Zwischen den Händlern, Marktfrauen, Büroangestellten, Fahrradfahrern und Touristen laufen unzählige Kinder herum. Jungen und Mädchen spielen Fangen, jagen sich gegenseitig etwas ab oder versuchen etwas von Touristen oder Büroangestellten zu bekommen. Plötzlich bemerke ich etwas Ungewöhnliches. Zwei Mädchen gehen auf einen Einheimischen zu, der sich gerade eine Zigarette gönnt, sie fragen ihn etwas und er antwortet kopfschüttelnd. Daraufhin geben sie ihm etwas in die Hand und laufen lachend weg. Nun schaut sich der Mann an, was die Kinder ihm gegeben haben. Es ist ein Zettel. Er liest ihn sich durch und in seinem Gesicht stehen Verwunderung und ein leichtes Entsetzen.
Das Spiel wiederholt sich. Die Kinder rennen erneut zu einem Erwachsenen, fragen ihn freundlich etwas, er reagiert ablehnend, die Mädchen geben dem Erwachsenen daraufhin einen Zettel, dann laufen sie weg, und nachdem der Erwachsene den Zettel durchgelesen hat, friert seine Mimik ein.
Während mein Bekannter und ich weiter die Kinder beobachten, zündet sich mein Bekannter eine Zigarette an. Völlig unerwartet laufen die höchstens zehnjährigen Kinder jetzt zu uns. Freundlich fragen sie in gebrochenem Englisch nach Feuer und zeigen meinem Bekannten eine Zigarette.
Im Meer der Werbung untergehen?
Nun frage ich Sie, wie würden Sie reagieren? Was würden Sie in dieser Situation machen? Wir standen zunächst da, als hätte uns das berühmte Pferd getreten! Natürlich haben wir nach einer gewissen Zeit der Sprachlosigkeit energisch verneint. Wir beide versuchten den Kindern zu erklären, dass Rauchen nicht gesund ist, dass es gerade für Kinder gefährlich sei und sie gar nicht erst damit anfangen sollen. Die beiden Mädchen lachten und gaben uns einen Zettel mit der Aufschrift: »Warum sorgst du dich denn so um mich, wenn es um das Rauchen geht? Du solltest dich lieber um dich sorgen!« Wie wir später erfuhren, war das eine Aufklärungsaktion des thailändischen Gesundheitsministeriums. Ich wette, Sie wären genauso überrascht, wenn nicht gar schockiert (vgl. Kapitel: Prinzip »Schockierend«).
Warum habe ich Ihnen dieses Erlebnis beschrieben? Es zeigt eindrucksvoll, was es bedeutet, wenn einem etwas bewusst wird. Sie stehen da an einer Straße in Ihrem Urlaubsort. Vergessen sind die Sorgen zu Hause. Das Alltagsgeschehen auf den Straßen von Samui wirkt auf Sie normal. Spielende Kinder sind Teil des Alltags. Doch irgendetwas ist anders. Sie werden aufmerksam. Dann sind Sie Teil des Geschehens – und »bääm!« erwischt es Sie! Der Satz auf dem Zettel erinnert Sie an Ihr Alltagsverhalten und macht Ihnen ein Problem unerwartet bewusst, obwohl es eigentlich allgegenwärtig ist. Auf jeder Zigarettenschachtel steht es: »Rauchen kann tödlich sein.« Allerdings interessiert sich keiner dafür.
Wie wollen Sie Ihre Motivation für Ihr Produkt oder Ihr Geschäft anderen Menschen erklären oder näherbringen, wenn Sie sich selbst dessen gar nicht bewusst sind? Nur irgendeinen Spruch auf eine Schachtel zu schreiben, reicht offenbar nicht. Die Lösung liegt auf der Hand. Sie geben »diese Sorgen« ab und lassen etwas schreiben. Dafür gibt es schließlich Fachleute, Agenturen & Co., die sich mit Marketing auskennen. Doch nach einiger Zeit bemerken Sie, es hat sich relativ wenig getan. Vielleicht fällt Ihnen sogar auf, dass Sie im Meer der Werbung untergehen. Als Unternehmer sind Sie genervt, dass Sie zu wenig beachtet werden, und als Kunde sind Sie nur noch von Werbung entnervt.
Ungebremst in die Tonne
»Wir stopfen den Menschen so lange Werbung in den Hals, bis sie uns hassen.« 1 1 Frédéric Winckler, vgl. http://www.wuv.de/digital/wir_stopfen_den_menschen_so_lange_werbung_in_den_hals_bis_sie_uns_hassen
– Wollen Sie das? Nein, Sie mögen es weder als Verbraucher noch möchten Sie als Unternehmer so Ihr Geld verschwendet sehen. Und doch passiert es Tag für Tag! Wir werden mit Werbung überflutet, die wir gar nicht mehr wahrnehmen wollen. Wir haben schon vielfach einen Schutzmechanismus aufgebaut: Kommt uns Werbung ungelegen oder ist sie in dem Moment nicht relevant, landet diese gleich unbeachtet in der Tonne. Dabei könnte sogar ein Angebot darunter sein, das uns eigentlich interessiert. Doch es kommt entweder zeitlich ungünstig oder ist so schlecht »verpackt« oder »aufgemacht«, dass die Botschaft unserem Schutzmechanismus zum Opfer fällt. Geld und Arbeit werden mit einem Handgriff entsorgt. Es geht aber auch anders. Das ist ein weiterer Grund, warum ich dieses Buch schreibe.
