Christian J. Jäggi
Säkulare und religiöse Bausteine
einer universellen Friedensordnung
Christian J. Jäggi
Säkulare und religiöse Bausteine
einer universellen Friedensordnung
Eine Zusammenschau
Tectum Verlag
Bereits erschienen:
Frieden, politische Ordnung und Ethik (2018)
Bausteine einer politischen Friedensordnung im Judentum (2019)
Bausteine einer politischen Friedensordnung im Christentum (2020)
Bausteine einer politischen Friedensordnung im Islam (2021)
Christian J. Jäggi
Säkulare und religiöse Bausteine einer universellen Friedensordnung
Eine Zusammenschau
© Tectum – ein Verlag in der Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2021
ePub 978-3-8288-7343-8
(Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Werk unter der ISBN 978-3-8288-4242-7 im Tectum Verlag erschienen.)
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Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
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Angaben sind im Internet über http://dnb.d-nb.deabrufbar.
Inhalt
Einführung
Probleme
TEIL 1: TRANSSÄKULARE UND TRANSRELIGIÖSE FRIEDENSETHIK
Die Weltethos-Theorie als Antwort?
Theologie der Befreiung als Ansatz?
Aspekte interkultureller Kommunikation
Diskursethik
Demokratischer Weltstaat als Fortsetzung der Weltethos-Idee
1. Geist versus Materie: Der Grundkonflikt, auf dem alles beruht
Geist – Pneuma – Ruah
Geistige Macht versus Macht des Bösen
1.1 Destruktive Methoden
1.2 Gewalt in den heiligen Schriften
1.3 Schuld
2. Zur Strategie der geistigen Seite
2.1 Die Zurückhaltung der geistigen Seite
2.2 Geistige und materielle Sicht der Geschichte
Gottesboten und Engel
Hebräische Bibel
Neues Testament
Koran
2.3 Einige strategische Folgerungen
3. Friedensarbeit
3.1 Versöhnung
3.2 Vertrauen, Liebe, Barmherzigkeit und Empathie
3.3 Die Befreiung und Entwicklung des mystischen Selbstes
TEIL 2: WAS TUN?
4. Von der materialistischen zur spirituellen Bildung
5. Welche Art von Bildung?
6. Vergeistigung der wissenschaftlichen Erkenntnis
7. Das Problem der Apokalyptik – und die weltpolitische Anarchie
7.1 Kairos – der richtige Zeitpunkt
7.2 Dialog mit den Göttern
8. Ethik in der Politik als conditio sine qua non
8.1 Fragen einer transsäkularen und transreligiösen Ethik
8.2 Die Menschenrechte als unerlässliche Grundlage
9. Eine neue Tugendethik als Antwort?
9.1 Tugendethik oder institutionelle Ethik?
9.2 Politik und Ethik: Das Problem der persönlichen Integrität
9.3 Der Umgang mit dem „ganz Anderen“ als Prüfstein
9.4 Tugendethik und Spiritualität
9.5 Die Gewaltverweigerung als Ziel
10. Notwendige Antworten einer transsäkularen und transreligiösen Ethik
11. Handlungsperspektiven
11.1 Verletzlichkeit
11.2 Ächtung von Gewalt
11.3 Nationalstaaten versus demokratischer Weltstaat
11.4 Durchsetzung einklagbarer Menschenrechte
11.5 Transnationale Demokratie
11.6 Planetare Friedensvision
Fazit
Abkürzungen
Bibliographie
Einführung
Am 6. August 2020 – dem 75. Jahrestag der Atombombenabwürfe in Hiroshima und Nagasaki – gab es auf der Welt laut Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri insgesamt 13’400 Atomwaffen (vgl. Kölling 2020:4). Zusätzlich zu den bestehenden neun Atommächten planten oder arbeiteten weitere Länder daran, eigene Atombomben zu entwickeln oder atomar aufzurüsten, so unter anderem Nord-Korea, Iran, Süd-Korea und Japan.
