Kolb (2011: 186f.) kritisiert an dem Bewertungsraster des Bundeslandes Bayern für die Niveaustufe B2 zudem (vgl. Tabelle 2.9), dass die beiden Punkte Inhalt und Strategie gegenüber dem Aspekt Sprache deutlich in den Hintergrund gerückt werden, da sie im Verhältnis 4:6 bewertet werden. Auch wenn eine Anerkennung der eigentlichen Sprachmittlungsleistung in Form von eigener Textproduktion erfolgt, bleibt allerdings die Frage offen, wie innerhalb der Antworten der Lernenden der mögliche Einsatz der Wörterbücher erkannt bzw. bewertet werden soll.
Nach diesem Blick in die in der Praxis vorhandenen und verwendeten Dokumente, werden abschließend noch die konzeptionellen Überlegungen betrachtet, die zum Teil schon weiterentwickelt sind aber noch nicht Eingang in den Unterrichtsalltag gefunden haben.
Anknüpfend an das Bewertungsraster aus Bayern (ISB 2004; Tabelle 2.9) für das informelle Dolmetschen beschreibt Reimann (2013a), aber deutlich ausführlicher, fünf Bereiche, die für die Messung der Lernendenleistung herangezogen werden sollen. Darunter fallen, für die Rolle des Sprachmittlers bzw. der Sprachmittlerin:
die sprachliche Leistung: hier sind vor allem der Wortschatz, also die sprachlichen Mittel, von entscheidender Bedeutung, wobei die sprachliche Richtigkeit zunächst in den Hintergrund tritt.
die kognitive Leistung: unter diesen Aspekt fällt die treffende Auswahl der zu mittelnden Inhalte unter Bezugnahme auf Situation und Adressat sowie das ggf. sinnvolle Einfügen von notwendigen Erklärungen.
die inter- und transkulturelle Leistung: erfasst die Qualität der Erläuterung von kulturspezifischen Elementen; dazu zählen auch Mimik und Gestik.
die interaktionale Leistung: bewertet das Bemühen der Lernenden, den Adressaten- und Situationsbezug innerhalb der Sprachmittlungssituation herzustellen.
die sprach- und kulturmittlerische Gesamtleistung (vgl. ebd.: 208).
B2 |
Sprache |
6 |
Ein sehr großes Spektrum sprachlicher Mittel zu Themen, die überwiegend aus den eigenen Interessensgebieten stammen, wird sicher verwendet. |
5 |
Ein sehr großes Spektrum sprachlicher Mittel zu Themen, die überwiegend aus den eigenen Interessensgebieten stammen, wird meist korrekt verwendet. |
4 |
Ein sehr großes Spektrum sprachlicher Mittel zu Themen, die überwiegend aus den eigenen Interessensgebieten stammen, mit einzelnen Schwächen, die die Kommunikation nicht wesentlich beeinträchtigen. |
3 |
Ein großes Spektrum sprachlicher Mittel zu Themen, die überwiegend aus den eigenen Interessensgebieten stammen, mit mehreren, auch groben Verstößen; die Kommunikation ist weitgehend gewährleistet. |
2 |
Ein reduziertes Spektrum sprachlicher Mittel zu Themen, die überwiegend aus den eigenen Interessensgebieten stammen, mit vielen groben Verstößen; die Kommunikation ist deutlich beeinträchtigt. |
1 |
Ein deutlich reduziertes Spektrum sprachlicher Mittel zu Themen, die überwiegend aus den eigenen Interessensgebieten stammen, mit sehr vielen gravierenden Verstößen, die die Verständlichkeit erheblich beeinträchtigen. |
0 |
Unzulängliche Verwendung sprachlicher Mittel zu Themen, die überwiegend aus den eigenen Interessensgebieten stammen; extreme Beeinträchtigung der kommunikativen Leistung bis hin zur völligen Unverständlichkeit. |
B2 |
Inhalt/Strategie |
4 |
Komplexe Kommunikationssituationen werden vollständig erfasst, die gestellte Aufgabe wird in vollem Umfang erfüllt. Die Verständigung in komplexeren Gesprächen zu vielfältigen Themen und der Adressatenbezug sind jederzeit gewährleistet. Sprachliche Defizite werden sehr oft durch geeignete Umschreibungen kompensiert. |
3 |
Komplexe Kommunikationssituationen werden im Großen und Ganzen erfasst, die gestellte Aufgabe wird weitgehend erfüllt. Die Verständigung in komplexeren Gesprächen zu vielfältigen Themen und der Adressatenbezug sind in aller Regel gewährleistet. Sprachliche Defizite werden häufig durch geeignete Umschreibungen kompensiert. |
2 |
