Als Bloody Bill mit seinem Handwerk fertig war, ließ er von dem sich windend-wimmernden Jungen ab, ging zu Joshua und setzte ihm die blutige Haut wie eine Kappe auf den Kopf. »Willst du, dass ich das bei dir mache?«
Joshua wurde blass, würgte seine letzte Mahlzeit hervor und erbrach sich vor Andersons Stiefel. Das Blut des Jungen lief ihm aus der warmen Haut in den Nacken und übers Gesicht. »Ne-nein, Sir.«
Bloody Bill nickte zufrieden, griff dem ehemals rothaarigen, jetzt schopflosen Jungen am blutgetränkten Kragen und zog ihn in eine sitzende Position, damit er ihm Ohren, Nase und Lippen abschneiden konnte. Der Junge zitterte wie Espenlaub, spuckte blutigen Speichel, der in zähen Fäden von seinem Kinn tropfte.
Joshua weinte, während ihm Bloody Bill die fleischig-blutigen Brocken in Hemd- und Hosentaschen stopfte und auf diese klopfte, als hätte er ihm ein Geschenk von hohem Wert gemacht. Er war mit den Jungen jedoch noch längst nicht fertig, ging zu ihm zurück und zog ihn auf die Beine. Trotz der Misshandlungen gelang es dem Mann, wie ein Volltrunkener schwankend zu stehen.
Anderson Bushwhackers vollzogen an den Unionssoldaten ihr grausames Werk, das weit über Verstümmelung hinausging, während Quantrills Reiter Zug und Bahnhof anzündeten, um beides unbrauchbar zu machen. Es war ein Gemetzel ohnegleichen. Ein Fanal hemmungsloser Zerstörung, die Ausgeburt eines kranken, hasserfüllten Geistes.
Er zog einen Dolch, trat zu Joshua hin und warf ihm die Waffe vor die Füße. »Ich will, das du ihm die Kehle durchschneidest.« Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, zog er einen Remington Revolver und richtete ihn auf Joshuas Stirn. »Oder bitte mich darum, abzudrücken.«
Joshuas Augen wurden und der Blutkappe groß. »Sir, ich …«
»Du bist der göttliche Erlöser seiner Qualen. So musst du’s sehen und nicht anders.« Klackend rastete der Schlagbolzen ein.
Der Gedemütigte, der Joshua war, schnaufte durch die Nase ein, wohl um einer aufsteigenden Übelkeit Herr zu werden. Er sah erst Anderson ins Gesicht, dann in das verstümmelte des Jungen und bückte sich schließlich, um den Dolch aufzuheben.
»Gut so«, knurrte Anderson. Das sie umgebende Inferno wurde zur Nebensache, versank in einem Toben aus Nichtigkeit. »Tu, was ich sage, oder ich komme über dich wie der schlimmste aller Dämonen.« Sein mit der anderen Hand geführter Säbel schnitt quer über Joshuas Stirn, um unmissverständlich klarzustellen, dass er es ernst meinte. Joshuas Blut vermengte ich mit dem des Jungen, tauchte sein Gesicht in grelles, nasses Rot, machte es zur maskenhaften Fratze.
Joshua schloss die Augen und stieß zu. Direkt in die Brust des Jungen, der den Stoß willig in sich aufnahm, weil es für ihn in der Tat die Erlösung bedeutete. Gleichzeitig zischte Andersons Säbel durch die Luft und schlug ihm den Kopf ab.
»Sauf, du Hurensohn! Sauf das Blut deines Schülers!«, schrie er wie von Sinnen, während der enthauptete Körper gegen Joshua kippte und ihn aus dem Halsstumpf mit Blut übergoss.
Joshua brach wimmernd in die Knie und warf den Dolch weg, als hätte er sich an ihm verbrannt. Bloody Bill Anderson streichelte gedankenverloren den schmierigen Skalp auf Joshuas Kopf. »So werde ich meine zweiundzwanzig Schüler der Hölle nähren, jetzt wie in späteren Tagen …«
Vivian jauchzte vor Freude. Sie lief um die Ladentheke herum und dem Postboten entgegen, der sich mit dem größten Paket abmühte, das sie je bekommen hatte. Überhaupt war es das erste richtige Paket, das sie in ihren siebzehnjährigen Leben bekam.
Oh bitte, Herr, es muss für mich sein!
Mit einem Ruck riss sie die gläserne Ladentür auf, dass das kleine Glöckchen darüber wild bimmelte und fast durch den Laden flog. »Chuck, endlich!«, keuchte sie dem Postboten aufgeregt entgegen. »Ist das da für mich? Ist es? Ja?« Dabei deutete sie auf das Paket in seinen Händen, in das gut und gerne ein Globus gepasst hätte.
