Wenn wir von diesem Scheißtrip zurück sind, zieh ich los und besorge mit ’ne vernünftige Lederjacke und schwarze Jeans … Anschließend werden wir sehen, wer nur spielen will … Dann geht’s so richtig horrorfilmmäßig ab …
Als er bei Here Today, Gone Tomorrow angekommen war, stieß ihm Jamie schmerzhaft in die Rippen. Brady riss sich den Kopfhörer von den Ohren. »Mann, bist du irre?«
»Sorry, aber …« Jamie deutete nach vorne. Schwester O’Hara war aufgestanden, sah durch die Frontscheibe des Schulbusses und schien sich mit dem Fahrer zu unterhalten. Sie stand vornübergebeugt da, dass sich unter dem dünnen Stoff der sommerlichen Schwesternbekleidung ihr runder Hintern deutlich abzeichnete. Am Steuer saß der fette Mister Kindermann, der aus Louisiana kam und von allen mit seinem Vornamen Bart angesprochen werden wollte, aber in diesem lang gezogenen, bescheuerten Südstaatenslang.
Boooort …
Brady konnte die rot-verschwitzte Baseballmütze sehen, die er auf seinem footballgroßen Kopf trug, und wie sie sich nickend bewegte. Kindermann war ein geiler Bock, der den jungen Dingern hinterhergaffte, bis ihm der Sabber aus den stets feuchten Mundwinkeln tropfte. Kein Wunder, dass er sich die Finger nach dieser Fahrt geleckt hatte, denn die Hälfte der zwanzig Jugendlichen waren Mädchen.
Die fette Hand des Fahrers schaltete einen Gang runter, dann einen weiteren. Der Motor heulte protestierend und die Bremsen kreischten trocken, bis der Bus schaukelnd zum Stehen kam. Brady stand wie alle anderen auf und sah aus dem Fenster, um den Grund des ungeplanten Stopps zu erfahren. Sie befanden sich mitten im Nirgendwo auf der Landstraße, die sich wie eine schnurgerade Narbe durch die endlosen Maisfelder zog. Nichts hatte sich in den letzten Stunden an der Landschaft verändert. »Beschissene Iowa-Einöde …«
Kindermann bewegte den langen Hebel, um von seinem Sitz aus die vordere Tür zu öffnen, damit er und Schwester O’Hara aussteigen konnten. Brady fing an zu grinsen, stieß Jamie an und beugte sich dicht an das Ohr seines Freundes. »Sieh dir nur diesen geilen Hintern an. Hundertprozentig hat die nichts drunter.«
Jamie kicherte heiser, ging aber nicht auf die Bemerkung Bradys ein. »Is’n Motorradfahrer.«
Brady runzelte die Stirn. »Was?«
»Na, weswegen wir angehalten haben«, erklärte Jamie. »So’n Kerl, der mit seiner Mühle Probleme hat.«
»Ihr miesen kleinen Spacken … hab genau gehört, was ihr über unsere Lehrerin gesagt habt«, zischte ihnen Hope warnend zu, während sie an ihnen vorbeischlüpfte, um auszusteigen. »Armselige Wichser! Sollte ihr vielleicht mal stecken, was in euren kranken Birnen vorgeht.«
Jamie wurde feuerrot, obgleich er es nicht gewesen war, der das über die O’Hara gesagt hatte. Resignierend sank er auf seinen Sitzplatz zurück. »Werd nie bei der landen, solang du solchen Mist laberst …«
Brady hörte ihm nur beiläufig zu. Er dachte an etwas vollkommen anderes. An den Film The Hills Have Eyes und den Schatten, den er zwischen den verlassenen Hütten gesehen hatte. Ein geheimnisvoller Beobachter, der es vorzog, in den Schatten zu bleiben. Es passte einfach alles.