Komplexe Kommunikationssituationen werden im Wesentlichen erfasst, die gestellte Aufgabe wird noch erfüllt. Die Verständigung in komplexeren Gesprächen zu vielfältigen Themen und der Adressatenbezug sind meist gewährleistet. Sprachliche Defizite werden ansatzweise durch geeignete Umschreibungen kompensiert. |
1 |
Komplexe Kommunikationssituationen werden nur teilweise erfasst, die gestellte Aufgabe wird nicht mehr hinlänglich erfüllt. Die Verständigung in komplexeren Gesprächen zu vielfältigen Themen und der Adressatenbezug sind kaum noch gewährleistet. Sprachliche Defizite werden kaum kompensiert. |
0 |
Komplexe Kommunikationssituationen werden nicht mehr erfasst, die gestellte Aufgabe wird nicht erfüllt. Die Verständigung in komplexeren Gesprächen zu vielfältigen Themen und der Adressatenbezug sind nicht mehr gegeben. Sprachliche Defizite werden nicht kompensiert. |
Tabelle 2.9: Bewertungsraster Dolmetschen Niveaustufe B2 Bayern (Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung 2004; Hervorhebungen im Original)
Außerdem fordert er, dass nicht nur die Rolle des Sprachmittlers bzw. der Sprachmittlerin bewertet werden sollte, sondern auch die weiteren am Gespräch beteiligten Personen: die deutsch- und die spanischsprachige Rolle, so dass alle drei Positionen aufgewertet bzw. anerkannt werden. Dabei sollte aufgrund der unterschiedlichen Anforderungen der jeweiligen Rollen eine Gewichtung erfolgen, für die Reimann (2013a, 2013b) unterschiedliche Bewertungsraster vorgelegt hat, einer Forderung der sich auch Rössler (2016: 313) anschließt. Eine Möglichkeit wäre deshalb, die Rolle der sprachmittelnden Person dreifach zu werten, die der spanischsprachigen zweifach und die der deutschsprachigen lediglich einfach. Alternativ macht sie den Vorschlag, die erstellten Raster als Möglichkeit des Feedbacks oder als Selbstevaluation für die Schülerinnen und Schüler im Unterricht zu nutzen.
Etwas anders akzentuieren Philipp und Rauch (2010) die Aspekte, die ihrer Meinung nach für die Bewertung von Relevanz sind und unterscheiden dabei auch zwischen Sekundarstufe I und II. So sind neben Adressaten-, Sinn- und Situationsgerechtheit in den ersten Lernjahren sprachliche Fehler oder Unverständlichkeiten deutlich weniger entscheidend für die Notengebung, solange die Kommunikation aufrechterhalten wird. Dieser Fokus auf den Inhalt verschiebt sich dann in der Oberstufe in Richtung sprachlicher Angemessenheit sowie Bezugnahme auf Adressat/in und Situation und sollte sich letztlich an den einheitlichen Prüfungsanforderungen für das Abitur orientieren (ebd.: 6f.).
Nachdem zahlreiche Aspekte von Sprachmittlung beleuchtet worden sind, ausgehend von der Definition des Begriffes in der Fachliteratur und der Didaktik über die Vorgaben in den relevanten Dokumenten der Bildungspolitik hin zum Forschungsstand mit den ebenfalls zahlreichen Positionen der Auffassung der Sprachmittlungshandlung, den Modellen, der Aufgabenentwicklung, der Sichtung bestehenden Materials und dem Vorkommen in Abiturprüfungen sowie der Evaluation von Sprachmittlungs-aufgaben, lässt sich ein facettenreiches Bild zeichnen, welches nicht immer einheitlich wahrgenommen und diskutiert wird.
Auch wenn eine Definition als komplexe Aktivität bzw. Tätigkeit, die verschiedene Modi der Ausgangs- und Zieltexte umfasst und zahlreiche Angaben für die Lernenden zur Erstellung des Produktes benötigt, scheint das Potenzial bisher noch nicht vollends ausgeschöpft. So können mit solchen Aufgaben beispielsweise Differenzierungsangebote gemacht werden; auch die Möglichkeit der Anbahnung der interkulturellen Kompetenz scheint mit diesem Format gegeben (vgl. dazu Rössler 2016; Grünewald 2012; Philipp, Rauch 2010). Andererseits dürfen aber auch die Grenzen nicht übersehen werden, wenn beispielsweise die Bewertungskriterien nicht transparent sind, eine nur unzureichend formulierte Aufgabenstellung vorhanden ist, der Kontext für die Schülerinnen und Schüler nicht nachvollziehbar ist oder auch der Ausgangstext aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse nicht verstanden wurde (vgl. Pfeiffer 2013; Kolb 2011).
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