Kulturell bereicherndes und Horizonte eröffnendes Fremdsprachenlernen wird in den 2010er Jahren nach wie vor als bedroht angesehen, nun vor allem von im Zuge der PISA-Studie eingeführten, international gültigen Bildungsstandards (s. Christ, 2016, S. 58). Aktuelle Curriculumentwicklung im DaF-Bereich erfolgt unter anderem anhand von so genannten Sprachbedarfs- und Sprachgebrauchsanalysen (Kiefer, Schlak & Iwanow, 2012; Seyfarth, 2015). Bei entsprechenden Erhebungen etwa an für DaF-Lernende künftig relevanten Arbeitsorten wird ermittelt, welche sprachlichen Anforderungen dort bestehen und welche Elemente somit in zielgruppenspezifische Curricula einfließen sollen und müssen (Abschnitt 2.5.3). Daraus resultierende passgenaue Unterrichtskonzepte stehen im Gegensatz zu einem Unterricht, der sich aus nicht-lernendenorientierten, mit für Lernende irrelevanten Inhalten befüllten Curricula herleitet. Ähnliche Ansätze gibt es auch immer häufiger im schulischen Bereich.
Nach 2010 erscheinen zum Themenfeld der DaF-Curricula immer mehr Publikationen, die sich einer Berufsbezogenheit verschreiben, welche nicht länger als ausschließlich störend oder gar negativ empfunden wird (s. Prikoszovits, 2017b, S. 88). Die Rezession der späten 2000er und frühen 2010er Jahre hat Auswirkungen auf die Berufsausbildungswege von Auszubildenden und Studierenden gehabt. Auch an Universitäten hat Berufsbezogenheit Einzug gehalten (Cothran, 2010; Katelhön, Costa, de Libero & Cinato, 2013; Augart, 2014), germanistische Studiengänge müssen ihr Bestehen zunehmend rechtfertigen, was vor allem über die Forcierung der Berufsorientierung in Curricula erreicht wird. Schramm und Seyfarth (2015, S. 44) sprechen hier treffend von „Germanistik zwischen Wissenschaft und beruflichen Perspektiven“. Prikoszovits (2017b, S. 88) hält hierzu fest: „Was in den 1990er und noch in den 2000er Jahren als Störfaktor in DaF-Hochschulcurricula ausgemacht wurde, wurde in den 2010er Jahren zu einem notwendigen und erwünschten Schwerpunkt in Lehrplänen“. Dies lässt den immer enger werdenden Zusammenhang zwischen DaF-Hochschulcurricula und berufsbezogenem DaF-Unterricht erkennen – einen Zusammenhang, der sich seit den 1990er Jahren graduell zu entwickeln begonnen hat, sich immer noch weiterentwickelt und entsprechender Forschung bedarf. Der vorliegende Band verschreibt sich einer solchen Forschung unter besonderer Berücksichtigung der folgenschweren Wirtschaftskrise, die als zusätzlicher Einflussfaktor für die Aufnahme berufsbezogener Elemente in DaF-Hochschullehrpläne angenommen wird. Die Studie setzt an der Schnittstelle DaF-relevante Curriculumforschung – Forschung zum berufsbezogenen DaF-Unterricht an und vermag Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie mit Berufsbezug in hochschulischen DaF-Curricula in Regionen Europas verfahren wird, in denen aufgrund gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklungen eine Stärkung der Berufsorientierung im DaF-Hochschulunterricht angemessen und sinnvoll erscheint. Vor allem die Berücksichtigung spanischer DaF-Hochschulcurricula stellt ein großes Potenzial dar, da die Schnittstelle DaF-relevante Curriculumforschung – Forschung zum berufsbezogenen DaF-Unterricht in Spanien in den vergangenen Jahren tendenziell weniger im Fokus stand als in Italien (s. Prikoszovits & Springer, 2018, S. 752–754).
Schmidt (2010, S. 921) erläutert, dass der Terminus „Curriculum“ aus dem Lateinischen kommt und abhängig von der jeweiligen Gebrauchssituation mit „Wettlauf/Wettrennen“, „Lauf/Umlauf/Kreislauf“, „Rennwagen/Streitwagen“ oder „Laufbahn/Rennbahn“ übersetzt wird. Daraus wird die heutige Bedeutung des Begriffes „Curriculum“ in Bildungszusammenhängen noch nicht deutlich (s. Adamson & Morris, 2014, S. 310). Erst wenn man erwägt, dass der Begriff häufig in Verbindung mit dem Genitivattribut „artis“, also „[…] artis curriculum […]“ (Georges, 1962, S. 1837–1838), gebraucht und darunter der Erwerb einer „ars“, also einer „Kunst(fertigkeit)“ (Schmidt, 2010, S. 921), verstanden wird, erschließt sich, weshalb das „Curriculum“ zu einem im Bildungswesen häufig verwendeten Terminus avanciert ist.
