GRUNDLAGEN DER BOTANIK
Wir Menschen geben den Dingen Namen und bauen so Beziehungen auf, nicht nur untereinander, sondern auch mit der lebendigen Welt .
— ROBIN WALL KIMMERER
Wenn Sie auf eine Pflanze treffen, was fällt Ihnen ein? Denken Sie an ihren gebräuchlichen Namen, wie Löwenzahn, oder an einen lateinischen wie Taraxacum officinale ? Vielleicht kennen Sie die Pflanze aber auch als »Gelbblume«, »Unkraut« oder »Bitterkraut«. Seit die Menschheit über Sprache verfügt, hat sie Möglichkeiten entwickelt, Pflanzen zu benennen und zu kategorisieren. Das hat uns geholfen, Beziehungen zu Pflanzen aufzubauen, zwischen ihnen zu unterscheiden und Informationen – einschließlich dessen, was essbar, heilend und giftig ist - mit anderen in unserer Gemeinschaft zu kommunizieren. In der heutigen wissenschaftsbasierten Kultur erhalten Pflanzen lateinische Namen und werden nach einem System klassifiziert, das der schwedische Botaniker Carl von Linné 1735 erfunden hat.
Es ist wichtig, dass man sich bewusst macht, dass es viele Ansätze zur Identifizierung von Pflanzen gibt. Man kann den Umgang mit einer Pflanze erlernen, ohne jemals ihren lateinischen Namen zu kennen oder zu wissen, was ein »gefiedertes zusammengesetztes Blatt« ist. Das botanische Wissen kann aus Beobachtungen, Erfahrungen oder traditionellen Lehren stammen, die alle ihre Berechtigung haben. Dennoch beinhalten viele Arbeiten zur Pflanzenidentifikation und -medizin westliche wissenschaftliche Konventionen. Sich mit diesen Konzepten vertraut zu machen, kann Ihnen helfen, mehr aus diesem Buch herauszuholen und sicher zu ernten. Wenn Sie diese gemeinsame Sprache verwenden, können Sie auch mit vielen anderen Nahrungssuchern, Kräuterkundlern, Gärtnern und Pflanzeninteressierten auf der ganzen Welt kommunizieren.
Im Alltag nennen wir Pflanzen gewöhnlich mit gebräuchlichen Namen wie Löwenzahn, Bitterkraut oder Wunderblume. Einige Pflanzen haben Dutzende von gebräuchlichen Bezeichnungen oder haben gemeinsame Namen mit anderen, völlig verschiedenen Pflanzenarten. Lateinische botanische Namen können den Menschen helfen, Verwirrung zu vermeiden. Im Namensystem von Linné hat jede Pflanze eine eindeutige zweiteilige (binäre) Bezeichnung. (Zusätze zur binären Nomenklatur können Unterarten, Varietäten, Kultivare und Hybriden umfassen.)
Pflanzennamen gehen vom Allgemeinen zum Speziellen. Werfen wir einen Blick auf den Löwenzahn. Sein botanischer Name ist Taraxacum officinale. Taraxacum ist die Gattung und officinale ist die Art. Ob Sie auf Englisch, Spanisch oder in einer anderen Sprache kommunizieren, Sie können den Namen Taraxacum officinale verwenden, und ein Botaniker wird genau wissen, auf welche Pflanze Sie sich beziehen. Wenn in einem Text ein Gattungsname in einem Absatz verwendet wurde, kann er im Folgenden abgekürzt werden. In diesem Fall kann man also bei späteren Verweisen T. officinale schreiben.
In der Kräuterkunde werden manchmal mehrere Arten innerhalb derselben Gattung in ähnlicher Weise verwendet. Statt hundert Rosenarten aufzulisten, würde ein Kräuterkundler sie als Rosa spp . bezeichnen, was mehrere Arten innerhalb der Gattung Rosa bedeutet. In anderen Fällen, wie beim echten Johanniskraut, ist die medizinische Verwendung sehr spezifisch, sodass der gesamte botanische Name verwendet wird: Hypericum perforatum .
