Friedrich Gerstäcker - Die beiden Sträflinge

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Friedrich Gerstäcker versteht es auf geradezu exzellente Weise, in die Handlung um einen zu Unrecht verurteilten Mann und die ebenfalls gejagten Buschrändscher eine Kriminalgeschichte mit einem Gesellschaftsroman zu verweben. Der Leser erfährt auf unterhaltsame Weise, wie die Menschen auf den Farmen wie in den kleinen Ortschaften lebten, dachten und handelten. Dazu kommen die verwickelten Liebesgeschichten, und nicht jedes Paar findet letztlich zu einem Happy-end.

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Gesammelte Schriften

Friedrich Gerstäcker

Die beiden Sträflinge

Australischer Roman

Volks- und Familien-Ausgabe Band Neun

der Ausgabe Hermann Costenoble, Jena

Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig

Ungekürzte Ausgabe nach der von Friedrich Gerstäcker für die Gesammelten Schriften, H. Costenoble Verlag, Jena, eingerichteten Ausgabe „letzter Hand“, herausgegeben und mit Anmerkungen versehen von Thomas Ostwald für die Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig

Unterstützt durch die Richard-Borek-Stiftung und

die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, beide Braunschweig

Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V. u. Edition Corsar

Braunschweig. Geschäftsstelle Am Uhlenbusch 17

38108 Braunschweig

Alle Rechte vorbehalten. © 2015 / 2020

1.

Die Station am Murray.

Reges Leben herrschte heut auf der sonst so still und einsam am Murray gelegenen Station des Squatter Powell - reges, jubelndes Leben, und der Ruf: „die Karren kommen!" lief von Mund zu Mund.

Die Karren kamen allerdings, und irgend ein Fremder würde darin auch nicht das geringste Außergewöhnliche gesehen haben; derjenige aber, der dort gelebt hat, oder die Verhältnisse näher kennt, weiß, was der Ruf bedeutet und in sich saßt.

Die am Murray, oder überhaupt im Innern von Australien gelegenen Stationen - deren Besitzer Squatter genannt werden - stehen nämlich mit der übrigen Welt fast nur durch Ochsenkarren in Verbindung. Diese schaffen die Producte derselben, als da sind: Wolle, Talg, Rindshäute und Schaffelle, nach der nächsten Stadt, wo möglich nach einem Hafen, und bringen dafür Alles zurück, was „drin im Busch" gebraucht wird, - Mehl in vollgestampften Säcken, Fässer mir Zucker, Kisten mit Thee, Tabak, Hufeisen, Nägel, Kleidungsstücke, Schuhwerk usw. Da das nun jährlich, besonders bei den entfernteren Stationen, nur ein einziges Mal geschieht, so läßt es sich denken, mit welcher Sehnsucht diese Karren erwartet, mit welchem Jubel, wenn sie endlich kommen, sie begrüßt werden. /7/

Die kleine Bevölkerung einer solchen Station, die wie eine Insel im weiten Buschmeere liegt, hat auch noch außerdem Gelegenheit genug, sich dabei in Geduld zu üben. Ochsenkarren sind ein entsetzlich langsames Fuhrwerk, Ochsentreiber erstaunlich schläfrige Postboten, so zuverlässig sie sonst sein mögen, und wenn man die Zeit, in der sie zurück sein können, nach Monaten zählen muß, so will sic kein Ende nehmen.,

Heute Morgen nun, noch vor dem Frühstück, brachte schon ein Stockkeeper oder Rinderhirt, der auf schnaubendem schäumenden Pferde zur Station gesprengt kam, die fröhliche Kunde, daß die Karren nur wenige Meilen von dort entfernt die Nacht am Flusse „geduscht" hätten und in wenigen Stunden eintreffen könnten; außerdem aber auch noch ein großes Brief- und Zeitungspaket, das der Haupttreiber ihm anvertraut hatte, um es so rasch als möglich in die Hände des Herrn zu bringen.

Briefe aus der Heimath! - Wer jemals draußen in der Fremde Monate, Jahre lang ohne Nachricht von seinen Lieben daheim gewesen, nur der kann sich in das selige, wunderbare Gefühl hineinversetzen, das uns beim Eröffnen der so lange, so heiß ersehnten Nachrichten erfaßt, und uns im Anfang die lieben, so lange vermißten Schriftzüge toll und bunt vor den Augen herumtanzen läßt. Briefe aus der Heimath! - Der heimathliche Poststempel ist schon eine Erinnerung aus der Jugendzeit, die Adresse, das Siegel - der Name unserer Vaterstadt neben dem freilich schon gar alten Datum. Und nun die Kunde selber - die herzlichen Worte, die uns das Schreiben bringt, die uns innig bewegende Nachricht, daß Alle, die uns theuer, noch wohl und munter sind, und unserer mit der alten Liebe gedenken. - Solch ein Tag ist ein Fest in dem sonst so stillen, monotonen Leben des Ansiedlers, und die Briefe werden wieder und wieder gelesen, erst still und allein, dann laut im versammelten Familienkreise, und man wird nicht müde, die lieben, theuren Züge zu betrachten.

