Sagr.Ich habe eben unbedenklich zustimmen wollen, denn dem Anschein nach ist allerdings die senkrechte Bewegung C B notwendig rascher, als die schiefe C A . Wie kann aber dann der auf der schiefen Ebene fallende Körper nach seiner Ankunft im Punkte A ebenso großen Antrieb, also auch die nämliche Geschwindigkeit, besitzen, wie der senkrecht herabfallende im Punkte B ? Diese Sätze scheinen sich zu widersprechen. 28
Geschwindigkeit längs der geneigten Ebene gleich der Geschwindigkeit längs der senkrechten, und Bewegung längs der senkrechten geschwinder als längs der geneigten.
Salv.Umso mehr wird es Euch unrichtig vorkommen, wenn ich behaupte, dass die Geschwindigkeit des senkrecht und des schief fallenden Körpers genau gleich sind. Und doch ist dies vollkommen richtig, ebenso richtig wie die Behauptung, dass der Fall längs der Senkrechten rascher erfolgt als längs der schiefen Ebene.
Sagr.In meinen Ohren klingt das wie ein schroffer Widerspruch. Was meint Ihr, Signore Simplicio?
Simpl.Auch mir kommt das so vor.
Salv.Ich glaube, Ihr habt mich zum Besten und stellt Euch, als ob Ihr nicht verstündet, was Ihr besser versteht als ich. Sagt mir doch, Signore Simplicio, wenn Ihr Euch vorstellt, ein bewegter Körper übertreffe einen anderen an Geschwindigkeit, welchen Begriff verbindet Ihr damit?
Simpl.Ich stelle mir vor, der eine lege in der nämlichen Zeit eine größere Strecke als der andere zurück, oder die gleiche Strecke, aber in kürzerer Zeit.
Salv.Sehr wohl, und was stellt Ihr Euch unter gleichen Geschwindigkeiten zweier Körper vor?
Simpl.Ich stelle mir darunter vor, dass sie gleiche Strecken in gleichen Zeiten zurücklegen.
Salv.Sonst nichts als das?
Simpl.Es scheint mir dies die richtige Definition gleicher Bewegungen zu sein.
Geschwindigkeiten heißen gleich, wenn die zurückgelegten Wege den Zeiten proportional sind.
Sagr.Wir können doch noch eine andere aufstellen: Es heißen die Geschwindigkeiten auch dann gleich, wenn die zurückgelegten Wege sich verhalten wie die Zeiten, in welchen sie zurückgelegt worden sind. Diese Definition ist eine allgemeinere.
Salv.So ist es; denn sie umfasst sowohl den Fall, wo gleiche Strecken in gleichen Zeiten, als auch den, wo ungleiche Strecken in ungleichen, aber den Strecken proportionalen Zeiten durchlaufen werden. Nehmt nun dieselbe Figur noch einmal vor und sagt mir sodann, unter Benutzung des Begriffs der rascheren Bewegung, warum Ihr die Geschwindigkeit des längs C B fallenden Körpers für größer haltet als die Geschwindigkeit des längs C A fallenden.
Simpl.Ich glaube darum, weil der frei fallende Körper in einer Zeit die ganze Strecke C B zurücklegt, in welcher der andere auf C A eine kleinere Strecke als C B zurücklegt.
Salv.So ist es. Es hat demnach seine Richtigkeit, dass der Körper schneller in der senkrechten Richtung als in der geneigten sich bewegt. Überlegt nun, ob in dieser nämlichen Figur nicht auch der andere Satz zu seinem Recht gelangen kann, und ob sich nicht erweisen lässt, dass die Körper auf beiden Linien C A und C B gleiche Geschwindigkeiten besitzen.
Simpl.Ich kann nichts Derartiges entdecken; es scheint mir im Gegenteil darin ein Widerspruch mit dem eben Gesagten zu liegen.
Salv.Was meint Ihr, Signore Sagredo? Ich möchte Euch nicht erst lehren, was Ihr schon wisst, und was Ihr mir noch eben ganz richtig definiert habt.
