Corina C. Klengel
Todesrunen
Harzkrimi
Corina C. Klengel
ISBN 978-3-947167-08-1
ePub Edition
V1.0 (03/2021)
© 2021 by Corina C. Klengel
Abbildungsnachweise:
Umschlag © Corina C. Klengel | ccklengel.de
Porträt ders Autorin © Ania Schulz | as-fotografie.com
Lektorat:
Sascha Exner
Verlag:
EPV Elektronik-Praktiker-Verlagsgesellschaft mbH
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Allgemeiner Hinweis:
Bei den Schauplätzen dieses Romans handelt es sich um reale Orte. Die Handlung und die Charaktere hingegen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden und toten Personen wären reiner Zufall und sind nicht beabsichtigt.
Der gallische König Ambicatus, der das Keltenland tapfer und glücklich regierte, wollte das Land von seiner Überbevölkerung befreien. Er sandte die Söhne seiner Schwester, Bellovesus und Segovesus, auf die Suche nach neuen Wohnsitzen. Das Los verkündete den Willen der Götter: Bellovesus zog in das freundliche Italien und Segovesus erhielt den Hercynischen Wald.
– Sage nach Livius V 33 –
1977
Die Wintersonnenwende sollte Ruhe schaffen – dringend benötigte Ruhe nach den Gräueltaten des vergangenen Jahres. Eines Jahres, in dem sich jede halbwegs vernünftige Fernsehgröße um die Moderation des unverzichtbaren Jahresrückblickes herumdrückte. Niemand mochte zurückschauen auf so viel Gewalt. Es war ein Jahr der Extreme gewesen. Radikale Linke hatten ebenso viel Unrecht geschaffen wie radikale Rechte.
Einzig der Harz durfte sich ein Schmunzeln erlauben, als bekannt wurde, dass die DDR, die mit der Grenze durch das urgermanische Naturschutzgebiet eine schmerzende Wunde gezogen hatte, zehntausend Volkswagen vom Typ Golf bestellte.
Wintersonnenwende – seit Urzeiten feierte man in der Nacht zum 21. Dezember die Rückkehr des Lichts. In der christlich geprägten Welt war das Fest auf den 24. Dezember verschoben worden und hatte den Namen ›Weihnacht‹ bekommen. Doch im Harz, wo sich der alte, an der Natur orientierende Glaube länger gehalten hatte als anderenorts, huldigte man hier und da noch dem Sonnenfest. Auch in diesem Jahr sandte so manches, mit einer Kerze beleuchtetes Fenster der Harzer Holzhäuser die Jahrtausende alte Botschaft in die dunkle Winternacht: Wanderer mögen diesem Licht folgen und hier Schutz vor Odins wilden Horden suchen. Jene, die in der längsten Nacht des Jahres für die Wiederauferstehung des Lichts beteten, gehören zu einer uralten Zunft von Gläubigen, deren Religion bis in die Zeit der stolzen Kelten zurückreicht.
Eine dieser Wintersonnenwendfeiern im Oberharz fiel in diesem Jahr jedoch recht verhalten aus. Das traditionelle Gebäck in Form eines Hirsches – den Keltengott Cernunnos darstellend – blieb fast unberührt liegen. Auch dem Met wurde nur mäßig zugesprochen. Sechs Wochen zuvor, an dem Tag, an dem man im alten Glauben das Neujahrsfest feierte, war eine Altgläubige schmachvoll missbraucht worden. Die junge Frau, die aus tiefster Seele an das Gute im Menschen glaubte, verstand das ›Warum‹ des Verbrechens an ihr nicht. Ihre Sinne, die durch ihre glaubensbedingt besondere Lebensform sensibler waren als bei anderen Menschen, schienen von der Erniedrigung wie gelähmt. So bekam sie nichts von dem mit, was sich an diesem Wintersonnenwendfest um sie herum zusammenbraute. Hätte sie geahnt, was man ihretwegen vorhatte, sie hätte trotz des Kummers versucht, es zu verhindern.
