Nur die wenigsten Zuschauerinnen und Zuschauer machen sich klar, daß die Fernsehverantwortlichen sich nicht an bestehende Gesetze und Verordnungen halten: Im Rundfunkstaatsvertrag ist ausdrücklich geregelt, daß die Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks der »Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung zu dienen« haben und Beiträge »insbesondere zur Kultur« anbieten sollen. Wenn man aber nur das Fernsehprogramm ein wenig näher betrachtet, ist es offensichtlich, daß dieser Programmauftrag vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen systematisch mißachtet wird. Gewiß, wir leben in einer Gesellschaft, in der die Mächtigen weitgehend unbehelligt tun, was sie wollen, und wenn Figuren wie Hoeneß, Middelhoff, Zumwinkel oder Hartz kriminell werden, gilt das in aller Regel als Kavaliersdelikt, und die Manager kommen mit glimpflichen Strafen davon, die nicht selten zur Bewährung ausgesetzt werden. Daß die Fernsehverantwortlichen seit Jahr und Tag systematisch gegen den Rundfunkstaatsvertrag, also gegen Recht und Gesetz verstoßen, scheint ebenfalls niemanden zu stören.
Und wo kein Kläger, da kein Richter: Laut dem Bericht der »Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten« (KEF) von 2014 2leisten sich ARD und ZDF sage und schreibe 151 Tochtergesellschaften (Stand 2011), also Firmen, an denen ARD oder ZDF Mehrheitsbeteiligungen halten, die oft an den vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Gremien vorbei entstanden sind und die sich der ohnedies geringfügigen öffentlichen Kontrolle weitgehend entziehen.
Hinzu kommt, daß dem Fernsehpublikum vorgegaukelt wird, daß es die öffentlich-rechtlichen Anstalten sind, die für das journalistische Angebot der Fernsehprogramme verantwortlich sind. Tatsächlich wird ein Großteil der Fernsehsendungen heute allerdings von privaten Firmen produziert: Wenn Günther Jauch, Markus Lanz, Anne Will oder Sandra Maischberger im öffentlich-rechtlichen Fernsehen talken, dann werden die Sendungen nicht von ARD und ZDF produziert, sondern von privaten Firmen, die den Talkern komplett oder zum Teil selbst gehören. Eine wirtschaftliche Verschleierungstaktik, die auch journalistisch höchst fragwürdig ist. Wenn ein Frank Plasberg den Hart aber fair -Volkstribun gibt, dann produziert seine eigene Firma die Sendung – eine Firma, die für die ARD auch investigative Shows wie Frag doch mal die Maus oder Deutschlands starke Frauen produziert. Wenn Jörg Pilawa nicht gerade Werbung für eine Firma macht, der alles Wurst ist, betreibt er eine eigene Produktionsfirma, an der er mit 49 Prozent beteiligt ist, 51 Prozent hält der niederländische Fernsehproduktionskonzern Endemol. Mit seiner Firma produziert Pilawa für ARD und ZDF unter anderem das Quizduell , Die Quiz Show und Der neue deutsche Bildungstest . Jauchs Produktionsfirma produziert nicht nur dessen gleichnamige Talkshow der ARD, sondern für denselben Sender unter anderem auch die Jahresrückblick-Show 2014 – Das Quiz (beziehungsweise 2013 , 2012 , 2011 ...) mit Frank Plasberg, Der klügste Deutsche 2012 , drei bei Kai oder Klein gegen Groß mit Kai Pflaume.
Doch damit nicht genug, daß bei ARD und ZDF Inhalte unzulässig privatisiert werden, unterliegt das öffentlich-rechtliche Fernsehen dem parteipolitischen Einfluß in einem Ausmaß, daß sogar das Bundesverfassungsgericht, das den Öffentlich-Rechtlichen eigentlich wohlgesonnen ist, die Sender regelmäßig zur Ordnung rufen muß. Laut Bundesverfassungsgericht ist der ZDF-Staatsvertrag verfassungswidrig, weil zu viele staatliche und staatsnahe Vertreter in den Aufsichtsgremien des Senders sitzen. Bereits in den neunziger Jahren sprach der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker davon, daß sich die Parteien »zu einem ungeschriebenen sechsten Verfassungsorgan entwickelt (haben), das auf die anderen fünf einen immer weitergehenden, zum Teil völlig beherrschenden Einfluß entwickelt hat«. 3Nicht nur auf die anderen Verfassungsorgane, wie man ergänzen muß, sondern nicht zuletzt auch auf das öffentlich-rechtliche Fernsehen hierzulande. Deswegen spreche ich nur noch vom deutschen »Staatsfernsehen« – denn es gibt, wie noch zu zeigen sein wird, schlicht keine von Bundes- oder Landesregierungen und von Parteien und Verbänden – also vom »Staat« – unabhängigen Fernsehsender.