Aber welchen Nutzen habe ich davon, Markenwerbung zu machen, wenn’s eh »kein Schwein sieht« oder interessiert? Warum betreibe ich Markenführung? Um einen hohen Bekanntheitsgrad zu bekommen? Wenn dem so wäre, warum sollte ein Unternehmen werben, das bereits eine hohe Bekanntheit hat? Ich erwähnte schon Opel als Beispiel. Bekannt ist Opel, aber die Erlebbarkeit fehlt. Vor allem durch das interne Hin und Her fehlt der Marke Opel die Erlebbarkeit. Wie soll ich für jemanden erlebbar sein, wenn ich selbst nicht weiß, wer ich bin, wenn ich mir meines Wesens nicht bewusst bin? Was ist an einer Bekanntheit erlebbar? Es gibt viele, die wissen, wer der Bundespräsident ist. Der hat also eine hohe Bekanntheit. Ist er erlebbar? Die Mädchen in Thailand, die meinen Bekannten und mich nach Feuer für eine Zigarette fragten, das war ein pures Erlebnis. Ich muss erst ein Bewusstsein haben, bevor ich für andere erlebbar werde.
Warum Marke? Ja, weil es schick aussieht. Weil ich Geld verdienen will, ich will auffallen, ich will mehr vom Kuchen haben als alle anderen, ich will Marktanteile haben. Deswegen bin ich Marke und habe eine Vision; aber ohne Bewusstsein für die eigene Sache, für die eigene Motivation kann ich meine Vision für andere kaum erlebbar umsetzen.
Am Anfang steht die Diagnose – am besten durch einen Externen
Wie will man jedoch jemanden voranbringen, wenn ihm das Bewusstsein für seine eigene Motivation unklar ist? Stellen Sie sich vor: Sie haben Beschwerden im Kreuz. Dann gehen Sie doch nicht zu einem Physiotherapeuten und sagen »Mach mal was!«. Nein, Sie gehen zu einem Arzt und lassen eine Diagnose erstellen. Wenn der Mediziner Sie dann zu einem Physiotherapeuten überweist, handelt der Masseur als Dienstleister nach der ärztlichen Diagnose. In diesem Fall stimmen mir alle zu, weil es einleuchtend ist. Im Prinzip sollte es beim Thema Marke ebenso laufen. Mithilfe einer Diagnose wird festgestellt, wo man steht, was fehlt und was gut ist. Das geht natürlich am besten mit einem Externen. Die Sicht auf sich selbst ist immer eingeschränkt. Für sich selbst hat man keinen objektiven Blick. Ein Externer hingegen ist unbefangen, er analysiert und bespricht dann, welche Schritte von wem zu erbringen sind.
Ein Externer muss wie ein strategischer Markendenker handeln, denn sein Auftraggeber versteht sein Handwerk. Ein externer Partner braucht also nicht das Geschäft des betreffenden Unternehmens im Detail zu verstehen. Er muss aber ein Gefühl, ein Verständnis dafür entwickeln, warum sein Kunde so handelt, wie er handelt. Der externe Partner muss die Motivation seines Kunden begreifen und mitdenken. Es wäre also geschickt, wenn ein Dienstleister sich als Sparringspartner versteht und nicht als Berater oder gar als Umsetzer. Im Kern geht es um Kundenentwicklung. Die muss im Auge behalten werden.
Was macht ein Sparringspartner? Viele kennen diesen Begriff nur aus dem Boxen und verbinden damit »auf die Augen hauen«. Das trifft es aber nicht. Sparring kommt aus dem Englischen und bedeutet so viel wie »sich mit jemandem auseinandersetzen«. Es steht für eine besondere Form des Trainings. Ein realer Wettkampf wird simuliert, jedoch mit geänderten Regeln und Vereinbarungen, um Verletzungen zu vermeiden. Ziel ist es dabei, fit für die Realität zu werden. Auch die Unternehmen sollten diese Sichtweise verstehen. Eine Agentur wäre idealerweise der Sparringspartner des Unternehmens. Sie kann in dieser Funktion ihrem Kunden aber auch bei der Umsetzung helfen. Doch vorrangig besteht die Aufgabe der Agentur darin, dem Kunden bei seiner Markenarbeit strategisch zu helfen. Sie hilft dem Kunden, den roten Faden im Blick zu behalten, und steuert Abweichungen mit ihm gemeinsam aus. Die Umsetzung kann der Externe auch machen; muss er aber nicht. Begleiten sollte er sie aber in jedem Fall.
Читать дальше