Vergleichbare negative Auswirkungen werden in der DaF-Fachliteratur der 2000er Jahre auch dem Bologna-Prozess zugeschrieben (Nied Curcio, Rößler, Schlanstein, Schlicht & Serra Borneto, 2005). Nach Inkrafttreten der Bologna-Erklärung hat sich eine Gruppe von Germanisten (DAAD) in Rom um ein neues Curriculum für den DaF-Unterricht an italienischen Hochschulen bemüht (ebd., S. 136), das ausführliche Kannbeschreibungen enthält, was unter anderem zu Vergleichbarkeit und Transparenz führt (ebd., S. 137). Innovativ am Zugang dieser Gruppe ist eine rasterhafte Gestaltung des Curriculums, die dazu beiträgt, den Unterricht modular und in Abhängigkeit von der Ausrichtung des Studiums auch berufsbezogen gestalten zu können (ebd., S. 141). Generell ist eine deutliche Tendenz festzustellen, universitäre Curricula modular auszugestalten (s. etwa Gerholz & Sloane, 2011, S. 4–5). Zudem entsteht der Anspruch an das römische Curriculum, Bezugspunkt für hochschulisches DaF-Curriculumdesign innerhalb und außerhalb Italiens zu sein (Nied Curcio, Rößler, Schlanstein, Schlicht & Serra Borneto, 2005, S. 141).
In den 2000er Jahren wird noch stets die übermäßig starke wirtschaftliche und berufsorientierte Ausrichtung von DaF-Curricula beanstandet, diese Kritik wurde vor allem durch Bologna-Prozess sowie GER und somit durch gestufte Lehrzielpräzisierung erneut angefacht (s. Prikoszovits, 2017b, S. 88; Krumm, 2007, S. 120). Andernorts wird der Berufsbezug jedoch vermisst, etwa in Marokko. So schreibt Bouchara (2008, S. 467): „Darüber hinaus nehmen bedauerlicherweise […] die Inhalte und Zielsetzungen des Germanistikstudiums in keiner Weise Bezug auf Berufsfelder für Germanistik-Absolventen“. Wenn Bouchara den Bezug auf Berufsfelder in marokkanischen Curricula auch vermisst, so wird in den 2000er Jahren curriculare Berufsbezogenheit dennoch immer mehr zum Forschungsschwerpunkt. Daller (2005) setzt sich damit auseinander, vor welche Herausforderungen in ihrer Ausbildung britische Studierende mit Blick auf künftige Arbeitstätigkeiten gestellt werden. Einen spezifischeren Zugang zur berufsbezogenen Curriculumentwicklung präsentiert in den ausgehenden 2000er Jahren etwa Chen (2009), die in ihrer Abhandlung ein von Deutschland und China erarbeitetes Konzept für ein DaF-Rahmencurriculum in der Automobilindustrie beschreibt. Ein derartiges Curriculum kann als grenzüberschreitend angesehen werden und es beinhaltet Interessen und kulturelle Aspekte der beiden involvierten Länder (s. Christ, 2007, S. 76; Prikoszovits, 2017b, S. 88).
Vor allem durch den GER und den Bologna-Prozess ausgelöste Diskurse zur Kompetenzorientierung im FSU lassen auch die DaF-Curriculumdiskussion der 2000er Jahre nicht unberührt. So führt Hof (2002, S. 81) aus: „An die Stelle von eng definierten Kenntnissen und Fertigkeiten sollen Fähigkeiten und Dispositionen treten, die selbstständig und flexibel in eigenverantwortliches Handeln in privaten, beruflichen und gesellschaftlichen Situationen umgesetzt werden können.“ Für vorliegende Arbeit sind hierbei die beruflichen Situationen und die Herleitung berufs- und gleichsam kompetenzorientierter Lehr- und Lernziele von großer Bedeutung (Abschnitt 2.5).
Ein zentraler Ausgangspunkt in der Diskussion um die Kompetenzorientierung in Curricula für den FSU ist, dass im Unterricht durch Lernende erworbenes Wissen in ein anwendbares Können transformierbar sein muss. Hier gilt es also, im Unterricht einen hohen Situations- und Handlungsbezug herzustellen (s. Arras, 2009, S. 214; Hof, 2002, S. 80). Arras (2009, S. 207) hält hierzu weiter fest, dass durch eine Kompetenzorientierung im FSU Lernende in die Lage versetzt werden sollen, Schwierigkeiten sprachlicher wie auch interkultureller Art zu lösen. Demnach sollte Kompetenzorientierung also Fertigkeiten zur Lösung von Problemen mit sich bringen, die – wie bereits dargelegt – in Curricula jedoch vermisst werden. Künftig werden gemäß Arras (ebd., S. 209) zu bewältigende Probleme in einem der Kompetenzorientierung verpflichteten Unterrichtsmaterial verstärkt tonangebend sein. So könne man sich überwiegend frei im Design von sowohl Curricula als auch Unterrichtsmaterialien bewegen und sich weniger eng an Lehrwerke binden.
