PIA KLEMP
Roman
Pia Klemp,Jahrgang 1983, ist gesellschaftskritische Schriftstellerin, strafverfolgte Kapitänin, vernarrte Landstreicherin, umtriebige Veganarchistin und passionierte Misanthropin. Neben ihrer Arbeit in der Tierbefreiung ist sie in verschiedenen antifaschistischen Projekten aktiv. Jüngst war sie Teil des anarchofeministischen Kollektivs, das das Schiff Louise Michel für die zivile Seenotrettung im zentralen Mittelmeer klarmachte. Wenn sie sich nicht gerade mit der Festung Europa oder verblödeter Heldenerschaffung herumschlägt, trägt sie den Kampf um Liebe und Revolution auch auf das literarische Parkett, unterbricht Männer beim Reden oder schaut Hochständen dabei zu, wie sie von ganz alleine umfallen.
1. Auflage März 2021
© Ventil Verlag UG (haftungsbeschränkt) & Co. KG, Mainz 2021
Abdruck, auch in Auszügen, nur mit ausdrücklicher
Erlaubnis des Verlages. Alle Rechte vorbehalten.
ISBN 978-3-95575-142-5
eISBN 978-3-95575-612-3
Lektorat: Jonas Engelmann
Covermotiv: Raoul Doré
Gestaltung und Satz: Oliver Schmitt
Ventil Verlag, Boppstraße 25, 55118 Mainz
www.ventil-verlag.de
Imago Imago Es ist fraglich, ob ihr Ableben gegen ihren Willen, oder zumindest ohne ihr Wissen, vonstattengehen würde. Sie waren ja bereits, ohne je nach ihrer Meinung gefragt zu werden, in diese Welt hineingeboren worden. Genauso unverhofft konnte man auch wieder aus dieser Existenz hinauskomplimentiert werden. Mit etwas Glück. Dass selbst Sterbezeugnisse dazu neigen, zwar die Frage nach dem Wie , aber nicht nach dem Wozu zu beantworten, irritiert niemanden sonderlich. Im besten Fall zieht sich eine Augenbraue hoch, im schlimmsten wird die Erkenntnisnot in Trauer ertränkt und man beschränkt sich auf die Inszenierung des Abgangs. Ein Stück, das beim Fallen des Vorhangs plötzlich nur noch aus dem letzten Akt besteht. Bis es soweit ist, füllen sie emsig die Stunden, Tage und Jahre, die zwischen diesen vermeintlich wichtigen Ereignissen der eigenen Geburt und des Todes liegen. Sie geben all ihr Streben und Bewusstsein in diese makabre Realität hinein, pressen mit verkrampftem Kiefer in jede Sekunde eine Wahrhaftigkeit und erwarten tatsächlich, dass sich ein Sinn daraus formt. Oder sie verweigern sich schlechthin der Anerkennung der ihnen auferlegten Willkür eines Lebens, indem sie narkotisch auf nichts warten und nichts erwarten. Gleichwohl rennen alle der Liebe nach, lachen und schreien, haben eine Idee von sich selbst und von anderen, bringen den Müll raus und kommen nicht umhin, dabei Menschen mit dem exakt gleichen Problem anzutreffen. Dieser vermaledeite Rest der Welt, mit dem sie sich auseinandersetzen müssen. Jeder Einzelne ein Beweis, ein Paradebeispiel pathologischer Unwissenheit, so dass man zur allgemeinen Entspannung lieber Unsterblichkeit vorgibt. In dieser Wahnvorstellung ist es angenehmer, man redet nicht darüber (nicht über den Uterus meiner Mutter und noch viel weniger über meine anstehende Verwesungsfäule) und überspielt die Konsequenzen mit Menschsein. Man tut alles, um das Absurde zu vertuschen. Welch tragisch komisches Schauspiel! Untereinander, ineinander, gegeneinander, miteinander, selbst ohneeinander machen sie sich etwas vor. Ein Geflecht aus Milliarden Vorstellungen, die Schimäre einer Gesellschaft, die selten ohne Blessuren zu bewältigen ist. Es ist gleich, ob sie das gut finden oder nicht, ob sie all die Masken herunterreißen oder auftragen wollen. Am Ende würden sie nichts ändern, oder eben doch alles, weil sie die Illusionen töten. Probieren wir es aus.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
»Je suis ambitieuse pour l’humanité; moi je voudrais que tout le monde fût artiste, assez poète pour que la vanité humaine disparût.«
– Louise Michel, Plädoyer vor dem Schwurgericht in Paris (1883)
»Down in the valley, there were three farms. The owners of these farms had done well.
