Ungeachtet dieser Abmachung hüpfte Dotties Herz vor Glück, als sie drei Tage später neben Kay Petersen im Wartezimmer der Ärztin saß. Taten bedeuten mehr als Worte, und was immer Dick sagen mochte, es war eine Tatsache, dass er sie hergeschickt hatte, um gleichsam durch den Ring oder das ringförmige Pessar, das die Ärztin verschrieb, ferngetraut zu werden. Mit frisch gewelltem Haar und einem leuchtenden Teint, dem man die Kosmetikbehandlung ansah, wirkte sie ruhig und selbstsicher, wie eine zufriedene, erwachsene Frau, fast wie Mama und ihre Freundinnen. Das Wissen um die Dinge verlieh ihr diese Gelassenheit. Kay hatte es kaum glauben wollen, aber Dottie hatte ganz allein eine Beratungsstelle für Geburtenkontrolle aufgesucht. Dort hatte man ihr die Adresse einer Ärztin gegeben sowie einen Stapel von Prospekten über eine Unzahl verschiedener Pessare mit allen Vor- und Nachteilen – Tamponeinlagen, Schwammeinlagen, Intrauterinpessare, Portiokappen, Seidenringe, Ketten et cetera. Man hatte Dottie ein neues Fabrikat empfohlen, das von der gesamten Ärzteschaft der USA befürwortet wurde. Margaret Sanger hatte es in Holland entdeckt, man importierte es jetzt zum ersten Mal in großen Mengen in die Staaten und auch die einheimischen Hersteller durften es kopieren. Es vereinigte das Maximum an Schutz mit einem Minimum an Unannehmlichkeit und konnte, nach Anleitung eines Facharztes, von jeder halbwegs intelligenten Frau angewendet werden.
Diesen Artikel, eine auf einen Spiralrand montierte Gummikappe, gab es in verschiedenen Größen, und jetzt sollte in Dotties Scheide festgestellt werden, welche für sie die richtige und die bequemste sei, ähnlich wie man beim Augenarzt ein Brillenglas ausprobiert. Die Ärztin würde das Pessar einsetzen und, wenn sie die richtige Größe gefunden hatte, Dottie anleiten, wie man es einlegte, wie man es mit einer Verhütungscreme einschmierte, indem man einen Klecks davon in die Mitte tat, wie man in die Hocke ging, das Pessar mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand zusammendrückte, mit der linken Hand die Schamlippen teilte und es dann so einschob, dass es auf den Gebärmutterhals aufsprang, und wie man schließlich mit dem Mittelfinger der rechten Hand nachfühlte, ob die Cervix oder der Gebärmutterhals auch wirklich ganz durch den Gummi verschlossen war. Wenn das mehrfach zur Zufriedenheit der Ärztin geübt worden wäre, würde Dottie lernen, wie und wann man eine Spülung machte, wie viel Wasser man verwenden, in welcher Höhe man den Irrigator aufhängen und wie man die Schamlippen fest um das eingefettete Mundstück drücken müsse, um die besten Resultate zu erzielen. Beim Verlassen der Praxisräume würde die Schwester ihr einen festen Umschlag aushändigen, der eine Tube Vaginalsalbe und ein flaches Kästchen mit dem Pessar enthielt. Die Schwester würde ihr dann noch die Pflege des Pessars erklären: Nach jedem Gebrauch waschen, sorgfältig abtrocknen und, bevor man es in den Kasten zurücklegt, mit Talkumpuder einstäuben.
