(1) Die Taten des nunmehr selbstständigen römischen Volkes im Frieden und Krieg, die der jährlich wechselnden Beamten und die Herrschaft der Gesetze, mächtiger als die von Menschen, werde ich von jetzt an beschreiben. 2 Dass diese Freiheit erwünschter war, hatte die Härte des letzten Königs bewirkt. Denn die früheren haben so regiert, dass sie nicht mit Unrecht alle nach der Reihe für Erbauer, wenigstens der Teile der Stadt angesehen werden können, mit welchen sie, als neuen Wohnsitzen der von ihnen erhöhten Volkszahl, die Stadt erweitert haben. 3 Und es leidet keinen Zweifel, dass ebenderselbe Brutus, der durch Vertreibung des Königs Tarquinius sich so großen verdienten Ruhm erwarb, dies zum größten Nachteil des Staates getan hätte, wenn er, nach noch unzeitiger Freiheit lüstern, einem der früheren Könige die Regierung entwunden hätte. 4 Was wäre die Folge gewesen, wenn jener Bürgerhaufe, ein Gemisch aus Hirten und Zusammenläufern, das seinen Völkerschaften entflohen war, unter dem Schutze eines unverletzbaren Heiligtums,21 mit der Freiheit oder wenigstens mit Straflosigkeit beschenkt, von aller Furcht vor einem König befreit, von tribunizischen Stürmen umgetrieben wäre 5 und in einer ihm noch fremden Stadt sich mit den Vätern in Fehden eingelassen hätte, ehe noch Gattinnen und Kinder als Unterpfänder und die Liebe zum Wohnort selbst, an den man sich nur durch die Länge der Zeit gewöhnt, sie zum Gemeinsinn vereinigt hätten? 6 Zwietracht hätte den noch jungen Staat zersplittert, den die ruhige Milde der Regierung zusammenhielt und unter ihrer Pflege so erstarken ließ, dass er die segensreiche Frucht der Freiheit bei schon gereiften Kräften tragen konnte. 7 Die Freiheit selbst aber muss man mehr für darin gegründet halten, dass die Regierung der Konsuln auf ein Jahr festgesetzt wurde, als weil etwa an der königlichen Gewalt das mindeste geschmälert wäre. 8 Die ersten Konsuln hatten noch alle Rechte, alle Auszeichnung der Könige. Nur das verhütete man, dass das furchtbare Äußere dadurch verdoppelt würde, wenn sich beide die Rutenbündel vortragen ließen. Der Mitkonsul stand freiwillig nach und überließ die Bündel das erste Mal dem Brutus, der die Freiheit nicht eifriger gegründet haben konnte als er sie von nun an bewachte. 9 Vor allen Dingen verpflichtete er das Volk, solange es noch nach der neuen Freiheit haschte, damit es sich auch künftig nicht durch Bitten oder Geschenke des Königs beugen ließe, durch einen Eid, nie einen König über Rom zu dulden. 10 Ferner, um dem Senat durch die Menge der Mitglieder mehr Stärke zu geben, brachte er die unter den Hinrichtungen des Königs verminderte Zahl der Senatoren durch Aufnahme der Vornehmsten des Ritterstandes wieder auf die volle Zahl von 300; 11 und davon, sagt man, schreibe es sich her, dass bei jeder Zusammenrufung Väter und Nachgewählte in den Senat beschieden würden. Nachgewählte nämlich nannte man die in den neuen Senat Aufgenommenen. Dies war für die Einigkeit im Staat und für die Liebe der Bürger zu den Vätern ein Mittel von außerordentlicher Wirkung.
(2) Sodann wurde für den Gottesdienst gesorgt; und weil gewisse öffentliche Opfer immer von den Königen in Person verrichtet waren, so setzte man, damit die Könige auch in keinem Stück vermisst würden, hierzu einen Priester unter dem Namen »der kleine Opferkönig« ein. 2 Dies Priestertum wurde dem Oberpriester untergeordnet, damit nicht etwa der Name durch eine damit verbundene höhere Ehre der Freiheit nachteilig würde, für die man damals vor allem besorgt war. Und ich möchte fast glauben, man habe die Sorge, sie gar zu sehr von allen Seiten auch durch die größten Kleinigkeiten zu sichern, übertrieben, 3 war ihnen doch an dem andern Konsul, an dem sie weiter nichts zu tadeln fanden, sogar der Name unleidlich. Die Tarquinier, hieß es, hätten sich zu sehr an das Regieren gewöhnt. Priscus sei der Erste gewesen, nach ihm habe zwar Servius Tullius geherrscht, aber Tarquinius der Stolze, weit entfernt, sich durch die eingeschaltete Regierung zur Aufgabe des Throns als eines fremden Eigentumes bestimmen zu lassen, habe ihn als ein seinem Stamm gebührendes Erbe durch Frevel und Gewalt wieder an sich gerissen. Nach Vertreibung Tarquinius’ des Stolzen sei die Regierung in den Händen eines Tarquinius Collatinus. Die Tarquinier hätten nicht gelernt, im Privatstand zu leben: Der Name sei missliebig, sei der Freiheit gefährlich.