Hab doch gleich gewusst, dass die Sache spannend wird …
27. September – Centralia
»Alles bereit?«
Cole Younger nickte William T. Anderson zu. »Der Bahnhofsvorsteher hat sich in die Hose geschissen, als er meinen Revolver gesehen hat. Is’ ihm braun aus den Hosenbeinen gelaufen, auf die Bodenbretter getropft. Aber er wird den Zug anhalten, so, wie er es immer tut.«
Auf der gegenüberliegenden Gleisseite der Bahnstation von Centralia lauerte Quantrill mit seinen Männern im Schatten des Mietstalls. Der Überfall auf Lawrence lag über ein Jahr zurück und vieles hatte sich verändert. Anderson folgte seinem Weg durch die Hölle, genau wie Quantrill es vorausgesagt hatte. Nachdem die Bushwhackers die zweihundertzwanzig braven Bürger von Lawrence im Namen des Krieges massakriert, verstümmelt, vergewaltigt und skalpiert hatten, meldeten sich in Andersons Kopf Stimmen zu Wort. Stimmen, die aus dem tiefsten Schlund der Hölle wisperten, dass er weitermachen sollte. Nein, dass er es musste, weil es kein Zurück mehr gab, denn dies war der nur der Anfang. Der Tropfen auf den Stein, der stetig fallen musste, um ihn auszuhöhlen. Die Stimmen forderten mehr: mehr Blut, mehr Qual, mehr Opfer. Es entstand ein Sog, der gefüttert werden wollte.
Und Anderson war bereit zu liefern. Der Krieg war ihm stets ein verlässlicher Acker gewesen, Säbel und Pistolen die passenden Werkzeuge, um ihn zu bestellen. Der Süden brachte das Argument, das er brauchte, um seine Gräueltaten zu rechtfertigen. Die Legitimation. Anderson führte inzwischen seine eigenen Reiter, die Missouri Partisan Rangers, ein wilder Haufen bärtiger, zu allem entschlossener Männer, deren Augen tief in den ausgezehrten Gesichtern lagen und leuchteten wie Mondsteine. Endlich befand er sich mit Quantrill auf Augenhöhe, obwohl dessen Rang deutlich über seinem lag. Es hatte deswegen keinen Streit zwischen den beiden Männern gegeben. Vielmehr war die Intention seines Vorgesetzten eine andere und sie kamen sich nicht mit ihren Interessen in die Quere. Während für Quantrill der Sieg der Südstaaten das höchste Ziel überhaupt zu sein schien, um nach dem Krieg in die Politik zu gehen, folgte Anderson seinen eigenen, düsteren Pfaden, die die unheimlichen Stimmen ihm diktierten.
Seine Spur zog sich wie ein mit Blut gefüllter Fluss durch Kansas und Missouri, hinterließ ausgebrannte Städte und verstümmelte Körper an seinen Ufern. Hinter vorgehaltener Hand nannte man ihn Bloody Bill Anderson. Bald galt es als schlechtes Omen, seinen Namen laut auszusprechen. Als würde man damit einen Dämon aus dem siebten Kreis der Hölle heraufbeschwören, der nach Blut und Fleisch gierte.
»Heute werden wir ein Exempel statuieren, das in die Geschichte eingehen wird«, raunte Anderson seinem Freund Cole Younger zu. »Der Zug der Northern Railroad wird nie in Macon ankommen. Niemand, der sich in dem Zug befindet, wird Macon erreichen.«
»Mir soll’s recht sein, solange genügend Yankees dabei draufgehen«, knurrte Cole und spuckte einen dicken Klumpen Kautabak in den Dreck. »Allein der Name, Northern Railroad, da könnt ich glatt kotzen …«
»Draufgehen? Zur Hölle, wir werden sie nicht nur töten, wir werden sie auseinandernehmen, bis …«
»Halt’s Maul, Frank!«, zischte Bloody Bill den Mann neben Cole Younger an. Wie sie alle trug der Reiter das Grau der Südstaaten und einen Schlapphut mit breiter Krempe. Wie bei den anderen hingen seine Perkussionsrevolver an einem Gürtel über dem Mantel, um sie jederzeit ohne viel Aufhebens ziehen zu können. Wie unter den Reitern üblich, trug er gleich mehrere der Waffen, denn im Gefecht blieb selten Zeit, diese nachzuladen. Leerschießen und wegwerfen war die Devise. Aufsammeln konnte man sie nach dem Gefecht immer noch.
»Der Zug kommt!«
Ich bin bei dir , raunte eine Stimme in Anderson Kopf. Bin es immer gewesen. In dir. Seit dem Anbeginn deiner Tage .
Nähre mich mit Blut und Seelen, und ich zeige dir deine wahre Bestimmung, die weit über die belanglosen Streitigkeiten der Menschen hinausgeht!
Anderson griff sich an die Schläfen, schwankte im Sattel und wäre womöglich sogar gestürzt, wenn Cole und Frank ihn nicht gestützt hätten. Er schlug ihre Hände weg, weil er sich die Schwäche nicht eingestehen wollte. Vor den Männern musste er stark und unerschütterlich wirken wie ein Fels. »Lasst die Finger von mir, verdammt!«
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