Nur dass die Magie der Weihnacht nicht für ihn gewirkt hatte, weil er niemanden gefunden hatte. Und dennoch wollte er es immer noch. Er wollte es immer.
Es war dunkel, als er nach Hause fuhr, und es schneite wieder. Dicke, große Flocken, deren kristallene Form er auf der Windschutzscheibe erkennen konnte, bevor der Enteiser sie wegschmelzen ließ. Er redete sich ein, durch die Stadt anstatt nach Hause zu fahren, weil er am Supermarkt anhalten wollte, doch er hielt nicht an. Er stoppte auch nicht am Spirituosenladen. Er fuhr den ganzen Weg bis zum nördlichen Ende von Logan, wo sich das Pflegeheim wie eine behagliche Oase gegen die Bäume abzeichnete.
Vom Verstand her wusste er, dass er Kyle aufgrund der Anordnung der Räume und der Fensterläden, die gegen die Zugluft geschlossen waren, nicht sehen konnte, aber dennoch saß Paul da. Um sich das üblichere Bild von Kyle in den Kopf zu setzen, nicht das, bei dem Kyle verrucht aussah.
Aber Kyle war nicht zu sehen. Vielleicht war er gar nicht bei der Arbeit.
Paul fuhr nach Hause. Er parkte seinen Pick-up in der Garage, aber er hatte noch nicht die Tür geschlossen, bevor Edna Michealson den Kopf aus der Hintertür ihrer Seite der Doppelhaushälfte steckte.
»Paul?« Sie kuschelte sich in ihren Hausmantel und zog die Nase kraus. »Dem Himmel sei Dank. Ich dachte schon, Sie würden nie mehr nach Hause kommen. Die Gehwege sind eine Katastrophe. Ich hätte mich auf dem Weg zum Briefkasten beinahe umgebracht.«
So schlimm war es um die Gehwege nicht bestellt, aber sie hatte recht, sie mussten freigeräumt werden. Eigentlich war er nur für seine Seite des Grundstücks verantwortlich, aber wer auch immer von Ednas Sohn angestellt worden war, um sich um ihre Seite zu kümmern, vernachlässigte seinen Job ziemlich stark.
Paul griff nach der Schneeschaufel und dem Eispickel, die er in der Garage aufbewahrte. »Ich werde mich sofort darum kümmern, Mrs. Michealson.«
Sie wickelte ihren Hausmantel enger um sich und hob ihr Kinn, womit sie anerkannte, dass er zwar seine Pflicht erledigte, sich jedoch das Recht herausnahm, ihm zu sagen, dass er ihr schlecht nachging. »Sie sollten damit nicht bis zur Dunkelheit warten. Dann können Sie das Eis nicht sehen.«
Normalerweise schaffte Paul es, ihre Gehässigkeit an sich abprallen zu lassen, doch heute Abend fiel es ihm schwer, sie nicht persönlich zu nehmen. »Ich werde es morgen Früh noch einmal überprüfen, wenn Sie das beruhigt. Ich werde auch etwas Sand und Salz verstreuen, falls sich die Luft weit genug erwärmt, dass es funktioniert.«
Sie lächelte nicht, sondern sah ihm nur weiterhin bei der Arbeit zu. Als er sich jedoch ihrem Treppenabsatz näherte, sah er, wie sich Scham in ihre Entrüstung mischte. »Morgen werde ich Hans anrufen und ihm sagen, dass er jemand Besseres finden muss, der meine Gehwege freiräumt. Es tut mir leid, dass das immer Ihnen zufällt.«
Lustig, dass alles, was Paul von ihr gewollt hatte, ein wenig Anerkennung war, doch dass sie ihm jetzt nur noch leidtat. Er stützte sich kurz auf den Eispickel, um sich von seiner Anstrengung zu erholen. »Machen Sie sich deswegen keine Gedanken. Ich kann einspringen, bis Sie jemand Neues gefunden haben. Es macht mir nichts aus zu helfen, aber ich bin nicht immer zu den besten Zeiten verfügbar.«
Edna wandte ihren Blick ab. »Danke schön. Das ist sehr nett von Ihnen.«
»Nicht im Geringsten. Ich bin einfach ein guter Nachbar.« Paul sah sie zittern und runzelte die Stirn. »Ich denke, Sie sollten wieder reingehen. Nicht, dass Sie sich eine Erkältung holen. Machen Sie sich wegen der Wege keine Sorge. Ich kümmere mich darum.«
Mit einem weiteren Danke schön verschwand sie im Haus. Er schaufelte ihren und seinen eigenen Weg frei. Sobald er ebenfalls ins Innere geflüchtet war, holte er eine Tiefkühlmahlzeit aus der Gefriertruhe und tippte die erforderliche Zeit in die Mikrowelle ein. Er warf die Weihnachtsromanze an, bei der er gestern eingeschlafen war.