Heursen (1995, S. 407) führt aus, dass es die „[…] Vertreter der frühen Aufklärung des 17. Jahrhunderts, Wolfgang Ratke (1571–1635) und Johann Amos Comenius (1595–1670), [waren], die das planvolle Lehren und Lernen als erste in einen pädagogischen Bedeutungszusammenhang stellten“. Mit den zwei Kapiteln „De curriculo scholastico“ sowie „De curriculo academico“ hat im ausgehenden 17. Jahrhundert wohl Morhof „[…] die maßgebliche Bezeichnung für den barocken Lehrplan ein[ge]führt[.]“ (Dolch, 1982, S. 318). Allerdings ist laut Schmidt (2010, S. 921) seit Beginn des 19. Jahrhunderts das lateinische Curriculum dem im deutschsprachigen Raum gebräuchlicheren Terminus „Lehrplan“ nach und nach gewichen. Robinsohn (1971) führt mit Bezug auf den Terminus „Curriculum“ aus:
Der Rückgriff auf diesen indessen aus der deutschen Pädagogik entschwundenen Begriff hat gute Gründe, kannte doch die Pädagogik des Barock noch die enge Verbindung der Bemühungen um Auswahl und Planung der Lehrinhalte, um Ausprägung der durch sie intendierten Bildungsziele und um die Erarbeitung der ihnen entsprechenden Lehrmethoden. Es soll aus dem Folgenden ersichtlich werden, daß mit der Wiederaufnahme des „verfremdenden“ Terminus zugleich die Rücknahme bildungstheoretischer Entwicklungen in Deutschland gemeint ist […]. (S. 1)
Es gilt in diesem Kapitelabschnitt noch zu erläutern, weswegen die Begriffe Curriculum und Lehrplan nur bedingt synonym verwendet werden sollten. Auch im Deutschen ist eine Unterscheidung zwischen beiden Termini sinnvoll (s. Schmidt, 2010, S. 921). Es wird im Folgenden außerdem thematisiert werden, welche anderen Begriffe im deutsch-, italienisch- und spanischsprachigen Raum für Curricula üblich sind.
2.2.1 Bezeichnungen für Curricula im amtlich deutschsprachigen Raum bzw. in Italien und Spanien
(1) Amtlich deutschsprachiger Raum
In den bisherigen Ausführungen wurde noch nicht weiter zwischen den verschiedenen Bezeichnungen für Curricula differenziert, die im amtlich deutschsprachigen Raum und in der deutschsprachigen Forschung üblich sind. Wie bereits angedeutet, ist dies jedoch sinnvoll. Durch die in den folgenden Abschnitten vorgenommenen begrifflichen Ausdifferenzierungen sollen die Dokumente zur Unterrichtsplanung des Korpus der Hauptstudie1 eine einheitliche Bezeichnung erhalten. Vorweggenommen sei, dass im Bereich der Curriculumforschung unter Experten terminologisch kein Konsens besteht. Neuner (2001, S. 798) nennt zu Beginn seiner Abhandlung folgende Termini, die in fachlichen Diskursen ohne Bedeutungsunterschiede verwendet würden: „Bildungsplan“, „Lehrplan“, „Curriculum“, „curricularer Lehrplan“, „Richtlinien“, „Rahmenrichtlinien“. Robinsohn (1971, S. 1) schreibt vom „Bildungskanon“ und „Lehrgefüge“. Quetz (2007, S. 122) spricht auch vom „Syllabus“. In der aktuellen Forschung finden sich zudem folgende Termini: „Ordnungsmittel[.] für die Berufsausbildung“, „Ausbildungsordnung“ „Rahmenlehrplan“ (Settelmeyer & Widera, 2015, S. 115), „Ausbildungsverordnungen“ (ebd., S. 116), „Ausbildungsrahmenpläne“ (ebd., S. 118), diese aber vorrangig im Bereich Deutsch als Erst- bzw. Zweitsprache. Sambanis (2016, S. 174) ergänzt diese Vielzahl an Termini noch um „Bildungsprogramm oder- empfehlung“, „Orientierungsplan“, „Rahmenplan“, „Grundsätze“ und „Leitlinien“. Vor allem an „Bildungs[…]empfehlung“ und „Orientierungsplan“ zeichnet sich der oft lediglich fakultative Charakter derartiger Dokumente ab.
Neuner (2001, S. 798–799) versucht, die Termini Curricula/Richtlinien/Lehrpläne anhand der Kriterien „[…] Funktion […]“2, „[…] Entscheidungskriterien und Prozesse, nach denen sie entstanden und aus denen sie hervorgegangen sind“ sowie „[…] Grad der Verbindlichkeit […]“ voneinander abzugrenzen, gibt allerdings zu bedenken, dass kaum scharfe Trennlinien gezogen werden können. Auch Hofer (2010, S. 40) erläutert, dass das Curriculum „[…] in einem engeren Verständnis dagegen auch als Synonym für den Begriff Lehrplan gesehen und benutzt [wird]“. Wie jedoch zu zeigen sein wird, dient das komplexere Curriculum als Oberbegriff für weniger umfangreiche Richtlinien und Lehrpläne.
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