Sie erkannte, dass die Buchhaltung im System selbst zwar sauber und korrekt funktionierte, aber alle anderen Abläufe ziemlich lieblos, ungenau und vor allem fehlerhaft abgebildet waren. Melanie fiel es wie Schuppen von den Augen! Der Zustand des Systems spiegelte eins zu eins die skeptische Haltung ihrer Eltern gegenüber jeglicher EDV im Unternehmen wider! Sie erinnerte sich nur zu gut an die vielen Diskussionen am elterlichen Abendbrottisch von vor einigen Jahren, ob man denn ein solches modernes System überhaupt bräuchte, was das alles an Kosten und vor allem Umständen verursachen würde … Und ob man denn nicht besser am bewährten System festhalten sollte. Das bewährte und funktionierende System war natürlich das Zettelsystem. Die meisten Abläufe wurden mittels handschriftlicher Notizen gesteuert und die notwendigen Informationen erst im Nachhinein im EDV‐System erfasst. Das funktionierte auch grundsätzlich gut. Als das Unternehmen jedoch immer erfolgreicher wurde und anwuchs, erreichte dieses System bald seine natürlichen Grenzen. Kurz gesagt, die Zahl der Geschäftsfälle stieg, die Administration verharrte aber in der ursprünglichen Ordnung. Dazu kam, dass die Anforderungen der Kunden ebenfalls stiegen und damit der gesamte Geschäftsablauf komplexer wurde.
Melanie war klar, dass sich diese über die Jahre etablierten Abläufe nicht so einfach umkrempeln ließen. Sie beschloss, die große »Baustelle« in kleine Themen aufzugliedern und Schritt für Schritt abzuarbeiten. Ein guter Plan – in der Theorie. Melanie ist eine schlaue Frau, mit schneller Auffassungsgabe und einer zupackenden Arbeitsmentalität. So kam es, wie es kommen musste. Da sie nun einmal involviert war, verließ man sich zunehmend auf sie, wenn es um das Lösen akuter Probleme ging. Und ehe sie es sich versah, war sie voll im operativen Geschäft engagiert!
Sie unterstützte den Verkauf, sie half beim Entladen der angelieferten Waren, weil gerade sonst niemand da war, sie nahm an der Suche nach den berühmten Zetteln teil, sprach mit Lieferanten, weil sonst keiner Zeit dazu hatte, sie schickte dringende Bestellungen ab, bearbeitete Reklamationen, suchte Informationen für das Verkaufspersonal und vieles, vieles mehr. Nach wenigen Wochen war Melanie ein unverzichtbarer Teil des Unternehmens geworden. Zum Lösen des EDV‐Problems, für das sie ja ursprünglich angetreten war, kam sie – wenn überhaupt – erst am Abend, wenn Kunden und Mitarbeiter das Geschäft verlassen hatten. Bald mussten auch ihre Wochenenden dafür herhalten – sprich ab Samstagabend, denn davor war ja das Geschäft geöffnet. Und ihre eigene Selbstständigkeit ging dabei langsam, aber sicher den Bach hinunter ...
Nach äußerst kurzer Zeit war Melanie unwillentlich in eine Situation geschlittert, in der sie für gefühlt alles zuständig war. Täglich arbeitete sie die zu Anfang dieses Kapitels vorgestellte Liste frenetisch ab, geistig immer schon beim nächsten dringend wartenden To‐do der Liste der Vielfalt. Das eigentliche Projekt, die EDV in die Moderne zu führen und den Zettelwahn zwecks erhöhter Effizienz abzuschaffen, war ob dieser täglichen Herausforderungen vollkommen in den Hintergrund getreten. Dem Gefühl der Überlastung, das Melanie bald zu verspüren begann, folgte die Überforderung, dann kam tiefer Frust und letztendlich das höchst unbefriedigende Gefühl, nur mehr funktionieren zu müssen.
Ob und wie Melanie dieses Dilemma löst, wird noch Gegenstand der weiteren Berichterstattung aus dem (Unternehmer)Leben sein.
Die immense Vielfalt und hohe Umfänglichkeit aller Aufgaben sind für den einzelnen Kleinunternehmer nicht bewältigbar. Die schlechte Lebensqualität des Unternehmers oder der Unternehmerin ist daher bereits vorprogrammiert.