Im Jahr 2020 verliessen die USA unter Trump das Open Sky-Abkommen mit Russland, das die NATO-Staaten mit Russland 1992 geschlossen hatten und das den USA und Russland bis zu 42 gemeinsame Beobachtungsflüge pro Jahr über dem Territorium der Unterzeichnerstaaten erlaubte. Bis 2020 wurden über 1500 gemeinsame Beobachtungsflüge gemacht. Der Vertrag galt als wesentlicher Baustein der vertrauensbildenden Massnahmen und der europäischen Friedens- und Sicherheitsarchitektur (vgl. DW 2020). Im Januar 2021 verabschiedete sich auch Russland – kurz vor Joe Bidens Amtsübernahme – vom Open Sky-Abkommen (vgl. t-online 2021).
Im südchinesischen Meer verschärfte sich 2020 die politische und militärische Spannung weiter. Zwei ETH-Forscher verglichen im Mai 2020 die Situation im südchinesischen Meer mit dem Spannungsfeld im Persischen Golf (vgl. SRF 2020).
All dies zeigt, dass die Friedensthematik weltweit drängende ist denn je.
Maximilian Zech (2019:43) hat die Ansicht vertreten, dass in der heutigen Zeit „die politische Ordnung auf Prinzipien beruhen [muss], die allen Bürgern – Gläubigen und Nichtgläubigen – einsichtig seien“. Das trifft zweifellos zu, wenn sich der Staat nicht einseitig entweder auf die religiösen Vorstellungen von Gläubigen einer bestimmten Denomination oder auf eine ausschliesslich säkulare Sicht des Lebens ausrichten will. In beiden Fällen droht eine zu enge Ausrichtung auf ein partielles Staatsverständnis wesentliche Teile der Bevölkerung zu ignorieren oder gar zu marginalisieren.
Der israelische Historiker Yuval Noah Harari (2018) hat die Meinung vertreten, dass heute die liberale Demokratie vor zwei grossen Herausforderungen steht: auf der einen Seite vor der Zunahme autoritärer Regimes weltweit und sogar im Rahmen der Europäischen Union, und auf der anderen Seite vor der zunehmenden Dominanz von Big-Data-Algorithmen und künstlicher Intelligenz, welche ihrerseits den politischen Prozess immer mehr beeinflussen – oder wenn man will – verzerren. Dabei vertrat Harari die Meinung, dass in vielen Ländern – so etwa in den USA – die ideologische Kluft zwischen den Parteien deutlich abgenommen habe, vor allem wenn man mit den 1930er oder 1970er Jahren vergleiche. An die Stelle weltanschaulicher Auseinandersetzungen sei der zunehmend polarisierende Versuch getreten, „Emotionen zu entfachen, um die öffentliche Debatte und damit die Basis der liberalen Demokratie zu zerstören“ (Harari 2018). Das ist vielleicht ein Grund, warum im politischen Diskurs – nicht nur in den USA – mehr und mehr Demagogie, Beleidigungen der Gegner, Lügen, Fake News und Verschwörungstheorien an die Stelle von politischen Debatten und Auseinandersetzungen um Sachfragen getreten sind. Emotionalisierende Politiker drängen der Wahrheit verpflichtete Sachpolitiker in den Hintergrund und werden gar von den Wählenden mit Stimmen belohnt, während eine auf Konsens und Gemeininteresse ausgerichtete Politik uninteressant geworden ist. Gleichzeitig – so Harari 2018 – habe das demokratische System die Fähigkeit verloren, sinnvolle Visionen für die Zukunft zu entwerfen. Anstelle des politischen Diskurses sei heute die Praxis gerückt, menschliche Schwächen durch Einflussnahme von Algorithmen auszunutzen und Desinformation zu verbreiten, die oft auch geglaubt wird.
Im Buch „Hidden Agendas: Geopolitik, Terror und Populismus“ (vgl. Jäggi 2017a) habe ich die Hintergründe von geopolitischem Hegemonialismus, Terrorismus und Populismus anhand politikwissenschaftlicher Modelle und Erklärungsansätze diskutiert. In diesem Text geht es darum, hinter die politischen Interessen, Zusammenhänge und Bestrebungen zu schauen und neue Perspektiven für eine länder- und weltanschauungsbergreifende Friedensordnung zu diskutieren. Im Zentrum stehen dabei ethische, aber auch theologische und weltanschauungsbezogene Fragestellungen.
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