Als die Nationalsozialisten im April 1940 in Norwegen landeten, floh Brandt nach Schweden. Dort lernte er Bruno Kreisky und Gunnar Myrdal kennen, mit denen ihn eine lebenslange Freundschaft verband. Von Schweden aus unterhielt er auch lose Verbindungen zur deutschen Widerstandsbewegung.
Nach Kriegsende kehrte Brandt nach Deutschland zurück und arbeitete zunächst als Korrespondent bei den Nürnberger Prozessen und dann bei der norwegischen Mission in Berlin als Presseattaché. Das Amt des Bürgermeisters von Lübeck lehnte er ab, sein Ziel war Berlin. Da er in die Politik gehen wollte, nahm er wieder die deutsche Staatsbürgerschaft an und wurde 1949 für die SPD in den deutschen Bundestag gewählt, ein Jahr später wurde er ins Berliner Abgeordnetenhaus entsandt. Zu Kurt Schumacher, dem SPD-Nachkriegschef, hatte Brandt wenig Beziehung. Er hielt ihn für doktrinär und nationalistisch. Sein politischer Ziehvater und enger Freund dieser Jahre war Ernst Reuter, Berliner Oberbürgermeister seit 1947. Die beiden verbanden ein erklärter Antikommunismus und eine proamerikanische Haltung. Brandts politisches Ziel war das Amt des Oberbürgermeisters, doch 1952 und 1954 gelang es dem Berliner SPD-Vorsitzenden und Anhänger einer konservativen Parteilinie, Franz Neumann, Brandts Wahl zu verhindern.
Nach dem Tod des Berliner Bürgermeisters Otto Suhr wählte das Berliner Abgeordnetenhaus jedoch Willy Brandt, inzwischen ein sehr einflussreicher SPD-Politiker, zum Regierenden Bürgermeister. In dieser Funktion in der zweigeteilten Stadt sollte Brandt Weltberühmtheit erlangen. Den Sowjets gegenüber zeigte er Courage und ließ sich weder durch Nikita Chruschtschows Forderung nach Entmilitarisierung der Stadt noch durch den Bau der Mauer 1961 einschüchtern. Seine obersten Ziele waren die Sicherung der Lebensfähigkeit Berlins und gleichzeitig die Vermeidung aller Extremismen. Berlin war das »Schaufenster der freien Welt«. In diesen Jahren erkannte Brandt ganz klar, dass in der Frage des Ostens neue Wege gesucht werden mussten. Statt einer »Politik der Stärke« propagierte er eine »Politik der kleinen Schritte« – die Zeichen der Zeit standen auf Entspannung. Da auch Brandts Berater Egon Bahr für einen »Wandel durch Annäherung« eintrat, konnte schon 1963 ein erstes Passierscheinabkommen mit der DDR geschlossen werden, das es den Westberlinern ermöglichte, den Ostteil der Stadt zu besuchen.
1964 wurde Brandt als Nachfolger des verstorbenen Erich Ollenhauer zum Parteivorsitzenden der SPD und gleichzeitig zum Kanzlerkandidaten der Partei bestellt, schon 1958 war er Mitglied des Parteivorstandes geworden. Als solches nahm er auch entscheidenden Einfluss auf die Formulierung des neuen Parteiprogramms, das 1959 in Bad Godesberg beschlossen wurde. Es brachte eine völlige Neupositionierung der SPD als reformfähige und pragmatische Volkspartei.
In den Wahlkämpfen der folgenden Jahre (1965 und 1969) versuchte Brandt vergeblich, für die SPD einen Wahlsieg einzufahren und damit deutscher Bundeskanzler zu werden. Er führte seine Wahlkämpfe nach dem Vorbild John F. Kennedys, seinen politischen Widerpart Ludwig Erhard versuchte er durch außenpolitische Initiativen aus dem Feld zu schlagen.
In das Kabinett von Kurt-Georg Kiesinger, einer Koalition von CDU/CSU und SPD, trat Brandt – trotz anfänglichen Zögerns – im Dezember 1966 als Vizekanzler und Außenminister ein. Für diesen Schritt wurde er von der studentischen Protestbewegung angegriffen, die ihm vorwarf, die Ideale seiner Jugend zu verraten. Obwohl sein eigener Sohn Peter zu diesen Studentengruppen gehörte, vermochte Brandt zu ihnen keinen Kontakt zu finden. Mit Kurt-Georg Kiesinger kam es immer wieder zu Spannungen, weil dieser Brandts Ostpolitik nicht mittragen wollte. Auch Brandts Vorgänger im Auswärtigen Amt, der CDU-Minister Gerhard Schröder, hatte an der Hallstein-Doktrin festgehalten, die in den Nachkriegsjahren einen wichtigen Faktor darstellte, als Deutschland seine internationale Stellung erst festigen musste. Der vom Staatssekretär im Auswärtigen Amt Walter Hallstein geprägte Grundsatz, dass nur die Bundesrepublik Deutschland den Alleinvertretungsanspruch für Deutschland wahrnehmen könne, war nach Brandts Ansicht ein zu enges Korsett, um in der Ostpolitik Änderungen erzielen zu können.
