„Solcher Gefahr?" lachte der junge Mann, „fragen Sie einmal Ihren Vater, Ihre Brüder, ob sie nicht ähnlichen Zufällen fast in jeder Woche ihres Lebens hier im Busche ausgesetzt sind? Ein Pferd kann beim wilden, halsbrechenden Ritt mit ihnen stürzen; ein gereizter Stier sich auf sie werfen und sie verstümmeln oder tödten; ein Schwarm von Schwarzen einmal plötzlich den einzelnen Reiter im Busche überfallen -"
„Oder ein Buschrähndscher uns hinter einem Gum eine Kugel durch's Hirn jagen," bestätigte lächelnd Mr. Powell - „vor solchen Sachen sind wir allerdings nicht sicher."
„Vor Buschrähndschern doch wohl," meinte lächelnd der Gast, „denn so viel ich weiß, hat man von solchen lange nichts gehört."
„Lange nichts gehört?" rief Georg - „da in der neuesten Zeitung steht eine große Geschichte von Einem, der entwischt ist, und aus dessen Einbringung oder Kopf die Regierung hundert Guineen gesetzt hat."
„Hundert Guineen?" wiederholte erstaunt Mac Donald, „aber wie ist das möglich? Ich komme jetzt direct von Melbourne, und müßte doch von einem solchen ganz außergewöhnlichen Falle ebenfalls etwas gehört haben. Hundert Guineen - ich erinnere mich allerdings eines solchen Falles, aber - von welchem Datum ist denn Ihre Zeitung?"
„Von welchem Datum? ich habe wahrhaftig noch nicht einmal nachgesehen," erwiderte John, die fragliche Nummer dabei wieder unter den übrigen heraussuchend - „doch wohl gewesen – nun freilich, die Karren sind eine ganze Weile unterwegs gewesen.“
„Die Ochsenkarren haben die Neuigkeit mitgebracht?“ lachte Mac Donald, „das ist nicht übel."
„Ach hier ist das Blatt. Vom 15. - ja freilich, das ist etwas spät - vom 15. December vorigen -Jahres."
„Und jetzt haben wir April," sagte der Gast — „ja, dann kann Ihre Zeitung Recht haben. Wie hieß der Bursche?" /22/
„Jack London 3mit einer Anzahl alias," sagte der Vater.
„Ganz recht; das ist derselbe. Der wurde aber bald darauf eingefangen, und der Fangpreis ist auch, so viel ich weiß, Denen, die ihn einbrachten, richtig ausgezahlt worden."
„Vom 15. December?" rief die Mutter erstaunt, „geht mir mit Euren altbackenen Neuigkeiten. Und damit wird Einem jetzt noch Schrecken eingejagt!"
„Haben Sie den Mann einmal draußen wild im Walde gesehen?" frug Ned, der Jüngste, der sich besonders für den Buschrähndscher interessirte.
„Wild draußen nicht," meinte Mac Donald, „und bin damit auch ganz einverstanden; in der Stadt aber wohl, wenn auch nur flüchtig, gerade als er gefangen eingebracht wurde."
„Und wie sah er aus?" rief Bill rasch und begierig.
„Ja, mein junger Freund," sagte der Gast, „das bin ich wirklich nicht im Stande, Euch so genau anzugeben. Auf mich macht solch ein Schauspiel jedesmal einen entsetzlich unangenehmen, ich kann wohl sagen, peinlichen Eindruck, und ich gehe ihm lieber soviel als möglich aus dem Wege, suche es wenigstens nie freiwillig auf."
„Und daran thun Sie auch vollkommen wohl," stimmte ihm die Mutter bei. „Es ist schon außerdem genug Jammer und Elend in der Welt, und stößt uns überall auf, wo wir ihm mit dem besten Willen nicht ausweichen können; man muß sich nicht noch muthwillig solch' schmerzlichen Eindrücken preisgeben."
„Ich sähe aber für mein Leben gern einmal einen Buschrähndscher hängen!" rief Bill mit leuchtenden Augen.
„Bill!' riefen Mutter und Schwestern fast zu gleicher Zeit erschreckt und tadelnd aus. „Wer um Gottes willen hat dem Knaben solch' blutdürstige Gedanken in das Herz gelegt?" setzte die Mutter noch schaudernd hinzu; - „pfui, Kind, schäme Dich, solchen Wünschen Worte zu geben; hüte Dich aber noch viel mehr, sie in Deinem Herzen zu nähren."