Wenn dieses Staatsfernsehen ständig seichte Serien, banale Fernsehfilme und Shows der sogenannten »leichten Unterhaltung« produziert und anbietet, verfolgt dies einen klaren Zweck: Dieses Fernsehen will zerstreuen, statt zum Nachdenken anzuregen. Kein Wunder angesichts des krisenhaften Zustands des Kapitalismus, wie wir ihn seit einigen Jahren erleben, von den verschiedenen globalen Bankenkrisen bis hin zur so noch nie dagewesenen Ungleichverteilung der Vermögen und Gehälter. 2016 wird laut einer Oxfam-Studie ein Prozent der Weltbevölkerung über mehr als die Hälfte des globalen Reichtums verfügen, während sich 80 Prozent der Menschheit mit 5,5 Prozent begnügen müssen. Die Politiker, die den Banken, Konzernen und Superreichen diese Bereicherung ermöglichen, müßten eigentlich unter massivem Druck der Öffentlichkeit stehen. Wie praktisch, daß man über ein Staatsfernsehen verfügt, in dem man über Jahrzehnte hinweg alle wichtigen Funktionen selbst besetzt hat. Da werden keine kritischen Fragen gestellt. In den vermeintlichen Informationssendungen dominiert ein regierungsfreundlicher Einheitssound, und im sogenannten Unterhaltungsprogramm werden den Menschen die Köpfe weichgespült, damit sie stillhalten und die bestehende Weltordnung wenn schon nicht (wie Voltaires naiver Candide) für »die beste aller Welten« halten, so aber doch hinnehmen, daß der Zustand der Welt nicht veränderbar, also alternativlos ist.
Das Staatsfernsehen ist aber nicht nur der Verdummungsapparat, der zerstreut und ablenkt, es ist auch eine Ideologiemaschine, die unaufhörlich Begehrlichkeiten produziert – Begehrlichkeiten nach den Fetischen des Marktes, des Wachstums und des Konsumismus. Das Perfide des Systems ist, daß die so im wahrsten Sinn des Wortes für dumm Verkauften das Medium, das sie systematisch verdummt, selbst zu finanzieren gezwungen sind.
Im übrigen herrscht bei den öffentlich-rechtlichen Sendern – nicht anders als bei den privaten – »die Quote« (die eine Erfindung der Werbeindustrie ist). Sie führt dazu, daß wir mit unseren monatlichen Zwangsgebühren Fernsehshows von Andrea Berg, Helene Fischer, Florian Silbereisen ebenso finanzieren wie eine nationalistische »Volks-Rock’n’Roll-Show« oder sonntägliche Dumpfbackensendungen mit sinnfreien Charaktermasken à la Stefan Mross oder Andrea »Kiwi« Kiewel, die allzeit hochengagiert ihren Beitrag zur gesellschaftlichen Verblödung leisten. Wir finanzieren mit unserem Geld all die Roten Rosen, Stürme der Liebe, Bergdoktoren, Verbotenen Lieben und, genau: Um Himmels Willen ! 4Wir finanzieren all die reaktionären Fernsehfilme, in denen ewiggestrige Familienmodelle und Rollenzuweisungen zementiert werden, oder zu bester Sendezeit ausgestrahlte »Dokumentationsreihen« wie Königliche Dynastien: Die Windsors . Und wenn irgendein armer Wicht von Thronfolger im britischen Königreich heiratet, ist das deutsche Staatsfernsehen unter Garantie live dabei, und zwar gerne auf allen Kanälen parallel – »Gleichschaltung« der kuscheligen Art.
Es mag in den bürgerlichen Feuilletons noch so häufig die fehlende Qualität der Öffentlich-Rechtlichen angeprangert werden, es mag noch so oft konstatiert werden, daß die Programmverantwortlichen der »Öffis« nicht mehr recht bei Trost seien – solange das Staatsfernsehen als hochsubventionierter Beamtenapparat konstruiert ist, dem Kreativität fremd, eigenes Nachdenken suspekt und anspruchsvolles Programm zuwider sind, wird sich nichts ändern. Statt Kreativität regiert die Angst – Angst, Fehler zu machen, Angst, einen Flop zu landen, Angst, aufzufallen, Angst, zu radikal zu sein, Angst, keine Quote zu liefern. Den Programmdirektoren und den Fernsehredakteuren ist die Einschaltquotenmentalität längst zur zweiten Natur geworden, und der Quotenterror setzt sich von oben nach unten fort. Regisseure und Drehbuchautoren leben in einem System der indirekten Zensur durch die Fernsehredaktionen, Medienboards und Filmförderungsanstalten und all die anderen Institutionen, die Filme oder Serien finanzieren. Das Problem ist systemisch. Es ist ein System entstanden, »in dem sich der einzelne Mensch kaum noch gegen den Apparat durchsetzen kann«, wie die Schauspielerin Corinna Harfouch feststellt. 5
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