Chuck kam die dreißig Meilen von Sheldon einmal die Woche vorbei, brachte die Post und nahm neue mit. Das tat er bereits, solange sie sich erinnern konnte. Mit seinem dürren Körper und dem schmierigen, nach hinten gekämmten schütteren Haar war er wahrlich keine Augenweide. Für Vivian wirkte er heute jedoch wie ein Gott, der aus Sheldon, Iowa ins verschlafene Purgatory herabgestiegen war, um Heil zu bringen. Oder, wie heute, zumindest Pakete.
Postbote Chuck schob den Klumpen Kautabak von einer Wangentasche in die andere und nickte. »Yeah … is’ in der Tat für dich, Mädchen.« Verwundert besah er den Absender. »Kommt nicht oft vor, dass ich ’n Paket aus Übersee ausliefere … Hast ’n Freund in England, hä?«
»Brieffreundin«, beeilte sich Vivian, ihn zu verbessern, und hibbelte herum, weil er sich an dem Paket festklammerte. Es fiel ihm wohl schwer, sich davon zu trennen. »Komm schon, gib mir das Ding!«, bettelte sie.
Chuck drehte das Paket in den Händen, hob es an und roch an der verknautschten Pappe. »Hm.« Dann hielt er es sich ans Ohr und rüttelte daran. Der Inhalt klapperte. »Sach mal, was is’n das Weiteste, wo du von hier weg warst, Mädchen?«
Vivian verdrehte genervt die Augen. Sie wollte es unbedingt haben, die Pappe aufreißen, darin herumwühlen. Stattdessen stand sie vor dem Laden ihrer Eltern und musste einem Postboten dämliche Fragen beantworten. »Letztes Jahr, Sioux City, als Tante Betsy geheiratet hat. Du weißt schon, diesen Versicherungstypen, der die Farmen abgeklappert hat.« Vivian erinnerte sich nur ungern an den brütend heißen Tag zurück. Sie hatten mit Dads klapprigem Truck den ganzen Tag gebraucht, um sich in einer mit Girlanden dekorierten Turnhalle zu Tode zu langweilen und selbst gemachten Pfirsich-Eistee zu trinken. Hinterher hatte eine Woche lang ihr Magen rebelliert und sie hatte meiste Zeit kotzend über der Toilette verbracht, weil was mit dem Abendessen schiefgelaufen war. »Und du?«
Chuck lachte krächzend. Er hörte sich an wie eine alte Krähe, die Husten hatte. »Vietnam, Mädchen … das feuchte, heiße, verdammt dreckige Nam, wo man sich auf jedem Scheißhaus ’nen Tripper holt. Dein Dad kann ’n Lied von singen, sag ich dir …«
»Eine scheiß Oper aus Tod und Schmerz.« Vivian zuckte zusammen. Ihr Vater stand direkt hinter ihr. Sie hatte ihn nicht kommen hören. Trotz seiner Körpergröße konnte er sich lautlos bewegen. Ertappt drehte sie sich zu ihm um. »Dad … ich mag’s nicht, wenn du dich so anschleichst.«
Bob McCall wischte sich mit einem Lappen seine blutigen Hände ab. Er hatte hinten im Kühlhaus an den Fleischpaketen gearbeitet, die Chuck wie jeden Freitag mitnehmen würde. Bob konnte in der Tat ein Lied über Vietnam singen. Zehn Jahre hatte er im Dschungel verbracht. 1975 war der Krieg vorbei gewesen und er kehrte als anderer Mensch zurück. Er hatte sein Lachen wie auch sein Leben in Saigon verloren. Bob McCall hatte nie darüber gesprochen, was er dort erlebt hatte, und sich in seiner wortkargen Art in die Arbeit im Laden gestürzt, als wäre er nie weg gewesen.
Bob nickte dem Postboten zu. »Chuck …«
Der schob den Kautabak zurück in die andere Backe. »Bob …«
»Was hast’n da?« Bob zeigte auf das Paket.
»Ist für deine Tochter … von überm Teich … England.«
»England?«
»Jepp.«
Bob nahm Chuck das Paket aus der Hand und sah es unschlüssig an. Sein von der Arbeit blutiger Daumen hinterließ einen verwischten Abdruck auf der Pappe. Dann sah er zu Vivian. »Wie kommst’n an ein Paket aus England, Tochter?«
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