Komplexität – die Vielfalt der Vielfalt und jede Menge Unberechenbares
Wenn Sie davon leben, Ihre Zeit gegen Geld zu verkaufen, hängt Ihr geschäftlicher Erfolg in hohem Ausmaß von Ihrer Kompetenz, Ihrem Engagement und Ihrem Fleiß ab. Treffen alle drei Attribute auf Sie zu, sind Sie in einer guten Position. Sie müssen zwar all jene Aufgaben, die in der Liste aufgezählt sind, und wahrscheinlich noch mehr, selbst erledigen. Die Aufgaben, die im Zusammenhang mit Mitarbeitern stehen, können Sie mit Aufgaben ersetzen, die im Zusammenhang mit externen Dienstleistern stehen. Aber Sie können es sich wahrscheinlich leisten, pro Arbeitsstunde einen hohen Preis zu verrechnen. Damit ist Ihr Einkommen jedoch limitiert, denn es gibt dadurch einen Deckel, den Sie nicht überschreiten können, da Sie einfach nicht noch mehr Stunden zur Verfügung haben.
Ist Ihr Geschäft jedoch skalierbar, sieht die Welt völlig anders aus! Das ist dann der Fall, wenn Sie Ihr Unternehmen rund um Mitarbeiter aufbauen und der Umsatz nicht mehr ausschließlich von Ihnen alleine abhängt. Die Grenzen nach oben bestimmen Sie dann nämlich bis zu einem gewissen Grad selbst! Das klingt natürlich wunderbar, die Kehrseite der Medaille ist jedoch, dass Ihr Geschäft damit viel komplexer wird. Und mit der Komplexität steigen auch die Variablen, die Sie dann nicht mehr beeinflussen können.
Jetzt ist es ja nicht so, dass die täglichen Aufgaben an und für sich nicht schon kompliziert genug wären. Diese alleine erfordern bereits ein hohes Maß an Aufmerksamkeit. Bei der Erledigung dieser Aufgaben haben Sie es immer mit Menschen wie Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten, Geldgebern etc. zu tun. Und diese Menschen sind nun einmal keine trivialen Wesen. Wenn Sie einen Stein in der Hand halten und ihn fallen lassen, können Sie genau berechnen, wie lange es dauert, bis er am Boden auftrifft. Das ist trivial. Wenn Sie mit dem Fuß einen Fußball schießen, dann können Sie mit einigem Aufwand die Flugkurve berechnen, die Geschwindigkeit messen und so abschätzen, wo er landen wird. Das ist kompliziert. Wenn vor Ihnen plötzlich ein Hund auf dem Boden liegt und Sie stolpern über ihn, haben Sie keine Ahnung, wie er reagieren wird. Das ist dann komplex.
Ein Unternehmen, auch ein kleines Unternehmen, ist ein sehr komplexes System! Wir werden uns nun einige Faktoren, die die Komplexität des Unternehmerlebens ausmachen, ein wenig detaillierter ansehen.
Ein Unternehmen ist keine Insel
Ihr Unternehmen ist eng mit seiner Umwelt verflochten, und es gibt unendlich viele Faktoren, die Sie nicht beeinflussen können. Wenn Sie selbst einen Beleg in Ihrer Buchhaltung verbuchen, dann liegt es ausschließlich an Ihnen, ob das korrekt, zeitgerecht und ordentlich erfolgt. Sobald das jemand anders für Sie erledigt, haben Sie den Ablauf nicht mehr in der Hand. Es braucht dann bereits andere Mechanismen, damit Sie sich darauf verlassen können, dass der Beleg korrekt, zeitgerecht und ordentlich verbucht wurde.
Wenn Sie sich persönlich um einen Kunden kümmern, dann liegt das Ergebnis der Arbeit ja noch ein wenig bei Ihnen. Sie haben zumindest Ihr Verhalten und Ihre Leistung in der eigenen Hand. Wie Ihr Kunde allerdings auf Ihre Arbeit reagiert, können Sie schon nicht mehr kontrollieren. Wenn aber einer Ihrer Mitarbeiter vor Ort den Kunden betreut und Sie nicht dabei sind, dann haben Sie gar nichts mehr in der Hand. Es braucht hier viel umfangreichere Mechanismen, damit der Einsatz Ihres Mitarbeiters von Erfolg gekrönt ist und Sie sich darauf auch stets verlassen können. Und damit sind wir schon bei den wichtigen Themen Einfluss und Kontrolle, die den meisten Unternehmern stark zu schaffen machen.
Wann immer Sie versuchen, Einfluss zu nehmen, wann immer Sie intervenieren, egal ob bei Mitarbeitern, Kunden, Wettbewerbern, Geldgebern, Behörden etc., können Sie deren Reaktion nicht kontrollieren. Sicher ist, Sie lösen mit Ihrer Intervention eine Reaktion und meistens sogar eine ganze Kette an Reaktionen aus. Oft können Sie nicht einmal erahnen, wie Ihr Gegenüber reagieren wird. Ihr Unternehmen ist nun einmal keine Insel, sondern Teil eines Systems. Dieses System besteht aus unterschiedlichen Variablen, die untereinander verbunden sind und sich gegenseitig beeinflussen.
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