Jessica Jurassica
Roman
Verlag und Autorin danken dem ça ira-Verlag ( www.ca-ira.net) für die Erlaubnis, den Titel des Buches »Das Ideal des Kaputten« von Alfred Sohn-Rethel zu verwenden.
Die Autorin und der Verlag danken für die Unterstützung durch den Kanton Appenzell Ausserrhoden, die Stadt Bern und den Kanton Bern.
Jessica Jurassica
Das Ideal des Kaputten
Roman
lectorbooks GmbH, Zürich
info@lectorbooks.com
www.lectorbooks.com
Umschlagbild: Jessica Jurassica
Umschlaggestaltung: André Gstettenhofer
Satz: Peter Löffelholz
Lektorat: Patrick Schär
Korrektorat: Gertrud Germann
Gesamtherstellung: CPI Books GmbH, Leck
1. Auflage 2021
© 2021, lectorbooks GmbH
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-906913-27-8
eISBN 978-3-906913-28-5
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Zitatnachweis
Zur Autorin
Den ganzen Sommer über roch es irgendwie seltsam. Die Stadt roch seltsam und meine Wohnung, meine Mitbewohner, die Männer, mit denen ich schlief – mein ganzes Leben roch seltsam. Und auf meine Haut hatte sich ein glänzender Film gelegt, den ich einfach nicht wegbekam und der seltsam roch.
Ich verbrachte diesen seltsam riechenden Sommer fast durchgehend in meiner Hängematte, die ich damals in Kolumbien für die Ayahuasca-Zeremonie gekauft hatte, und während ich in dieser kolumbianischen Hängematte lag, wehte der Wind durch die Wohnung, alle Fenster offen, 34 Grad im Schatten.
In den grob gewebten Stoff der Hängematte hatte ich von Hand ein paar Worte gestickt, damals im Flash der Tage nach dem Ayahuasca-Trip, als ich gedacht hatte, dass ich wohl für immer hängen geblieben sei. rios de dolor, cascadas de amor stand da in naiver Schrift, Flüsse des Schmerzes und Wasserfälle der Liebe. Ich war damals wirklich ziemlich hängen geblieben, aber das war immer noch besser als jetzt. Ich bildete mir ein, alt und abgeklärt geworden zu sein oder erwachsen vielleicht, aber in Wirklichkeit war ich einfach nur depressiv. Mein Leben bestand aus einer Aneinanderreihung von Regelmäßigkeiten, ich bezahlte fast jeden Monat meine Miete, ich aß regelmäßig tagelang nichts und meine Menstruation ließ regelmäßig auf sich warten, um dann doch noch im ungünstigsten Moment einzutreten. Gleichzeitig wurde meine Arbeit plötzlich ernst genommen von arrivierten, einflussreichen Menschen, meist Männern, die mich nach Zürich zum Kaffee einluden. Sie sahen in mir das Nachwuchstalent, das dieses Land brauchte in Zeiten der Medienkrise, so kam es mir jedenfalls vor, vielleicht wollten sie auch nur ficken, aber das war mir eigentlich ziemlich egal. Es widerte mich alles an, was von Zürich her durch das Display in meine Wohnung schwappte.
Zürich war für mich nie mehr gewesen als ein Verkehrsknotenpunkt zwischen dem Appenzeller Hinterland und der Bundeshauptstadt, in die ich vor ein paar Jahren gezogen war, um irgendwas mit Geisteswissenschaften zu studieren, das mich meistens nur so mittel interessierte und das ich nach meinem nicht sehr erfolgreichen Bachelorabschluss bald komplett vergessen hatte. Manchmal kam mir das Diplom wieder in den Sinn, und dann fragte ich mich, wo ich es wohl hingelegt hatte.
Ich spülte alles runter mit sauer gespritztem Weißwein, die Hitze, den Nihilismus, die Medienkrise. Gegen Abend ließ ich mich manchmal die Aare runtertreiben, immer den Gedanken im Hinterkopf, einfach weiterzutreiben. Wenn man sich weit genug treiben lässt, dann ist man irgendwann tot, so hatte man mir das jedenfalls erklärt, als ich herzog. Ich stieg trotzdem jeweils bei der drittletzten Möglichkeit aus dem Wasser, weil es dort neuerdings eine hippe kleine Pop-up-Bar gab, wo man sauer gespritzten Weißwein trinken konnte, dafür nicht mehr kiffen wegen der vielen Menschen, und alle hatten noch ein Kind mit dabei. Manchmal kamen Lokaljournalistinnen und fragten, was man denn so halte von diesem Pop-up-Ding und ob es okay sei, wenn man auch auf dem Foto drauf sei für den Sommerloch-Artikel in der nächsten Ausgabe, und dann fragte ich mich, weshalb ich mich nicht doch weiter hatte runtertreiben lassen.