Hieran zeigt sich eine deutliche Diskrepanz zu Iluks (2002) und Krumms (2002) Bedenken, durch den GER könnten Fähigkeiten wie Emotionsbekundungen und Problemlösestrategien ausgeklammert sowie Curricula negativ beeinflusst werden. Laut Arras (2009, S. 212) wird durch die Kompetenzorientierung auch die Frage nach individuellem Können und eben nicht die Suche nach individuellem Unvermögen eingeläutet. Diesen positiven Aspekt ergänzt sie (ebd., S. 213) um die sich durch den GER eröffnenden Chancen hin zu einer Individualisierung und weg von „[…] schablonenhafter Lernkultur […]“. Kompetenzorientierung bedeute auch Lernerorientierung. Arras sieht hier zudem einer notwendigen Individualisierung eine ebenso notwendige Standardisierung vorgeschaltet, wenn sie standardisierten Leistungsbeschreibungen das Potenzial zur individuellen Dokumentation des Lernforschritts zuschreibt.
Zwar räumt Arras (ebd., S. 212–213) ein, dass es auch Kritik am GER gebe, doch in Kontrast zu Iluk (2002) und Krumm (2002) bewertet sie sein Potenzial vor allem in Hinblick auf Kompetenzorientierung als sehr positiv, auch mit Blick auf Curricula für den DaF-Unterricht. In der einschlägigen Forschung divergieren in den 2000er Jahren demnach die Ansichten zum GER und somit zur Kompetenzorientierung in DaF-Curricula noch stark.
(4) Curriculumforschung und -entwicklung im DaF-Bereich: Die 2010er Jahre
Bereits zu Beginn der 2010er Jahre liegt mit dem Fachgutachten zur Kompetenzorientierung in Studium und Lehre der deutschen Hochschulrektorenkonferenz (Schaper, Reis, Wildt, Horvath & Bender, 2012) jedoch ein wichtiger und umfassender Leitfaden zur kompetenzorientierten Curriculumentwicklung an europäischen und internationalen Hochschulen vor. Kompetenzorientierung kann und soll nun also bereits tragendes Prinzip in der Lehrplangestaltung sein. Gemäß Schaper, Reis, Wildt, Horvath & Bender (2012, S. 30) sollten das Lehren und Lernen im Hochschulbereich vielschichtig kompetenzorientiert angelegt sein, was Felder wie etwa Curriculumdesign oder Leistungsmessung betrifft. Der Kompetenzorientierung werden hier durchgehend wichtige Funktionen zugesprochen, selbst im Bereich des Qualitätsmanagements. Zudem bringt Kompetenzorientierung in Curricula die heute erwünschte Berufsbezogenheit in Curricula für den FSU mit sich, da dynamischem Können mehr Platz eingeräumt wird als statischem Wissen.
Deutsch wird meist nicht als erste Fremdsprache gelernt, sondern reiht sich häufig als zweite oder dritte Fremdsprache in das Fremdsprachenrepertoire eines Individuums ein. Dies führte laut Schmidt (2010, S. 930–931) zur Konzeption des „[…] Gesamtsprachencurriculums […]“, in dem Ziele für sämtliche Sprachen, die Lernende im Laufe ihrer Ausbildung erwerben, niedergeschrieben sind. Laut Hufeisen (2016, S. 167) ist allerdings auch die Verflechtung schulischer Sprachenangebote zum einen miteinander und zum anderen mit Sachfächern ein Anliegen des Gesamtsprachencurriculums. Dabei könnten auch verschiedene Jahrgänge vernetzt werden und zudem werde Projektorientierung häufig berücksichtigt (ebd., S. 168). Die Stärken des Gesamtsprachencurriculums sieht Hufeisen im Reichtum der interkulturellen Sprachhandlungsfähigkeit mehrsprachiger Menschen sowie in höherer beruflicher Wettbewerbsfähigkeit (ebd., S. 168). Dies verdeutlicht auch eine gewisse berufliche Ausrichtung des Gesamtsprachencurriculums. Hufeisen (ebd., S. 169–170) erwähnt hier das Projekt mit gesamtsprachencurricularem Schwerpunkt PlurCur am Europäischen Fremdsprachenzentrum in Graz. Als Erfolg der PlurCur -Projektschulen führt sie etwa „[…] eine schulweite mehrsprachige Grammatikterminologieliste für alle Sprachen (inklusive der jeweiligen L1)“ (ebd., S. 170) an. Hufeisen unterstreicht generell den Wert projektorientierter Ansätze im Gesamtsprachencurriculum. Curricular verankerte Projektarbeit findet sich im FSU der 2010er Jahren immer häufiger (s. etwa Vogel, 2016, S. 197; Prikoszovits, 2017b).
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