„Ich bin Luis Maertens“, sagte er, als er die Gläser füllte. Wir prosteten uns zu.
„Der Leierhof gefällt mir; ich suche ein ruhiges Plätzchen, um zu trainieren. Auf meinem Hof geht es zu wie in einem Bienenhaus. Das ist gut fürs Geschäft, sehr gut sogar“, fügte er mit einem schelmischen Grinsen hinzu, „doch meinem Fango bekommt es gar nicht. Ich gäbe viel darum, wenn ich Fango hier unterstellen könnte.“
„Ihren Fango? Und ich dachte, Sie wären unser neuer Stallnachbar?“ Meine Enttäuschung musste mir an der Nasenspitze abzulesen sein. Es war mir peinlich und ich wartete nur auf eine Gelegenheit, diesen Eindruck zu verwischen.
„Im Augenblick ist keine Box frei, hat Tom gesagt“, sagte Luis. „Ich habe mich auf die Warteliste setzen lassen.“
„Die Situation kann sich schnell ändern, stimmt`s, Vera?“
Iris hatte recht. Ich musste daran denken, wie ich vor drei Jahren verzweifelt nach einer Box für Nine gesucht hatte. Auf dem Leierhof hatten sie uns auf die Warteliste gesetzt. Und schon am nächsten Tag hatte ich ein Angebot bekommen. Und dann hatte die ganze Geschichte ihren Anfang genommen, das Gute und das Unheimliche, die ganze Reihe der Ereignisse, die bis zu Margas Tod geführt hatte.
„Ach Vera, häng nicht so an den alten Sachen“, sagte Iris. „Es muss doch nicht gleich wieder ein Pferd an einer Kolik eingehen!“
„Iris, bitte!“ Kolik war für mich ein Reizthema und Nines einziger Schwachpunkt. Bei diesem Wort reagierte ich allergisch. Doch Iris plapperte sorglos weiter. „Es gibt viele Möglichkeiten, warum eine Box plötzlich frei werden kann.“ Worauf wollte sie hinaus? Auf einen Reitunfall, der die Besitzerin zur Aufgabe des Reitsportes zwingt? Oder auf einen schweren Sehnenschaden oder einen Beinbruch, Verletzungen, bei denen nur noch der Gnadenschuss in Frage käme? Vielleicht hatte sie auch die plötzliche Verarmung einer Pferdebesitzerin im Sinn, Arbeitslosigkeit oder Insolvenz, auch das war auf dem Leierhof schon vorgekommen.
„Eine Stute könnte gedeckt werden und für ein paar Monate in einen Zuchtstall wechseln“, sagte Iris. Luis, der unsere Unterhaltung amüsiert mitverfolgt hatte, wurde auf einmal ernst: „Ach wirklich? So eine Möglichkeit besteht? Davon hat mir dieser Bud Spencer gar nichts verraten.“
Luis hatte Toms Ähnlichkeit mit dem Sheriff also auch wahrgenommen!
„Tom weiß von nichts“, sagte ich. Iris schaute mich verdutzt an.
„Ich habe ihm noch nichts gesagt. Aber es stimmt! Gerson und ich haben beschlossen, dass Nine ein Fohlen bekommen soll.“
Ich hatte ein bisschen übertrieben, von einem Beschluss konnte keine Rede sein, doch ganz falsch war meine Bemerkung auch wieder nicht.
„Vera, ist das wahr? Dann lass uns alles zu dritt besprechen; heute Abend, wenn es euch passt? Ich habe einen neuen Anhänger gekauft, morgen hole ich ihn ab und in drei Tagen fahre ich wieder zurück nach Montmirail, da könnte ich Nine gleich mitnehmen.“
„Wohin? Nach Montmirail?“ sagte Luis betont beiläufig.
„Ein kleines Dorf im Schweizer Kanton Jura“, sagte Iris. „Ich wohne noch nicht lange dort, doch so viel weiß ich: Montmirail ist ein zauberhaftes Dorf mit ausgesprochen liebenswürdigen und freundlichen Bewohnern.“ Ganz entgegen ihrer nüchternen und sachlichen Art kam Iris richtig ins Schwärmen. „Ich habe in kurzer Zeit viele gute Freunde und hilfsbereite Nachbarn gefunden, und es gibt dort eine Menge Pferdefreunde.“
„Ach wirklich?“, sagte Luis ein bisschen gelangweilt. „Montmirail, sagten Sie?“
„Würde mich sehr wundern, wenn Sie es kennen würden.“
„So? Ja, es klingt wie nach einem Kaff am Ende der Welt!“
„Genau“, sagte Iris, „und das gefällt mir so gut. In dieser abgelegenen Gegend haben sich früher die wilden Gesellen gesammelt – Anarchisten, Schmuggler und Wiedertäufer.“ Iris war dabei, sich festzuquatschen. Luis warf mir einen Blick aus seinen schwarzbraunen Augen zu, bei dem mein Herz wie wild zu klopfen anfing.