„Aengstigen Sie sich deshalb nicht, Mrs. Powell," beruhigte sie Mac Donald. „Die Knaben wachsen hier im Busche auf und schwatzen nur meist nach, was sie von der /23/ eben nicht zarten Gesellschaft der Hirten, Schäfer und Ochsentreiber hören. Das Herz kann dabei gut und rein bleiben; nur der jugendliche Uebermuth sprudelt heraus, und wird Bill einmal älter, so sieht er schon selbst ein, daß es eben nichts Wünschenswerthes sein kann, einen Nebenmenschen - und wenn es ein Verbrecher wäre - vom Leben zum Tode gebracht zu wissen."
„Dann sind die Schwarzen wohl auch unsere Neben menschen?" fragte Bill, halb trotzig, halb beschämt.
„Allerdings," erwiderte Mac Donald freundlich, „und so wild sie sich manchmal benehmen, so würden wir an ihrer Stelle, und von einer andern Menschenrace so behandelt, oder vielmehr mißhandelt, wie wir sie mißhandeln, uns noch viel ungeberdiger, unfügsamer, vielleicht sogar grausamer zeigen als sie."
„Das glaub' ich auch," stimmte ihm Mr. Powell bei. „Die meisten Stationshalter betrachten aber wirklich die Schwarzen für wenig besser als die wilden Hunde, und vermehren dadurch nur die Feindschaft, erweitern den Riß, der leider schon unausfüllbar groß geworden ist."
„Du bist besser mit ihnen, John," sagte die Frau herzlich zu ihrem Manne, „Du hast nie nach ihnen geschossen, oder sie mit Hunden gehetzt, und ich glaube, dem Umstand allein haben wir es auch zu verdanken, daß sie uns bisher so gänzlich in Ruhe gelassen und nie eine wirkliche Feindseligkeit versucht haben."
„Liebes Kind," sagte der Mann achselzuckend, „darauf allein dürfen wir nicht bauen, und ich verlasse mich dabei doch immer mehr auf die Furcht, die wir ihnen einflößen, als auf sine Dankbarkeit, zu der wir sie verpflichtet, wie Du glaubst. Bedenke, daß ich, so gut wie alle übrigen Stationshalter, ihnen doch trotzdem direct den größten Schaden zufüge, der ihnen nur überhaupt von den Weißen zugefügt werden kann. Daß ich persönlich freundlich mit ihnen bin, und Rohheiten meiner Leute gegen sie nicht gestatte, kann das nicht gut machen. Wir haben sie mit unseren Heerden von ihren Jagdgründen verdrängt, mit unseren Hunden ihr Wild, /24/ ihre Kängurus, Emus und Wallobys 4vom Flusse weg in die Malleybüsche gejagt; ja, noch schlimmer, einen Stamm dem andern, die sich alle feindselig gesinnt sind, in die Nähe gezwungen, daß das Blutvergießen zwischen ihnen seit der Zeit nicht aufgehört hat. Das vergessen uns die schwarzen Burschen nicht, können sie nicht vergessen, und ihr ganzer Charakter ist überhaupt nicht so versöhnlicher Art. Wer sie noch außerdem persönlich reizt, hat sich die Folgen selber zuzuschreiben."
„Das wissen Sie doch," sagte Mac Donald, „daß ein ganzer Stamm von ihnen kaum eine halbe Stunde Wegs am Flusse lagert?"
„Wirklich? - nein, das wußte ich nicht," sagte Mr. Powell lächelnd, „hätt' es mir aber allenfalls denken können, und heut Abend werden wir ihre Feuer hier dicht bei uns haben, und ihren Corroberrys 5zusehen können. Wenn die Zufuhren kommen, sind die Schwarzen auch nicht weit, darauf kann man sich fest verlassen, und wie der Raubvogel oder der wilde Hund ein Aas im Walde wittert, so merken die schwarzen, eben so scharfsinnigen Burschen frische Transporte, bei denen sie recht gut wissen, daß auch etwas für sie abfällt."
In diesem Augenblicke klopfte es an die Thür, und auf das einladende „walk in!" des Hausherrn erschien der erste Stockman Mr. Bale auf der Schwelle, grüßte die Familie, sowie den Fremden, und meldete, daß ein Stamm der Rufus-Schwarzen - dieselben, die im vorigen Jahr einmal ein paar Tage hier gelagert und bei ihrem Abschied ein halbes Dutzend Schafe mitgenommen hätten - im Anzug wäre, und, wie es schien, Lust habe seine Gunyos 6hier aufzuschlagen.
„Ah, da sind sie also schon," lachte Mr. Mac Donald, „die müssen mir dann gerade in der Fährte gefolgt sein."
„Ja, die schwarzen Halunken lassen nicht lange auf sich /25/ warten, wenn sie einmal irgendwo Tabak oder Brod riechen," meinte der Stockkeeper. „Sollen wir sie denn zu der Station lassen, Sir? ich dächte, wir litten die schwarzen Spitzbuben nicht so ganz in der Nähe?"
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