Ich hasste die Journalisten und Journalistinnen, sie hatten mir den Sommer versaut. Ich war da reingerutscht und schaute im Internet den Debatten zu, die mit komplett irrer Geschwindigkeit geführt wurden. Jede Woche gab es einen anderen Shitstorm oder Hype, einen Artikel, einen Facebook-Post von irgendeinem SVP-Arschloch, alle stürzten sich drauf, und ganz egal, ob sie jemanden zerrissen oder feierten, sie konnten dich innerhalb weniger Stunden zerfetzen. Sie meinten es nur gut, aber am Ende lagst du da unter der Last dieser ekligen Blase, die sich auf dich gedrückt hatte. Danach ließen sie dich wieder fallen und irgendwo liegen, sie vergaßen dich sofort, wie ein komplett gestörter Fuckboy, der dich manisch fickt und dir tausend euphorische Komplimente macht, und dann zieht er sich an, drückt dir einen Kuss auf die Stirn, geht lächelnd raus, lässt die Tür hinter sich zufallen und ghostet dich einfach. Und wenn du Glück hast, wenn du dir Mühe gibst, bist du irgendwann mal wieder interessant genug für einen One-Night-Stand. Nein, es gibt keine Liebe in Zeiten der Medienkrise.
Einmal war mir alles so langweilig, dass ich mir das Tamedia-Logo in die Leistengegend tätowierte. Ich tat es nicht gern, aber es musste sein. Wenigstens ein bisschen Punk in meinem trägen Alltag, der bereits nach Bürgerlichkeit zu stinken begann, als könnte ich überhaupt jemals bürgerlich werden oder irgendwas in diese Richtung. Das lag mir gar nicht, und doch hatte ich panische Angst davor. Na ja, und deshalb halt diese Tätowierung in der Leistengegend. Wenn man mich fickte, konnte man runterschauen und sich denken: Ich fick Tamedia. Ich fick Pietro Supino. Ich fick all die devoten Scheiß-Journos.
Ich hasste die Journalisten und Journalistinnen auch, weil ich den Eindruck hatte, dass sie sich an den Meistbietenden verkauften und nichts dagegen unternähmen, dass alles so beschissen läuft. Die meisten trauten sich nicht einmal zu klagen, manche schon, und die klagten dann jämmerlich vor sich hin, meist in einem kindlich-trotzigen Tonfall, und alle waren unzufrieden, aber niemand wollte irgendwas tun, weil sie viel zu bequem waren oder einfach nur paranoid. Und wenn dann doch mal wer was unternahm gegen die Medienkrise, gegen die Aktionäre und die Entlassungen, dann machten sie einen auf Französische Revolution. Aber ein Scheiß war das Französische Revolution. Es war nur Ausverkauf, eine berechnende Vermarktung aufgeblasener demokratischer Ideen.
Die Journalisten aus Zürich sagten mir, ich stünde am Anfang einer großen Karriere. Also konzentrierte ich mich auf diese Karriere, die noch keine war, sondern nur eine Häufung von Einladungen zum Kaffee auf Zürcher Redaktionen, während mich noch immer niemand fürs Schreiben bezahlte. Ich wusste die ganze Zeit über nicht, was es mit diesem verdammten Kaffeetrinken auf sich hatte, ob es jetzt da doch wieder ums Ficken ging, und obwohl ich überhaupt keine Lust hatte, nach Zürich zu fahren, nahm ich irgendwann die vielversprechendste Einladung an. Eigentlich hatte ich vorgeschlagen, dass man sich in Olten treffen solle, weil das genau zwischen Zürich und der Bundeshauptstadt liegt, aber diese Zürcher Edelfeder war zu beschäftigt damit, Französische Revolution zu spielen, um nach Olten zu fahren, also sollte es doch Zürich sein.
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