Aufgrund der Lehrplananalysen der Hauptstudie wird in Ansätzen zu bestimmen versucht werden, welche der drei Prinzipen die italienische und spanische DaF-Hochschullehrplanerstellung leiten (Abschnitt 8.2).
2.6 Curriculare Veränderungen als Forschungsfokus
In diesem Band werden Lehrpläne für den DaF-Unterricht auf curriculare Veränderungen hin untersucht, die sich im Laufe der 2000er hin zu den 2010er Jahren vollzogen haben. Dies ist, betrachtet man vergleichbare Studien (Abschnitt 3.5), ein tendenziell seltener Schwerpunkt in der einschlägigen Forschung und verdeutlicht die Notwendigkeit der Fokussierung derartiger curricularer Phänomene. In diesem Unterkapitel 2.6 werden zum Abschluss von Kapitel 2 einige Autoren referiert, die sich im DaF-Bereich in Ansätzen mit Fragen curricularer Veränderungen befasst haben.
Laut Neuner (2001, S. 800) sind Lehrpläne „[…] Kinder ihrer Zeit“. Die Entstehungsbedingungen sind potenziellen Veränderungen unterworfen. Gründe zum Anstoß für curriculare Veränderungen können vielfältig sein, etwa kann ein Erkenntniszuwachs in einer bestimmten Wissenschaft in schulischen oder universitären Lehrplänen Wandel herbeiführen (s. Königs, 2004, S. 3). In vorliegender Arbeit wird ein globales wirtschaftliches Ereignis als Grund für Veränderungen in südeuropäischen DaF-Hochschullehrplänen angenommen. Auch dies ist in der einschlägigen Forschung eine rare Schwerpunktsetzung.
Ein Beispiel aus der Fachliteratur zeigt jedoch, dass etwas Vergleichbares in der Vergangenheit bereits eingetreten ist, dass also ein Krisengeschehnis Einflüsse auf das Germanistikstudium und somit auf universitäre DaF-Curricula hatte. Lee (2010, S. 35) schreibt zunächst von einer 1995 in Südkorea durchgeführten Universitätsreform. Alleine diese Reform hatte germanistische Curricula bereits verändert. Hinzu kam jedoch noch folgender Umstand:
So wurde bereits Mitte der neunziger Jahre aufgrund der Universitätsreform eine intensive Diskussion über die Ziele und Inhalte des Germanistikstudiums geführt, die sich mit der Schockwirkung der Finanzkrise des Jahres 1997, dem damaligen Eingreifen des Internationalen Währungsfonds in Südkorea sowie der damit einhergehenden immensen Verunsicherung auf dem Arbeitsmarkt noch verschärfte. (S. 36)
Im Gegensatz zur vorliegenden Arbeit fokussiert Lee Curricula gesamter germanistischer Studiengänge. Im weiteren Verlauf der Abhandlung stellt Lee einige reformierte südkoreanische Germanistikcurricula vor, die deutliche Verzahnungen mit Fächern wie Tourismus (ebd., S. 37–38) oder Wirtschaft bzw. Politik (ebd., S. 38–40) aufweisen. Im Fazit (ebd., S. 40–41) werden die südkoreanischen Curriculumreformen als umfassende Bemühungen dortiger Germanistikabteilungen beschrieben, sowohl auf den starken Schwund von Germanistikstudierenden als auch auf die geringen Berufschancen von Absolventen philologischer Studiengänge zu reagieren. Lee beklagt jedoch, dass die curriculare Arbeit nicht auf entsprechenden Bedarfsanalysen basiert. Keine berufsrelevanten Faktoren würden die Reformen leiten, sondern die Sorge um die sinkenden Studierendenzahlen.
In Italien und Spanien können ebenso durch die Rezession verschlechterte Berufsaussichten von Studierenden als Anlass für curriculare Veränderungen in Richtung Berufsbezogenheit angenommen werden. Im Vergleich zu Südkorea sind aber die Zahlen der Germanistik-/DaF-Studierenden in Italien und Spanien – wohl aufgrund der Nähe zum amtlich deutschsprachigen Raum bzw. der stärkeren Verankerung des Deutschen im Bildungswesen – nicht in dem Maße besorgniserregend.
Bouchara (2008, S. 467) sieht Marokko in vielerlei Hinsicht in einer Krise und nennt als Beispiele etwa die steigende Beschäftigungslosigkeit sowie die „[…] Orientierungslosigkeit in Wertefragen […]“ besonders unter der jungen Bevölkerung. Ebenso seien die Germanistik und DaF in der Krise. Jedoch sieht Bouchara in Krisen auch das Potenzial, Neuerungen hervorzurufen. Curricularer Wandel bzw. curriculare Neugestaltungen können solche Innovationen sein.
Königs (2004, S. 3) schreibt hinsichtlich Curriculumdiskussion und -revision: „Curriculumdiskussionen und -revisionen finden beständig statt. Nicht immer ist dabei auf Anhieb auszumachen, worin eigentlich der Anlass für diese Diskussion besteht.“ Königs (ebd., S. 3–4) befasst sich sodann auch mit möglichen Gründen bzw. Notwendigkeiten für curriculare Weiterentwicklung und Veränderung, dazu zählt er die Neuentstehung eines Faches, die curriculare Verflechtung dieses Faches mit weiteren Fächern, die strukturelle Veränderung eines bestehenden Faches, neue curriculare und fachunabhängige „[…] Rahmenmaßgaben […]“ sowie hochschulstandortspezifische Faktoren, etwa das Personal oder die Strukturen betreffend.
