwei weitere Fälle anführen. Der Acromio-basilaris findet sich bei allen, in der Thierreihe unter dem Menschen stehenden Säugethieren und scheint zu dem Gang auf allen Vieren in Beziehung zu stehen; 108beim Menschen erscheint er an einer von ungefähr sechzig Leichen. Von den Muskeln der unteren Gliedmaßen fand Mr. Bradley 109einen Abductor ossis metatarsi quinti an beiden Füßen beim Menschen; bis dahin war kein Fall von seinem Vorkommen beim Menschen berichtet worden; er findet sich aber stets bei den anthropomorphen Affen. Die Hände und Arme des Menschen sind außerordentlich charakteristische Bildungen, doch sind ihre Muskeln äußerst geneigt zu variieren, so daß sie dann den entsprechenden Muskeln bei niederen Thieren gleichen. 110Derartige Ähnlichkeiten sind entweder vollständig und vollkommen oder unvollkommen, im letzteren Fall aber offenbar von einer Übergangsbeschaffenheit. Gewisse Abweichungen sind häufiger beim Mann, andere häufiger bei der Frau, ohne daß wir im Stande wären, irgend einen Grund hierfür anzuführen. Nach der Beschreibung zahlreicher Abänderungen macht Mr. Wood die folgende bezeichnende Bemerkung: »bemerkenswerthe Abweichungen von dem gewöhnlichen Typus der Muskelbildungen bewegen sich in bestimmten Richtungen, welche für Andeutungen irgend eines unbekannten Factors gehalten werden müssen, der für eine umfassende Kenntnis der allgemeinen und wissenschaftlichen Anatomie von hoher Bedeutung ist«. 111
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