Dann waren sie ein Paar geworden. Basil war jung und dumm gewesen, denn er fand es nicht schlimm, dass Chads Fähigkeiten in der Gebärdensprache niemals über die Grundzüge einer Bestellung im Coffeeshop hinausgingen. Oder dass er Basil drängte, besser im Lippenlesen zu werden und eine Sprachtherapie zu beginnen.
Basil wurde immer noch übel, wenn er daran dachte, dass er zwar die Therapie begonnen hatte, es aber eigentlich für falsch hielt, weshalb er es seinen Eltern und Amaranth verschwiegen hatte.
Er schlief schlecht, seine Noten sackten ab und er war unglücklich. Doch das spielte keine Rolle, denn sein Freund war heiß und stand auf ihn und er war etwas Besonderes. Er hatte eine Art an sich, Basil anzusehen, als wäre er der einzige Mensch im Raum, und das reichte, um einen Zwanzigjährigen um den Finger zu wickeln, der in Liebesangelegenheiten noch nie viel Glück gehabt hatte.
Aber es ging so langsam den Bach hinunter, dass Basil es erst an einem Abend bemerkte, als sie sich mit den anderen Praktikanten, mit denen Chad zusammenarbeitete, zu Bier und Pizza trafen. Basil hatte sich in der Sprachtherapie und beim Lippenlesen unheimlich große Mühe gegeben, trotzdem fiel es ihm schwer, deshalb blieb er für sich. Das war vielleicht auch besser so, denn dadurch fühlte Chad sich sicher, als er begann, vor seinen Freunden über Basil zu sprechen, als könnte dieser unmöglich verstehen, was vor sich ging.
»Leute, es ist zum Totlachen. Er versteht mich kaum. Ich muss reden wie ein Bekloppter, damit er checkt, dass er mir bloß ein Bier aus dem Kühlschrank holen soll. Aber das Beste ist, dass ich ihm allen möglichen Scheiß erzählen kann und er kapiert es nur, wenn ich etwas sage wie Baby, ich liebe dich.« Da hatte er sich Basil ein wenig zugewandt, aber es hatte keine Rolle mehr gespielt.
Basil hatte alles verstanden. Genau wie er das Lachen verstanden hatte, das so laut durch den Raum gehallt war, dass er mit den Handflächen an den Armlehnen des Sessels die Vibrationen spüren konnte. Ein Teil von ihm wünschte sich, dass er in der Sprachtherapie mehr Erfolg gehabt hätte, damit er Chad in seiner eigenen Sprache sagen konnte, was er ihn mal konnte, aber er entschied sich für eine allgemein verständliche Geste.
Das Bier, das er Chad über den Kopf geschüttet hatte, war nur ein Bonus, nachdem er ihm den Mittelfinger gezeigt hatte. Er brauchte keine gesprochenen Worte, um dem Kerl zu sagen: Fick dich. Ich will dich nie wiedersehen.
Er hatte lange Zeit gegrübelt, was schlimmer war: dass er fast zwei Jahre lang mit einem Haufen hörender Arschlöcher in einem Raum gesessen und nicht verstanden hatte, dass sie sich über ihn lustig machten, oder dass Chad nicht versucht hatte, ihn am Gehen zu hindern. Er war einfach in diesem Appartement voller Grasqualm zurückgeblieben, während Basil hinausgestürmt war und geweint hatte ‒ nur dieses eine Mal ‒, bevor er seine Sachen gepackt hatte und verschwunden war.
Er hatte auf der Couch eines Freundes geschlafen und jeden Tag sein Handy kontrolliert in der absurden Hoffnung, dass Chad versuchen würde, Kontakt aufzunehmen, um sich inständig zu entschuldigen. Nachgegeben hätte er nicht, er wollte bloß eine Bestätigung, dass Chad tatsächlich an ihm als Person interessiert gewesen war und ihn nicht nur als eine Art Experiment gesehen hatte, um herauszufinden, wozu er den tauben Spasti zu seiner eigenen Belustigung bringen konnte.
Dazu war es nie gekommen. Chad hatte nie versucht, ihn zu kontaktieren, und war danach auch nie wieder im Coffeeshop aufgetaucht. Vielleicht hatte er einfach Angst gehabt, krankenhausreif geschlagen zu werden ‒ wozu es wahrscheinlich gekommen wäre, also war es so wohl am besten.
Irgendwann hatte Basil versucht, sein Leben weiterzuleben, und einen Masterabschluss in Informatik gemacht. Danach hatte er als Online-Mitarbeiter bei einem technischen Kundendienst gearbeitet, obwohl er dafür vollkommen überqualifiziert war, doch niemand hatte einen Gehörlosen einstellen wollen.