Kay und Harald fielen fast in Ohnmacht, als sie erfuhren, was Dottie hinter ihrem Rücken getrieben hatte. Sie besuchte sie in ihrer Wohnung, brachte ihnen als Hochzeitsgeschenk ein antikes silbernes Milchkännchen mit – das typische Alte-Tanten-Geschenk – und einen Strauß weißer Pfingstrosen. Die tief enttäuschte Kay rechnete sich aus, dass man für dasselbe Geld etwas Schlichtes und Modernes bei Jensen, dem dänischen Silberschmied, bekommen hätte. Dann verschwand Harald in der Küche, um das Abendessen zu machen (Muschelhaschee auf Toast, eine Konservenneuheit), und Dottie erzählte Kay, die wissen wollte, was sie inzwischen erlebt habe, seelenruhig, dass sie sich Dick Brown zum Liebhaber genommen habe. Auf Dottie passte diese hoheitsvoll klingende Formulierung einfach grandios. Das musste Kay unbedingt Harald erzählen. Es war anscheinend erst vergangene Nacht passiert, in Dicks Atelier, und bereits heute war Dottie in die Beratungsstelle für Geburtenkontrolle gelaufen und hatte sich die vielen Prospekte besorgt, die jetzt in ihrer Handtasche steckten. Kay wusste nicht, was sie dazu sagen sollte, aber ihr Gesicht verriet wohl, wie entsetzt sie war. Dottie musste verrückt geworden sein. Hinter seiner virilen Fassade, wie Harald das nannte, war Dick Brown ein völlig verkorkster Mensch, ein Trinker und erbitterter Weiberfeind mit einem grässlichen Minderwertigkeitskomplex, weil seine mondäne Frau sich von ihm getrennt hatte. Seine Motive waren völlig klar – er benutzte Dottie, um an der Gesellschaft Rache zu nehmen für die Wunde, die sie seinem Ego zugefügt hatte. Kay konnte es kaum erwarten, wie Harald die Sache psychologisch zerpflücken würde, sobald sie erst allein wären. Aber trotz aller Ungeduld forderte sie Dottie auf, zum Essen zu bleiben, sehr zu Haralds Erstaunen, der ein Tablett mit Cocktails hereinbrachte. Wenn Harald erst im Theater war, würde Dottie bestimmt noch mehr erzählen. »Ich musste sie einladen«, entschuldigte sie sich bei einem kurzen Gespräch in der Küche. Sie flüsterte ihm ins Ohr: »Etwas Furchtbares ist passiert, und wir sind verantwortlich: Dick Brown hat sie verführt.«
Immer wieder sah sie Dottie an, aber sie konnte sie sich einfach nicht mit einem Mann im Bett vorstellen: Sie wirkte so brav, mit ihren Perlen, dem Schneiderkostüm mit weißem Besatz, dem eleganten marineblauen Strohhut und wie sie so heiter gelassen ihren Cocktail aus der Russel-Wright-Schale nippte und sich den Eiweißschnurrbart von der Oberlippe wischte.
Harald meinte später, sie sei auf ihre eichkätzchenhafte Art ein recht appetitliches Ding, mit diesen freundlichen braunen Augen, die stillvergnügt strahlten, und den langen Wimpern, die bei jedem Blick, den sie auf ihn richtete, zu flattern schienen. Doch er merkte nicht, wie viel auf das Konto ihrer Kleidung ging. Dottie verdankte es ihrer cleveren Mutter, dass sie sich so schick anzog. Sie war die Einzige aus der Bostoner Gruppe in Vassar, die sich nicht in Tweed und Wollschals hüllte, was die armen Dinger wie hagere ältliche Gouvernanten auf einem Sonntagsspaziergang wirken ließ. Nach Haralds Ansicht versprach ihre vollbusige Figur, die sich unter ihren schräg geschnittenen Blusen abzeichnete, ein sinnliches Temperament. Wahrscheinlich, das musste Kay sich eingestehen, hatte es tatsächlich etwas zu bedeuten, dass Dick selbst und anscheinend sogar aus eigener Initiative Dottie aufgefordert hatte, sich ein Pessar anpassen zu lassen. »Du sollst mich um Rat fragen?«, wiederholte Kay erstaunt und einigermaßen geschmeichelt, nachdem Harald gegangen war und sie zusammen das Geschirr spülten. Sie hatte immer geglaubt, dass er sie nicht leiden könne. Pessare waren ihr zwar ein Begriff, sie selbst jedoch besaß keines. Mit Harald benutzte sie immer Zäpfchen, und sie genierte sich ein wenig, das Dottie einzugestehen, da Dottie sie offenbar derartig überflügelt hatte, und das nach einer einzigen Nacht … Sie beneidete Dottie um ihre Tatkraft, mit der sie die Beratungsstelle für Geburtenkontrolle aufgesucht hatte. Sie selbst hätte als Unverheiratete niemals den Mut dazu aufgebracht. Ob es wohl ein gutes Zeichen sei, dass Dick ihr das nahegelegt hatte, wollte Dottie wissen, und Kay musste zugeben, dass es ganz so aussah. Es könne nur bedeuten, dass Dick regelmäßig mit ihr zu schlafen gedenke – wenn man das für gut hielt.
Als sie sich über ihre eigenen Gefühle Rechenschaft ablegte, entdeckte Kay, dass sie sich ärgerte. Der Gedanke, dass Dottie im Bett besser war als sie, wurmte sie. Aber um der Wahrheit willen musste sie Dottie doch sagen, dass Dick sich im Fall einer flüchtigen Affäre mit Präservativen (wie Harald es anfangs auch getan hatte) oder dem Coitus interruptus begnügt hätte. »Er scheint dich gern zu haben, Renfrew«, erklärte sie und wrang den Spüllappen aus, »oder jedenfalls gern genug.« Das war auch Haralds Meinung.
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