Wie kann man sich all diese botanischen Namen merken? Wir haben festgestellt, dass das Aufschreiben auf Etiketten und in Pflanzen-Notizbüchern eine gute Möglichkeit ist, sie in Erinnerung zu behalten.
Den Namen einer Pflanze zu kennen, bringt Sie natürlich nicht sehr weit. Sie müssen sie auch identifizieren können. Bei der Nahrungssuche kann dies eine Frage von Leben und Tod sein, da Pflanzen gelegentlich giftige Doppelgänger haben. Die Fähigkeit, Pflanzen zu identifizieren, kann Ihnen auch dabei helfen, Neues über Ihr Ökosystem und andere Lebewesen, die es bewohnen, zu erfahren. Sie können mit dem Identifizieren von Pflanzen beginnen, indem Sie einige Grundlagen der Pflanzenbiologie lernen.
Die meisten Pflanzen bestehen aus sechs Teilen, von denen jeder Teil eine andere Rolle spielt:
Wurzeln verankern eine Pflanze im Boden und nehmen Wasser und Nährstoffe aus der Erde auf. Einige Pflanzen haben eine primäre Pfahlwurzel (wie eine Karotte). Andere haben ein faseriges Wurzelsystem, das aus vielen dünnen Wurzeln besteht.
Stängel oder Stämme stützen die Pflanze oberhalb des Bodens, transportieren Wasser und Nährstoffe von den Wurzeln zu den Blättern sowie Nahrung von den Blättern zum Rest der Pflanze. Einige Stängel sind krautig und biegsam, während andere verholzt und hart sind. Einige haben einen runden Querschnitt, andere hingegen sind eckig.
Blätter fangen die Energie des Sonnenlichts ein und wandeln Wasser und Kohlendioxid in Nahrung für die Pflanze und in Sauerstoff um. Blätter gibt es in vielen Formen, Größen und Anordnungen (siehe Seite 55).
Blüten sind die reproduktiven Teile der meisten Pflanzen und produzieren Samen. Sie sind oft leuchtend bunt und duften, um Tiere anzulocken, die bei der Bestäubung helfen. Die Bestäubung erfolgt, wenn Insekten, Vögel, Fledermäuse oder sogar der Wind Pollen von einer Blüte zur anderen tragen. Einige Blumen, wie Löwenzahn, können sich auch selbst bestäuben.
Früchte schützen die sich entwickelnden Samen. Sie können ein fleischiges Äußeres haben, wie der Apfel, oder eine harte Schale, wie die Walnuss. Früchte wie Äpfel und Hagebutten werden gerne von Tieren gegessen, welche die Samen dann an anderer Stelle wieder ausscheiden.
Samen enthalten das Material für neue Pflanzen. Sie bestehen aus einem Embryo und eingelagerter Nahrung, überzogen von einem Schutzmantel. Samen können durch Schwerkraft, Wind, Wasser oder Lebewesen, einschließlich Menschen, verteilt werden.
Zusätzlich zu den Samen können sich einige blühende Pflanzen ungeschlechtlich vermehren und genetische Klone der Mutterpflanze erzeugen. Zu den gängigen Methoden gehören Zwiebeln (z. B. Speisezwiebeln), Rhizome (z. B. Ingwer), Ausläufer (z. B. Veilchen), Knollen (z. B. Kartoffeln) und Ableger oder Wurzeltriebe (z. B. Rosen). Der Mensch hat auch Verfahren entwickelt, Pflanzen durch Methoden wie Schneiden, Pfropfen und Stecklinge zu vermehren.
Meistens können Pflanzen anhand ihrer Blätter und Blüten identifiziert werden. Manchmal können auch Beschreibungen anderer Teile (wie Samen), der Wuchsform oder des Lebensraums bei der Identifizierung helfen. Möglicherweise können Sie eine Pflanze nicht zu jeder Jahreszeit identifizieren. Stattdessen müssen Sie sie im Laufe der Jahreszeiten immer wieder aufsuchen, um ihre wechselnden Blätter und Blüten zu untersuchen. Hier sind einige grundlegende Blatt- und Blütentypen:
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