Nach den Wahlen von 1969 bildete Brandt eine Koalitionsregierung mit der FDP (Freie Demokraten). Zum ersten Mal nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war ein Sozialdemokrat deutscher Bundeskanzler geworden, und Brandt nahm die Zügel sofort fest in die Hand. Als eine der ersten Maßnahmen seiner Administration setzte er eine Aufwertung der deutschen Mark durch und unterzeichnete den Atomsperrvertrag. Er ließ keinen Zweifel daran, wohin der Weg gehen sollte. Mit griffigen Sätzen wie »Wir stehen nicht am Ende unserer Demokratie, wir fangen erst an« gewann er die Gunst der deutschen Wähler.
Schon in seiner Regierungserklärung setzte er wichtige Akzente in der Deutschlandpolitik und in der Ostpolitik, als er von »zwei Staaten in Deutschland« sprach. Ab 1970 konzentrierte er sich völlig auf die Außenpolitik, die eine Verbesserung des Verhältnisses zur kommunistischen Welt anstrebte. So akzeptierte er bei einem Besuch in Polen die Oder-Neiße-Grenze als polnische Westgrenze. Im Rahmen des Staatsbesuches in Polen kam es auch zum legendären Kniefall Brandts am Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus im ehemaligen Warschauer Ghetto. Diese Geste Brandts wurde vielfach gelobt, fand aber auch zahlreiche Kritiker, wie auch seine Akzeptanz für den Status von Westberlin sehr kontrovers bewertet wurde. Die internationale Anerkennung für seine Versöhnungspolitik mit Osteuropa fand ihr sichtbares Zeichen in der Verleihung des Friedensnobelpreises an Willy Brandt im Jahr 1971. Er war der erste Deutsche nach 1945, der mit diesem Friedenspreis ausgezeichnet wurde.
Eher behutsam ging er das Problem DDR an, um nicht das Misstrauen des Westens auf den Plan zu rufen. Er traf sich 1970 in Erfurt mit dem DDR-Ministerpräsidenten Willy Stoph, zwei Jahre später wurde der deutsch-deutsche Grundlagenvertrag unterzeichnet. Bei den Neuwahlen des deutschen Bundestags 1972 erreichte Brandt einen fulminanten Sieg – er konnte das Vertrauen von 45,8 Prozent der Deutschen erringen, vor allem der Anteil der Jugend war überzeugend. Diese hieß seine Ostpolitik trotz des Radikalenerlasses, der kurz zuvor ergangen war, gut. 1973 besuchte Willy Brandt als erster deutscher Bundeskanzler Israel.
Unmittelbar nach der Wahl jedoch zeigten sich bei Brandt Abnutzungserscheinungen. Im Mai 1974 musste er seinen Rücktritt anbieten, da sein engster Mitarbeiter und Vertrauter im Kanzleramt, Günther Guillaume, als ostdeutscher Agent enttarnt worden war. Brandt hatte es der DDR nie vergessen, dass sie sein Vertrauen durch eine derartige Intrige missbraucht hatte. Historiker beurteilen die Guillaume-Affäre heute eher als Auslöser denn als Ursache für seinen Rücktritt, tatsächlich dürften eine gewisse Amtsmüdigkeit und Depressionen Brandts, auch wegen der parteiinternen Kritik an seinem unentschlossenen Führungsstil, der Grund gewesen sein.
Brandt blieb jedoch bis 1987 Vorsitzender der SPD, wohl auch um die innerparteiliche Opposition zu beruhigen. Zu seinem Nachfolger Helmut Schmidt pflegte er ein äußerst loyales Verhältnis, sympathisierte aber gleichzeitig mit dem linken Flügel der Partei, etwa in der Frage der Nachrüstung oder des Ausstiegs aus der Atomenergie. Nicht verhindern konnte er, dass die Grünen weiter Zulauf erhielten und ab 1983 im Bundestag vertreten waren.
1976 übernahm Willy Brandt den Vorsitz in der Sozialistischen Internationale, ein Jahr später präsidierte er auf Vorschlag des ehemaligen amerikanischen Verteidigungsministers Robert McNamara eine Nord-Süd-Kommission, die Vorschläge zugunsten der Dritten Welt ausarbeiten sollte. Dadurch stieg Brandts Ansehen in der ganzen Welt.
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