Ähnlich wie das Mikrowellenessen war der Film nichts Besonderes. Doch sie erfüllten beide ihren Zweck, um den Schmerz in seinem Bauch zu beseitigen. Das, sagte er sich, war besser als nichts.
Am nächsten Morgen stand auf seinen Eingangsstufen keine Schneeskulptur. Was eine Erleichterung hätte sein sollen. Nur dass es ihn sich hauptsächlich wünschen ließ, er könnte sich abermals einen Film ansehen, anstatt zur Arbeit zu gehen.
***
Wie vorhergesagt, war Linda Kay aufgebracht, dass sie nicht nach Eveleth gehen konnte. Irgendwann entschied sie, dass es ein angemessener Ersatz war, mit Kyle in die Bibliothek zu gehen, aber nicht, bevor er nicht auch noch ein Mittagessen springen ließ.
»Ich wollte meinen Freund sehen«, beschwerte sie sich, während Kyle sie im Schneckentempo durch den wehenden Schnee fuhr.
Kyle hielt seine Aufmerksamkeit auf die Straße gerichtet. Der Schneepflug war bereits durchgefahren und er hatte es nicht weit, dennoch würde er nicht riskieren, mit dem Auto im Graben zu landen, insbesondere mit Linda Kay an seiner Seite. »Hey, wenigstens hast du einen.«
Sie seufzte schwer. »Gibst du Mister Humorlos auf?«
»Er hat ziemlich unglücklich ausgesehen, als er entdeckt hat, dass ich mit ihm flirte, also ja, ich bin raus.«
»Er ist ein Idiot. Du bist der beste Mann, den er im ganzen Bundesstaat finden kann. Du bist witzig, klug und gutaussehend und du bist nett. Warum ist er so wählerisch?«
Kyle verkniff sich die Erwiderung, dass sie doch Paul fragen sollte. Linda Kay würde ihn beim Wort nehmen und zum Reparaturgeschäft marschieren, um genau das zu tun, sobald sie aus dem Wagen ausgestiegen war. »Schwer zu sagen.« Mit einer Hand zerzauste er sich die Haare. »Vielleicht hätte ich mir die Haare nicht färben sollen.«
»Wenn er dich wegen deiner Haare nicht mag, ist er ein noch größerer Arsch.«
Ironischerweise hatte sich Kyle für Fuchsrot entschieden, weil Pauls berüchtigtster Ex ein echter Rotschopf war. Obwohl diese Erinnerung vielleicht alles nur noch schlimmer machte.
In der Bibliothek ging es geschäftig zu, was Kyle zunächst überraschte, aber was gab es während eines Schneesturms sonst in einer kleinen Stadt zu tun? Die meisten liehen sich Filme aus, aber viele Familien mit Kindern waren in der Kinderabteilung, in der gerade eine Vorlesestunde endete. Kyle lungerte zwischen Gabriel Higgins' Schar bewundernder Fans herum und wartete darauf, dass sich der Ansturm legte, doch als der Bibliothekar Kyle entdeckte, lächelte er, winkte ihm zu und eiste sich los.
»Danke, dass du vorbeigekommen bist. Gehen wir in mein Büro.«
Der Lärm aus dem Hauptsaal der Bibliothek wurde gedämpft, als sich die Tür hinter ihnen zu dem kleinen Zimmer schloss.
Kyle setzte sich auf den Stuhl mit dem Rücken zur Tür, wie Gabriel ihn angewiesen hatte. »Mom sagte, du willst für die Benefizveranstaltung Schneeskulpturen?«
Gabriel winkte diese Idee ab, als er sich setzte. »Oh, falls wir Schnee haben werden und du die Zeit dazu hast, ja, gerne. Wie ich Corrina mehrmals gesagt habe, braucht die Bibliothek keine Benefizveranstaltung, aber ich stimme zu, dass das Ereignis der Stadt Glanz verleiht und wahrscheinlich die Wirtschaft ankurbelt. Ich würde deine Hilfe beim Design sehr gerne annehmen, wenn du nichts dagegen hast. Arthur und Paul können alles bauen, was sich der Bibliotheksvorstand und der Stadtrat erträumen, aber sie werden es nicht besonders schön machen. Ich habe gehört, dass du ein ziemlicher Künstler in der Highschool warst, also habe ich gehofft, dass du bereit wärst, wieder in diese Rolle zu schlüpfen.« Seine Lippen bogen sich nach oben. »Und falls wir Schnee haben, wissen wir bereits, dass du ein Talent für Schneeskulpturen hast. Allerdings sollten wir sie aus Rücksicht auf die jüngeren Teilnehmer lieber jugendfrei gestalten.«
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