Powells machten keine Ausnahme hiervon. Das Frühstück ward hereingebracht, aber bald auf dem Tische kalt, denn Niemand, die Kinder ausgenommen, dachte ja daran, es zu /8/ berühren. Aufgerissene Couverts deckten den Boden, ge¬öffnete und erst flüchtig durchblätterte Briese, so wie noch fest eingeschnürte Zeitungen den Tisch nach allen Seiten, und die Familie saß theils an diesem, theils in den Ecken zerstreut, um im Stillen zu lesen.

John Powell war einer der angesehensten Squatter am Murrap, mit weit verbreiteten Heerden und einer ziemlich wohnlich eingerichteten Station - das heißt wohnlich für den Busch, denn in einer civilisirten Gegend hätte sie dennoch wohl kaum den Ansprüchen genügt, die ein Mann in seiner Stellung an das Leben zu machen berechtigt war. „Draußen im Busch" sind aber eben diese Ansprüche außerordentlich bescheiden, und selbst die Frauen hatten sich, nach einigen ziemlich schwer durchlebten Jahren, endlich hineingefunden, und fühlten sich wohl - wenigstens zufrieden - in der ihren früheren Verhältnissen und Gewohnheiten sonst kaum entsprechenden Lage.

John Powell war verheirathet und hatte fünf Kinder: zwei Töchter, die eine von neunzehn, die andere von siebzehn Jahren, und drei Söhne, von denen der älteste zwanzig, die beiden anderen aber dreizehn und zwölf Jahre zählten, und war jetzt seit sieben Jahren hier an den Murray gezogen, um Raum für seine ziemlich ausgedehnten Heerden zu gewinnen. Raum bekam er allerdings, denn sein nächster Nachbar wohnte einige dreißig (engl.) Meilen von ihm entfernt; aber er hatte seine Familie zugleich in eine Wildniß geführt, in der sie nur in ihrem eigenen Beisammensein, nicht einmal durch die monotone Scenerie des einförmigen australischen Gumwaldes Entschädigung finden konnte. War es ein Wunder, daß sie da der Zeit entgegenharrten, wo der Vater, wie sie hofften, sein Besitzthum wieder zu Geld machen und nach dem alten Vaterlande zurückkehren würde? Die meisten Colonisten draußen in der Ferne, sei es in welchem Erdtheil es wolle, hegen ja alle denselben Wunsch, vorzüglich dann, wenn sie ihre Frauen aus dem Mutterlande mit herübergebracht haben. Das Herz hängt an der alten Heimath, mag ihnen bieten so viel sie will; die alten Beziehungen, die alten Stätten können sie nicht vergessen, selbst wenn nicht /8/ Familienbande sie dorthin zurückziehen. Die eigene Sehnsucht läßt ihnen keine Ruhe und nagt und bohrt, bis sie den Bug ihres Schiffes wieder dem alten lieben Strande entgegenwenden dürfen.

Und wie viel stärker wird sie, wenn es mit solchen Freundesbriefen mahnend an die Herzen klopft. Lust und Schmerz mischt sich dann in die lächelnde Thräne. Eins sucht dem Andern zu bergen, was Jedes so gern aussprechen möchte, und doch auch wieder nicht wagt. Es fürchtet in der Brust des Nachbars ähnliche Gefühle zu erwecken, wie sie die eigene quälen - und ahnet nicht, daß derselbe Schmerz die Brust des Andern in gleichem Maß erfüllt.

„Gott sei gedankt - sie sind Alle wohl und gesund," brach die Mutter endlich das Schweigen, indem sie sich rasch und verstohlen eine Thräne aus dem Auge wischte und die Brille neben sich auf das Fensterbrett legte - „selbst die Mutter noch. Lieber Gott, die alte Frau hat selber geschrieben, wenn sie auch klagt, daß es mit den Augen gar nicht mehr so recht gehen wolle. Du mußt den Brief nachher lesen, John. - Sie sehnt sich so sehr danach, uns noch einmal zu sehen, eh' sie stirbt."

„Nun, wer weiß, wer weiß," lächelte der Gatte, selber einen Brief zusammenfaltend und einen neuen öffnend - „mein Bruder ist auch glücklich in Bombay angekommen, und es geht ihm gut."

„Und Onkel Ernst ist noch in Quebeck?" frug Sarah, „er hat doch versprochen, daß er uns hier besuchen wollte. Schreibt er nichts darüber?"

„Doch, doch," sagte der Vater, ihr einen Brief hinüberreichend, „da, lies selbst - er hat seinen Abschied genommen und denkt zu Weihnachten nach Altengland hinüberzugehen. Von dort ist dann sein nächster Weg zu uns -"

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