„Tetanus und Pferdeinfluenza, wie alle Sportpferde“, sagte Iris.
Ich schluckte und fischte nach meinem Handy. „Könntest du bitte Nines Impfpass heraussuchen und nachschauen, wann sie das letzte Mal gegen Influenza geimpft wurde?“
Es dauerte keine fünf Minuten, bis sich Gerson zurückmeldete. „In diesem Jahr nicht, wie es aussieht, – soll ich dir den Pass vorbeibringen?“
„Nicht nötig, ich rufe lieber gleich Dr. Abnemer an, drück mir die Daumen, dass er morgen noch vorbeikommt.“
Gerson stellte sich quer. Er benahm sich wie ein bockendes Pferd; träge, zäh und unwillig wie eines, das man in der Mittagshitze von der Weide holte um schwere Dressurlektionen zu üben.
„Du willst an drei Tagen in der Woche und wahrscheinlich auch noch am Wochenende diesen Tango reiten?“
Ich spürte, wie er alle seine Stacheln aufstellte und sie in meine Richtung drehte. „Was soll das heißen?“
„Genau das, was ich gesagt habe. Du hast Abmachungen getroffen, ohne mich zu informieren.“
„Er heißt Fango!“
Gerson musterte mich mit zusammengekniffenen Augen und schwieg.
„Du irrst dich“, sagte ich. „Ich habe ihm keine feste Zusage gegeben.“
Was als Angebot zur Versöhnung gemeint war, verfehlte seinen Zweck völlig.
„Also doch! Du hast mit ihm gesprochen. Ohne mich vorher zu fragen. Vera, das finde ich nicht fair.“
Was hatte Gerson eigentlich? Ich verstand ihn wirklich nicht. Es war seine Idee gewesen, Nine in der Schweiz decken zu lassen. Und jetzt bockte er, nur weil ich zwei oder dreimal in der Woche Fango reiten wollte. Warum spielte er auf einmal die beleidigte Leberwurst?
„Wir könnten zusammen joggen gehen, wenn du Sport machen willst.“
„Gerson! Jetzt hör mir mal zu. Wie oft soll ich es noch sagen: Reiten ist kein Sport!“
„Das ist es ja. Ich sehe voraus, dass es bei zweimal die Woche nicht bleibt. Wenn dieser Lewis, oder wie er heißt, auf Geschäftsreisen geht, oder auf Urlaub, dann bist doch du für das Pferd verantwortlich!“
Es nützte nichts, es abzustreiten. Luis hatte mir sogar Berittgeld angeboten, das würde mich verpflichten, ordentlich mit dem Pferd zu arbeiten.
Gerson ließ nicht locker. „Ich dachte, dass wir mehr Zeit für uns hätten, wenn Nine weg ist. Wir könnten spontan übers Wochenende weg fahren, oder uns nachmittags irgendwo verabreden, wir könnten endlich mal unsere Freunde besuchen und zusammen ins Kino gehen.“
Darum ging es ihm also! Und ich hatte geglaubt, Gerson hätte an Nine gedacht, als er den Vorschlag mit dem Fohlen gemacht hatte! Weit gefehlt – ich hatte mich getäuscht! Er wollte Nine wegschaffen, er war auf Nine eifersüchtig, er wollte mich für sich alleine haben und mit keinem anderen teilen, schon gar nicht mit einem Pferd.
Ich nahm mir einen Apfel aus der Obstschale und biss krachend hinein.
„Zwei-oder dreimal, Gerson, soviel Zeit habe ich übrig. Ich muss im Training bleiben, schließlich kommt Nine erst nach einem Jahr wieder zurück.“
Gerson schaute mich voller Groll an: „Du glaubst doch wohl selbst nicht, dass du das Reiten verlernst?“
Es war zwecklos, gegen seinen Ärger anzureden. Dass sich die Rückenmuskulatur schon nach wenigen Tagen zurückbildete und es lange dauerte, bis man sie wieder auftrainiert hatte, solche unter Reitern allgemein bekannten Tatsachen brauchte ich ihm jetzt nicht vorzuhalten.
Es gelang mir, vollkommen sachlich zu bleiben. „Der Besitzer von Fango übernimmt meine Boxenmiete, ich muss kein Standgeld bezahlen, das kommt meinem Geldbeutel zugute.“
Wenigstens dieses Argument schien Gerson zu besänftigen. Er zog sich einen Küchenstuhl heran und setzte sich an den Tisch, nahm sich eine Banane aus dem Obstkorb und begann sie bedächtig zu schälen. „Wer ist eigentlich der Besitzer dieses Wunderpferdes?“, fragte er nach einer Weile.