They were rich men. They were also nasty men.
All three of them were about as nasty and mean as any men you could meet.«
– Roald Dahl, Fantastic Mr. Fox (1970)
Es ist fraglich, ob ihr Ableben gegen ihren Willen, oder zumindest ohne ihr Wissen, vonstattengehen würde. Sie waren ja bereits, ohne je nach ihrer Meinung gefragt zu werden, in diese Welt hineingeboren worden. Genauso unverhofft konnte man auch wieder aus dieser Existenz hinauskomplimentiert werden. Mit etwas Glück.
Dass selbst Sterbezeugnisse dazu neigen, zwar die Frage nach dem Wie , aber nicht nach dem Wozu zu beantworten, irritiert niemanden sonderlich. Im besten Fall zieht sich eine Augenbraue hoch, im schlimmsten wird die Erkenntnisnot in Trauer ertränkt und man beschränkt sich auf die Inszenierung des Abgangs. Ein Stück, das beim Fallen des Vorhangs plötzlich nur noch aus dem letzten Akt besteht.
Bis es soweit ist, füllen sie emsig die Stunden, Tage und Jahre, die zwischen diesen vermeintlich wichtigen Ereignissen der eigenen Geburt und des Todes liegen. Sie geben all ihr Streben und Bewusstsein in diese makabre Realität hinein, pressen mit verkrampftem Kiefer in jede Sekunde eine Wahrhaftigkeit und erwarten tatsächlich, dass sich ein Sinn daraus formt. Oder sie verweigern sich schlechthin der Anerkennung der ihnen auferlegten Willkür eines Lebens, indem sie narkotisch auf nichts warten und nichts erwarten.
Gleichwohl rennen alle der Liebe nach, lachen und schreien, haben eine Idee von sich selbst und von anderen, bringen den Müll raus und kommen nicht umhin, dabei Menschen mit dem exakt gleichen Problem anzutreffen.
Dieser vermaledeite Rest der Welt, mit dem sie sich auseinandersetzen müssen. Jeder Einzelne ein Beweis, ein Paradebeispiel pathologischer Unwissenheit, so dass man zur allgemeinen Entspannung lieber Unsterblichkeit vorgibt.
In dieser Wahnvorstellung ist es angenehmer, man redet nicht darüber (nicht über den Uterus meiner Mutter und noch viel weniger über meine anstehende Verwesungsfäule) und überspielt die Konsequenzen mit Menschsein. Man tut alles, um das Absurde zu vertuschen. Welch tragisch komisches Schauspiel! Untereinander, ineinander, gegeneinander, miteinander, selbst ohneeinander machen sie sich etwas vor. Ein Geflecht aus Milliarden Vorstellungen, die Schimäre einer Gesellschaft, die selten ohne Blessuren zu bewältigen ist.
Es ist gleich, ob sie das gut finden oder nicht, ob sie all die Masken herunterreißen oder auftragen wollen. Am Ende würden sie nichts ändern, oder eben doch alles, weil sie die Illusionen töten.
Probieren wir es aus.
Rubi lag mit zur Seite gewandtem Gesicht auf ihrem Bett und beobachtete die Falten des Frotteelakens, die sich unter den Bewegungen ihres Beckens zu immer neuen Mustern strafften. Mechanisch griff sie in Codys Haar und drückte seinen Kopf tiefer zwischen ihre Beine. Das hier war auch nicht schlechter als die Beziehungen, die sie vorher gehabt hatte.
Ein eisiger Hauch Winterluft zog durch das gekippte Fenster und verlor sich in den trockenen Schwaden ihres überheizten Schlafzimmers. Sie zog gelangweilt eine Schnute und fühlte weder sich noch ihn. Die Stadt, die sich außerhalb der verrußten Hauswand befand (eine Wand, die von nicht viel mehr erzählen konnte als von den Krebserkrankungen der Arbeiter, die die Asbestplatten zugeschnitten hatten), interessierte das alles nicht und hielt in ihrem Treiben nicht inne. Wie bei jedem schwarzen Loch war es für den, der nicht selbst hineinfiel, unmöglich, je etwas darin verschwinden zu sehen.
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