„Iris, ich glaube, wir müssen los.“ Ich stand auf und stellte mein Glas und meine Kaffeetasse in den Spülstein. Mein Herz hatte sich beruhigt und ich wollte lieber kein Risiko eingehen. „Es ist schon spät, zehn nach sechs.“ In einer Stunde würde Gerson nach Hause kommen.
Iris nickte. „Ja, wir haben noch etwas vor.“ Sie gab Luis die Hand. „Ich wünsche Ihnen viel Glück, ich hoffe, Vera kann mir bald berichten, dass Sie mit Ihrem Pferd auf dem Leierhof eingezogen sind.“
„Ich komme ab sofort zwei-oder dreimal pro Woche mit Fango zum Reiten“, sagte er zu mir. Es klang, als ob er mir etwas anvertrauen wollte, das nur uns beide anginge und zwischen uns bleiben sollte. Dann gab er mir die Hand und suchte meinen Blick. „Bis bald also.“
Draußen hatte es aufgehört zu regnen. Schweigend ging ich mit Iris zum Parkplatz. Eine merkwürdige innere Unruhe hatte mich gepackt; ich hätte gerne mit ihr über Luis Maertens gesprochen, sie nach ihrem Eindruck gefragt, doch ich wusste nicht, wie ich es anfangen sollte. Iris öffnete die Tür ihres Range-Rovers und setzte sich auf den Fahrersitz. „Kannst du um 20 Uhr bei uns sein? Damit wir mit Gerson sprechen“, sagte ich.
Iris nickte und blieb sitzen, ohne den Zündschlüssel ins Schloss zu stecken.
„Was ist los, warum sagst du nichts?“
„Ich warte, weil – wolltest du mir nicht noch etwas sagen?“
Mit ihrer Feinfühligkeit und ihrem Gespür für Zwischentöne hatte Iris meine Gedanken erraten, und ich bekam einen roten Kopf, das war mir peinlich. Ich fuhr mir mit der Hand durchs Haar, es fiel mir schwer, die richtigen Worte zu finden.
„Iris“, sagte ich, „kein Wort über Luis zu Gerson, bitte.“
Er kam schon am nächsten Nachmittag. Als ob wir uns verabredet hätten, saß er auf seinem Pferd, als ich mit Nine die Halle betrat. Luis ließ die Zügel lang, wir ritten ein paar Runden Schritt nebeneinander und plauderten. Dann saß er ab und verließ die Halle. Nach dem Absatteln schaute er uns von der Tribüne beim Reiten zu.
„Ihr versteht euch“, sagte Luis anerkennend. Er war ohne Umstände zum „Du“ übergegangen, kam unaufgefordert in die Bahn und sammelte Nines Pferdeäpfel mit dem Appel - Boy auf . Diese praktischen Geräte hatten uns die Peynibels hinterlassen. Seit ihrem Weggang standen sie auf allen unseren Reitplätzen herum und mit der Zeit hatten wir uns an ihren Gebrauch gewöhnt. Luis blieb noch eine Weile in der Mitte stehen und betrachtete Nine. „ Nine Days Wonder , was für origineller Name für eine prachtvolle Stute!“ Nine hörte, dass er von ihr sprach, sie spitzte die Ohren und zeigte ihren schönsten Trab.
„Wenn ich sie so sehe, dann tut es mir richtig leid, dass Fango ein Wallach ist.“
Solche Bemerkungen überging ich einfach und konzentrierte mich aufs Reiten. Obwohl sich Nine immer noch so lebhaft und eigensinnig benahm wie am Anfang, hatte mir Iris beigebracht, mich nicht mehr durch ihre Eskapaden verwirren zu lassen. Ich hatte durch ihren Unterricht eine große Portion Sicherheit gewonnen und Nine dankte es mir; sie war viel ruhiger und durchlässiger geworden.
Luis beobachtete uns aufmerksam. „Es liegt an deinem Sitz“, sagte er. „Und an deiner ruhigen Hand.“
Hast du das gehört, Nine? Wie lange war es her, dass uns jemand mit so viel positivem Feed-Back beim Reiten zugesehen hatte? Wenn mir Iris Unterricht gab, dann achtete sie penibel auf meine Fehler, die sich immer wieder von neuem einschlichen und sie entdeckte jedes Mal etwas anderes. Iris war unbestechlich in ihren Kommentaren, es würde mich nicht weiterbringen, wenn sie nur meine Stärken lobte, sagte sie. Eine ruhige Hand! Und ein unabhängiger Sitz! Ich musste zugeben, es tat gut, was ich da gerade zu hören bekam. An diesen beiden Klippen hatte ich lange gearbeitet, jetzt schien sich endlich ein Erfolg zu zeigen.
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