4 Diese Reden wurden von denen, die vorläufig in der Stille die Stimmung des Volkes erfahren wollten, durch die ganze Stadt verbreitet; und als sie bei den Bürgern mit diesem Argwohn Eingang fanden, berief Brutus eine Versammlung. 5 Hier las er gleich zuerst den Eid des Volkes vor, dass es keinen König und überhaupt niemanden in Rom dulden wolle, von dem die Freiheit zu fürchten habe. Dies müsse das höchste Augenmerk bleiben und nichts als geringfügig angesehen werden, was darauf Beziehung habe. Ungern rede er weiter, um den Mann zu schonen; und er hätte geschwiegen, wenn nicht die Liebe für das Ganze den Vorrang behielte. 6 Das römische Volk glaube die Freiheit noch nicht ganz errungen zu haben. Der Stamm des Königs, der Name des Königs, befinde sich nicht bloß im Staat, sondern sogar in der Regierung. Dies sei der Freiheit nachteilig, dies sei ihr hinderlich. Entferne du , fuhr er fort, 7 Lucius Tarquinius, diese Furcht freiwillig, wir wissen es, wir bekennen es, du hast die Könige vertrieben. Kröne dein Werk und entferne den königlichen Namen. Dein Eigentum werden dir deine Mitbürger, wofür ich selbst sorgen will, nicht allein herausgeben, sondern, wenn es dir an etwas fehlen sollte, es freigebig vermehren. 22 Gehe als Freund, befreie den Staat von seiner vielleicht unbegründeten Furcht. Sie glauben nun einmal, dass mit dem Tarquinischen Geschlecht zugleich das Königtum auswandern werde.
8 Dem Konsul war der Antrag so neu und unerwartet, dass ihm anfangs sein Staunen die Sprache versagte; und als er anfangen wollte zu reden, umringten ihn die Ersten des Staates mit derselben, noch dringender wiederholten Bitte. Freilich machten die Übrigen weniger Eindruck auf ihn. 9 Als aber Spurius Lucretius, der ihnen allen an Jahren und Würde überlegen und sein eigener Schwiegervater war, ihn von mehreren Seiten, bald durch Bitten, bald durch Zureden angriff, 10 legte der Konsul, weil er doch befürchten musste, es könne ihm nächstens als Privatmann dasselbe, zugleich mit dem Verlust seines Vermögens und angehängtem Schimpf widerfahren, sein Konsulat nieder, schaffte all sein Hab und Gut nach Lavinium und verließ die Stadt. 11 Brutus trug durch einen Senatsbeschluss bei dem Volk darauf an, dass das ganze Geschlecht der Tarquinier für landesverwiesen erklärt wurde, und ließ sich auf einem nach Zenturien gehaltenen Wahltag den Publius Valerius zum Mitkonsul geben, durch dessen Beistand er den König mit seiner Familie vertrieben hatte.
(3) Obgleich niemand daran zweifelte, dass ein Krieg von Seiten der Tarquinier drohe, so brach dieser dennoch später aus, als man erwartet hatte. Allein beinahe hätten sie die Freiheit, was sie gar nicht befürchteten, durch List und Verrat verloren.
2 Unter den römischen Jünglingen gab es mehrere, und zwar von höherem Rang, die unter der königlichen Regierung bei ihren Ausschweifungen mehr Freiheit gehabt und als Altersgenossen und Gesellschafter der jungen Tarquinier sich gewöhnt hatten, auf königlichem Fuß zu leben. 3 Jetzt, da alle gleiches Recht hatten, vermissten sie jene Ungebundenheit und führten unter sich darüber Klage, dass die Freiheit anderer für sie ein Sklavenleben geworden sei. Ein König sei doch ein menschliches Wesen; man könne auf ihn rechnen, möge es auf Recht oder Unrecht abgesehen sein; man könne sich bei ihm gelitten, ihn sich verbindlich machen; er könne zürnen und verzeihen und verstehe sich auf den Unterschied zwischen Freund und Feind. 4 Gesetze hingegen wären ein taubes, unerbittliches Ding, dem Hilflosen heilsamer und erfreulicher als dem Mächtigen; sie wüssten nichts von Erlass und Nachsicht, wenn man sich vergangen habe; es sei zu gewagt, wenn man, als Mensch so vielen Verirrungen ausgesetzt, sein Leben ganz der Unsträflichkeit zu verdanken haben wolle.
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