Das Haus, in dem die junge Wicca lebte, stand als eines der letzten ganz oben am Hang von Braunlage, einem schmucken Ort im Oberharz, der im 13. Jahrhundert als Waldsiedlung entstanden war. Trotz der Touristen lebte man in dörflicher Anteilnahme zusammen. Man wusste, die junge, schöne Frau und ihre Mutter kamen nicht von hier, man wusste auch, sie hatten einen anderen Glauben, aber beide waren herzlich in die Gemeinschaft aufgenommen worden.
Die Tat an der jungen Wicca erschütterte die Gemeinschaft und Zorn brach sich Bahn. Kaum beherrschbar. Es war ein Unrecht geschehen. Und wie immer, so zog auch hier ein Unrecht das nächste nach.
Und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot.
– 1. Buch Mose 4 –
Hermann Bordfeld zog die neue Lederjacke am Revers in Form und legte den roséfarbenen Hemdkragen akkurat über den der rehbraunen Jacke. Zufrieden mit dem, was er sah, strich er sich das volle, dunkle Haar nach hinten. Die Koteletten, die sich bis fast zu den Mundwinkeln zogen, gaben dem kantigen Gesicht die Weichheit, die der gängigen Mode entsprach. Obwohl sie nur Halbbrüder waren, sahen sich Hermann und Gerfried verblüffend ähnlich. Ihre Blicke trafen sich im Spiegel, bevor sich Hermann wieder mit seinem Abbild beschäftigte.
Derweil lümmelte Gerfried auf dem abgeschabten Hanssendrehstuhl herum und beobachtete Hermanns Vorbereitungen auf das abendliche Rendezvous. Wie immer hatte er das Gefühl, dass Hermann ihm etwas wegnahm. Vielleicht rührte das daher, dass Hermanns Mutter mit dem Vater der beiden verheiratet gewesen war, im Gegensatz zu Gerfrieds Mama. Obwohl sein Vater ihn adoptiert hatte und er seinen Namen trug, kennzeichnete eine immerwährende Eifersucht die Beziehung zwischen den beiden Brüdern. Gerfried ließ keine Möglichkeit ungenutzt, seinen um nur wenige Tage jüngeren Halbbruder mit Blicken, Gesten oder Worten zu triezen. Er wusste, wie sehr sich sein Bruder über ihre verblüffende Ähnlichkeit ärgerte. Während Hermann stets um Individualität bemüht war, kopierte Gerfried seit vielen Jahren hartnäckig Kleidungsstil und Frisur seines Bruders, um sich dann königlich über dessen Zorn zu amüsieren.
Ihre Mütter waren Schwestern gewesen. Seit Gerfried und Hermann auf der Welt waren, hatte ihr Vater die beiden Jungen immer wieder aufgestachelt und gegeneinander gehetzt, um sie zu stählen und um herauszufinden, wer von ihnen der Bessere war. So waren die beiden zu hervorragenden Kämpfern geworden. Kämpfer, die eine Organisation wie der Orden brauchte und schätzte.
Gerfried streckte sich und fuhr mit den Fingern der linken Hand sachte über die frische Tätowierung an seinem rechten Arm, die noch etwas juckte. Nach außen hin widmete er sich wieder dem kleinen Schwarzweißfernseher in der Ecke des gemeinsamen Appartements. Er belächelte den Kommissar mit der unvorteilhaften Brille und dem Trenchcoat, doch sein Blick huschte immer wieder zu seinem Bruder zurück. Etwas hatte sich an ihm verändert. War dieses Mädchen der Grund dafür?
Gönnerhaft bemerkte Gerfried: »Zeig ihr nicht so deutlich, dass du es ernst meinst, sonst bist du die Kleine gleich los.«
»Halt die Klappe. Was weißt denn du schon«, schnappte Hermann.
Gerfried hob erstaunt eine Augenbraue. Hermann verlor selten die Kontrolle über seine Gefühle. War hier tatsächlich etwas im Gange, was nicht sein durfte?
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