Darauf hatte ich mich vorbereitet. „Er heißt Luis Maertens; ein Pferdemann durch und durch, nicht mehr ganz jung, mit viel Geld und wenig Zeit, wie das halt so ist. Er hat was mit Immobilien zu tun und einen exklusiven Verkaufsstall.“ Das mit den Immobilien hatte ich erfunden, irgendwie schien es mir zu Luis zu passen und es würde ihn in Gersons Augen garantiert seriöser machen.
„Merde? Heißt er wirklich Merde ?“ Sollte das ein Witz sein, oder war es wirklich ein Missverständnis? Vielleicht lag es an meiner weichen süddeutschen Aussprache – keine Ahnung. Merde , sollte er ruhig denken, was er wollte. Ich atmete erleichtert auf, er hatte nichts gemerkt.
In der ersten Woche trafen wir uns drei Mal. Luis gab mir viele gute Ratschläge. „Fango darf keinen Zug bekommen.“ Sein Fell sei dünn. „Dafür schwitzt er kaum bei der Arbeit“, sagte Luis, „Ich brauche ihn nicht zu scheren, wenn es kalt wird.“
Luis war immer schon vor mir da, hatte sein Pferd gesattelt und es warm geritten. Wenn ich in die Halle kam, stieg er ab, hielt mir den Steigbügel, damit ich aufsitzen konnte und gab mir Reitunterricht. Ich musste Fango erst kennenlernen, herausfinden, wie er auf meine Hilfen reagierte und wie er geritten werden wollte. Zwischen Luis und mir gab es keine Missverständnisse, seine Kommandos waren klar, und Fango reagierte weich und durchlässig auf meine Hilfen. Unter Luis' Anleitung fühlte ich mich sicher und frei zugleich.
In der Reithalle blieben wir allein und ungestört, da es nicht viele gab, die bei den milden spätherbstlichen Temperaturen in der Halle ritten.
Luis stand in schwarz-glänzenden Reitstiefeln mitten in der Bahn; seine beigen Breeches, die bei jedem anderen lächerlich altmodisch ausgesehen hätten, gaben ihm etwas extravagant Männliches. Manchmal hielt er inne und schob sich mit einer eleganten Handbewegung die Haare aus der Stirn. Luis' starker Bartwuchs und seine buschigen Augenbrauen ließen seinen Teint noch dunkler erscheinen. Ich musste mich zusammen nehmen, um nicht andauernd zu ihm hinzusehen. Irgendetwas an ihm zog mich unwiderstehlich an. War es seine erotische Stimme? Dieser kehlig-raue Ton, der so sanft bei mir ankam? Der wie Bitterschokolade in mir schmolz, zart, süß, herb und mit winzigen Sporen, die tief in meinem Innern ziemlich viel aufwühlten. Ich konnte nicht genug davon bekommen und wurde mit jedem Wort süchtiger. Ich hatte mich schon einige Male dabei erwischt, wie ich das Handy in der Hand hatte, um Luis anzurufen, einfach nur um seine Stimme zu hören.
Wenn wir fertig waren, gab ich Fango die Zügel hin und ließ den Wallach laufen. Er blieb vor Luis stehen und ließ sich von ihm den Hals klopfen. Luis schaute mich an und der Besitzerstolz stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Fango wird unter dir richtig zum Pferd!“, sagte er.
Luis wusste, wie er mir schmeicheln konnte; er lobte Fango, und ich fühlte mich einzigartig und ganz; es war ein Gefühl, das ich kannte, und schon lange vergessen hatte. Jetzt kam es plötzlich wie eine Welle auf mich zu. Es war wie damals, als ich mich in Gerson verliebt hatte. Luis ließ dieses Glücksgefühl in mir wieder aufleben und dafür war ich ihm unendlich dankbar. Ich beugte mich über Fangos Hals, da spürte ich Luis' Hand auf meinem Arm. Für einen Außenstehenden musste es so aussehen, als habe er mich unabsichtlich gestreift, doch auf mich wirkte es wie eine liebevolle Berührung. Ich schaute Luis verträumt an, doch gerade da zog er seine Hand wie elektrisiert zurück und trat einen Schritt zur Seite. „Vera, es sucht dich jemand!“
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