Dann waren seine Eltern, seine Tante und sein Onkel gestorben und so war er unverhofft der Besitzer eines Blumenladens geworden, der demjenigen, in dem Amaranth und er aufgewachsen waren, so ähnlich war, dass es beinahe wehtat. Bis zum heutigen Tage verspürte er einen schmerzhaften Stich in seinem Inneren, wenn er den Kühlraum betrat und den Blumenduft wahrnahm, der immer im Haar seiner Mutter und an ihrem Rock gehaftet hatte, egal, wie oft sie sie gewaschen hatte. Aber das war immer noch besser, als sein ganzes Leben lang vor einem Computerbildschirm zu sitzen, ohne Hoffnung auf etwas Besseres.
Denn zumindest gehörte der Laden ihm. Es war harte Arbeit, die ihm einiges abverlangte, aber er musste sich nicht mit den Chads dieser Welt herumschlagen, denn Amaranth hatte zugestimmt, sein Puffer zu sein. Es war ihm ein wenig peinlich, sich deswegen auf seine große Schwester verlassen zu müssen, aber letzten Endes war es das wert.
Alles wäre bestens gewesen, wenn Derek nicht in sein Leben geplatzt wäre und Gefühle in ihm geweckt hätte, die er nie wieder empfinden wollte. Er erwachte an diesem Morgen mit dem Gefühl von Verlust und Bedauern. Verlust, weil er, obwohl er in einer Kleinstadt lebte, Derek noch nie zuvor gesehen hatte und es wahrscheinlich auch nie wieder tun würde. Bedauern, weil er sich auf eine Weise geöffnet hatte, wie er es nie wieder hatte tun wollen.
Er hatte das Bild gekauft, ohne großartig darüber nachzudenken, denn er konnte den sanften Ausdruck in Dereks Augen nicht vergessen, als er die Seite aufgerufen hatte, um ihm etwas zu zeigen, das ihm wichtig war. Es war lächerlich, dieses seltsame, freudige Gefühl in seinem Bauch, das er empfand, wenn er daran dachte, dass er etwas besitzen würde, das ein Teil von Derek war ‒ das er aus seinem Inneren zu Papier gebracht hatte ‒, aber es war dennoch da.
Beinahe hätte er die Bestellung storniert, als er seine E-Mails überprüfte, aber dann hatte er gemerkt, dass er Amas PayPal-Account benutzt hatte, weshalb Derek ihn wahrscheinlich sowieso nicht erkennen würde. Als Lieferadresse war der Laden angegeben und er glaubte nicht, dass er Derek seine Nachnamen genannt hatte. Daher konnte er einen Teil des Mannes, der ihm nicht aus dem Kopf ging, für sich behalten, ohne ein Risiko einzugehen.
Es war eigentlich ideal.
Und damit konnte er leben.
Gegen elf Uhr knurrte sein Magen, deshalb streckte er den Kopf um die Ecke und sah, dass Ama sich ihr Handy vor die Nase hielt und etwas auf ein Blatt Papier notierte, das sie von dem Display ablas. Er wartete, bis sie fertig war, dann ging er in den glücklicherweise leeren Verkaufsraum.
›Fertig?‹, fragte sie, als er ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte.
Er schüttelte den Kopf. ›Ich mache Mittagspause. Möchtest du auch etwas?‹
Sie dachte einen Moment nach, dann wedelte sie mit den Händen. ›Egal, was. Du weißt doch, was ich mag. Aber bring mir auf dem Rückweg einen Kaffee mit. Ich brauche einen Koffeinkick.‹
Basil seufzte und schaute zu den Bestellungen auf dem Ladentisch. Er entdeckte drei neue. ›Wir sind fast überbucht‹, erinnerte er sie. ›Ich mache keine Mitternachtsschichten mehr.‹
Sie warf ihm einen unbeeindruckten Blick zu und er wusste, was sie damit meinte. Die hektische Jahreszeit ließ sie die ruhige überstehen und hielt sie in den schwarzen Zahlen, damit die harte Arbeit ihrer Tante und ihres Onkels nicht umsonst war. Er hatte die beiden nicht gut gekannt, was eigentlich traurig war. Rachel war die einzige Schwester seiner Mutter gewesen ‒ sie hatte gemeinsam mit ihrer Schwester und Basils Dad an der Universität Botanik studiert. Rick war dort als Gastsprecher aufgetreten ‒ ein hörender Mann, der sowohl britische als auch amerikanische Gebärdensprache fließend beherrschte und gerade seinen Doktortitel in Pflanzengenetik gemacht hatte. Nun reiste er um die Welt, um seine neuesten Erkenntnisse zu teilen. Aus irgendeinem Grund hatte Rachel in ihrem letzten Studienjahr die Uni verlassen und war mit Rick in Fairfield gelandet. Das hatte zum Bruch zwischen ihr und Basils Mutter geführt und sie hatten sich erst wieder angenähert, als er und Amaranth bereits erwachsen gewesen waren.
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