Externe Anlässe wie etwa eine Wirtschaftskrise bleiben in diesen Überlegungen ausgespart. Am ehesten lässt sich ein solches Ereignis in den letzten Punkt einordnen, also jenen zur Spezifik des Hochschulstandorts. Dennoch wirken die von Königs ins Feld geführten Anlässe intrinsisch motiviert. Er schreibt deshalb in seiner Abhandlung des Weiteren von „[f]achunabhängige[n] Einflüsse[n] auf die Curriculumsarbeit“ (ebd., S. 7). Er beklagt, dass sich diese Arbeit nicht nur auf die einem bestimmten Fach innewohnenden Leitlinien stützt. Als ersten fachunabhängigen Einfluss nennt er hier den Bologna-Prozess (Abschnitt 2.1), der den Entschluss für „[…] gestufte[.] Studiengänge [.] […]“ und somit eine Modularisierung mit sich gebracht hat. Beachtenswert ist in Königs Abhandlung die Feststellung, dass durch Modularisierung auch Interdisziplinarität angestrebt wird. Curriculumerstellende seien hier dazu aufgerufen, Kurse zu gestalten, die den Gegenständen eines bestimmten Faches treu und dennoch in andere Studiengänge integrierbar sind. Als zweiten fachunabhängigen Einfluss bezeichnet Königs (ebd., S. 7–8) den GER (Abschnitt 2.1).
Somit finden sich jedoch auch bei den fachunabhängigen Einflüssen nach Königs keine curriculare Veränderungen auslösenden Ereignisse wie Krisen, einschneidende politische Umwälzungen und dergleichen. In Königs Resümee (2004) ist diesbezüglich noch zu lesen:
Auf der einen Seite muss ein Curriculum offen sein für die veränderten bzw. differenzierten Anforderungsprofile, die von außen (bisweilen auch durch das Fach selbst) an ein Fach herangetragen werden. Auf der anderen Seite muss es ebenso einen verbindlichen Anteil von dezidierter Wissensvermittlung sichern. (S. 15)
Hierbei deutet die Formulierung „[…] von außen […]“ ansatzweise auf externe, fachunabhängige Einflüsse hin.
Der Zugang zu den Themenbereichen Lehrpläne, berufsbezogener DaF-Unterricht sowie Wirtschaftskrise zeichnet sich in vorliegender Arbeit also dadurch aus, dass curriculare Veränderungen nach einem einschneidenden wirtschaftlichen Ereignis vorangenommen werden. Wie sich nun gezeigt hat, fehlen im DaF-Bereich bislang Befunde hierzu. Wie aus den Ausführungen in diesem Abschnitt 2.6 außerdem hervorgegangen ist, befassen sich einschlägige Untersuchungen viel eher mit Curricula für gesamte germanistische Studiengänge und nicht mit konkreten einzelnen Lehrplänen des hochschulischen DaF-Kursangebots.
In diesem der Curriculumtheorie verpflichteten Kapitel 2 wurden wissenschaftliche Erkenntnisse zur Entstehung, Entwicklung, Dynamik, Veränderung und generell zu den Charakteristika von Curricula im Bildungssektor und vor allem in den Fremdsprachenfächern vereint und unter besonderer Berücksichtigung der Berufsbezogenheit für die Untersuchungen in der vorliegenden Studie aufbereitet. Zu den wesentlichen Ergebnissen dieses Kapitels zählt die Erkenntnis, dass die für diese Arbeit relevanten universitären DaF-Kursbeschreibungen als „Lehrpläne“ – in Abgrenzung zu den in der allgemeinen Curriculumtheorie weiteren üblichen Termini „Curricula“ und „Richtlinien“ (Abschnitt 2.2.2) – zu bezeichnen sind, die an Universitäten oder Fakultäten selbst erarbeitet werden und somit in ihrem Entstehungsprozess der so genannten „Mesoebene“ und auch „Mikroebene“ (Abschnitt 2.3) zuzuordnen sind. Die Zuordnung zu diesen beiden Ebenen ist auch als Faktor für die Eingrenzung des Korpus der Hauptstudie, also der DaF-Lehrpläne, zu begreifen. Durch die Vorstellung zweier Dokumente aus dem Korpus der Hauptstudie – ein DaF-Lehrplan aus Italien und einer aus Spanien – wurde dies untermauert. Die hier relevanten DaF-Hochschullehrpläne sollten sowohl offene als auch verbindliche Funktionen aufweisen, offene vorrangig im Bereich der Lehr- und Lernziele sowie Inhalte, verbindliche im Bereich der Leistungsmessung. Im Bereich der curricularen Funktionen und Kernfaktoren, die in Curricula – so auch in den untersuchten Lehrplänen – in einer bestimmten Reihenfolge (Abschnitt 2.4) angeordnet sein sollten, wurde auf die herausragende Bedeutung der Lehr- und Lernziele (Abschnitt 2.5) für erfolgreiche Lehrplanentwicklung hingewiesen. Die Herleitung und Auswahl der Ziele und Inhalte berufsbezogener Lehrpläne für den FSU sollten hauptsächlich persönlichkeitsprinzipiengeleitet erfolgen, da persönlichkeitsrelevante Lehr- und Lernziele für auf Langfristigkeit ausgelegte Berufsorientierung die beste Eignung aufweisen. Die relevanten DaF-Hochschullehrpläne sollen also auch aus der Perspektive der Entstehungsgrundlagen betrachtet werden.
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