Sagr.Die Definition, die ich angeführt habe, lautete, dass die Geschwindigkeiten der Körper gleich genannt werden dürfen, wenn die von ihnen zurückgelegten Wege sich verhalten wie die Zeiten, in welchen sie zurückgelegt werden. Soll also diese Definition hier gelten, so müsste die Zeit für das Fallen längs C A zu der Zeit des freien Falls längs C B dasselbe Verhältnis haben, wie die Linie C A selbst zur Linie C B . Nur begreife ich nicht, wie dies möglich ist, sobald die Bewegung längs C B rascher ist als längs C A .
Salv.Und gleichwohl sollt und müsst Ihr es begreifen. Sagt mir doch: Findet bei diesen Bewegungen nicht eine fortwährende Beschleunigung statt?
Sagr.Ja; aber eine größere Beschleunigung in der senkrechten als in der schiefen Richtung.
Salv.Ist nun aber jene Beschleunigung in der senkrechten Richtung so groß im Vergleich zu der in schräger Richtung stattfindenden, dass, an welcher Stelle auch immer auf den beiden Linien gleiche Stücke angenommen werden, die Bewegung längs des senkrechten Stücks rascher sein muss als längs des schiefen?
Sagr.O nein. Ich kann vielmehr auf der schrägen Linie eine Strecke annehmen, auf welcher die Geschwindigkeit sehr viel größer ist als auf einer anderen ebenso großen Strecke der senkrechten Linie. Ich brauche nur die Strecke auf der senkrechten Linie in der Nähe des Endpunktes C , die Strecke auf der schiefen Linie hingegen recht weit davon entfernt anzunehmen.
Salv.Die Behauptung also, die Bewegung längs der Senkrechten sei schneller als längs der schiefen Linie, erweist sich nicht als allgemein richtig, wie Ihr seht. Sie gilt nur bei Bewegungen, die vom Anfangspunkte, also von der Ruhelage, ihren Ausgang nehmen. Ohne diese Klausel wäre die Behauptung dermaßen falsch, dass ihr Gegenteil ebenso gut wahr sein könnte, nämlich dass die Bewegung auf der schiefen Ebene schneller ist als in senkrechter Richtung: Denn man kann auf der schiefen Linie eine Strecke annehmen, die in kürzerer Zeit durchlaufen wird als eine ebenso große Strecke auf der Senkrechten. Da also die Bewegung auf der schiefen Ebene an einigen Stellen schneller, an anderen weniger schnell ist als auf der Senkrechten, so wird an gewissen Stellen der schiefen Ebene die Zeit der Bewegung des Körpers zu der Zeit der Bewegung des Körpers an gewissen Stellen der Senkrechten ein größeres Verhältnis haben als die entsprechenden zurückgelegten Wege; an anderen Stellen hingegen wird das Verhältnis der Zeiten kleiner sein als das der zugehörigen Wege. Es mögen z. B. von der Ruhelage, also vom Punkte C aus, zwei bewegliche Körper sich in Bewegung setzen, der eine längs der Senkrechten C B , der andere längs der schiefen Linie C A . In der Zeit, wo der eine Körper die ganze Strecke C B zurückgelegt hat, wird der andere das kleinere Stück C T zurückgelegt haben. Die Dauer der Bewegung auf C T wird also zur Dauer der Bewegung auf C B – weil diese beiden Zeiten gleich sind – ein größeres Verhältnis haben als die Linie C T zu C B , da ein und dieselbe Größe zu einer kleineren ein größeres Verhältnis hat als zu einer größeren. 29Wenn man umgekehrt auf der nötigenfalls zu verlängernden Linie C A eine Strecke gleich C B annimmt, die aber in kürzerer Frist passiert wird, so würde die Zeit für Durchmessung der schiefen Strecke zu der für Zurücklegung der senkrechten ein kleineres Verhältnis haben als jene Strecke zu dieser. Da wir uns also auf den beiden Linien Strecken nebst den entsprechenden Geschwindigkeiten denken können derart, dass die Verhältnisse der Strecken zueinander teils kleiner teils größer sind als die Verhältnisse der entsprechenden Zeiten, so können wir wohl vernünftigerweise zugeben, dass auch Strecken vorhanden sind, auf welchen die zur Bewegung erforderlichen Zeiten dasselbe Verhältnis bewahren wie die Strecken selbst.
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