Revolverhelden auf Klassenfahrt
VOR EINIGEN JAHREN HATTE ICH einmal das zweifelhafte Vergnügen, als Vorband für eine Teenie-Pop-Kapelle namens »Revolverheld« gebucht zu werden, in meiner Funktion als Akustik-Gitarrist und Teilzeit-Banjoist der semi-ironischen Countryband »The Twang«. Der Spaß bei »The Twang« besteht unter anderem darin, dass wir Pop- und Rocksongs von so unterschiedlichen Künstlern wie AC/DC, Adele oder Deichkind durch unseren Countryfizierer drehen und in pedalsteelgitarrenwimmernde, banjopuckernde Wüstenhits verwandeln. Alles in allem ein vielleicht schlichtes, aber dafür auch sehr unprätentiöses und unschuldiges Vergnügen.
Das Management von »Revolverheld« hatte uns aber aus einem anderen Grund gebucht: Ihre Teenie-Popper hießen irgendwas mit »Revolver«, also buchten sie für vorneweg ein paar Cowboys. Egal, ob das Publikum damit was anfangen konnte oder nicht. So weit, so witzig.
Uns war das, ehrlich gesagt, vollkommen wurscht. Wir spielen vor fast jedem Publikum, wenn es nicht grade ein NPD-Parteitag oder eine Satanisten-Convention ist. Schließlich hat man ja einen Bildungsauftrag.
Diesmal also Teenies, die meist noch gar keine Teenies waren. Das Publikum von Teeniebands ist heutzutage ja in der Regel zwischen 9 und 12. Als wir vor der »Location« ankamen, wurden wir auch schon von den grade erst schulpflichtigen Fans von »Revolverheld« erwartet. Das Öffnen der Schiebetür unseres VW-Sprinters wurde mit einem vielkehligen Kreischen kommentiert, das urplötzlich verstummte, als die Krabbelstubenkinder in unsere verwitterten Gesichter blickten.
»Wo sind denn Revolverheld?«, fragte ihre Anführerin an ihrem Schnuller vorbei.
Wir zeigten in irgendeine Richtung und logen: »Die schummeln sich grade durch den Hintereingang rein.«
Da wir grade erst angekommen waren, hatten wir noch gar nicht überprüft, ob ein Hintereingang überhaupt existierte. Die Fans stürmten trotzdem davon. Dadurch bekamen wir immerhin die Möglichkeit, unser Equipment auszuladen, ohne dabei Kinder schubsen zu müssen.
Dabei fiel mir die Geschichte eines Bekannten ein, der in der Dortmunder Westfalenhalle arbeitet und erzählte, dass sich die Mädchen bei den Konzerten der internationalen Teenie-Stars mit Inkontinenz-Windeln ausrüsten, damit sie ihren durch stundenlanges Anstehen ergatterten Platz vor der Bühne nicht durch einen Toilettengang verlieren. Angesichts solcher Infos beginnt man an der Heiligkeit der Populärkultur zu zweifeln ...
Nach dem Soundcheck aßen wir im Backstagebereich erfreulich lecker belegte Brötchen. Plötzlich statteten uns die Headliner des Abends einen Anstandsbesuch ab.
Die damals noch sehr jungen Burschen (wie gesagt, es ist einige Jahre her, inzwischen dürfen sie wohl auch schon Mofa fahren) versuchten freundlich zu sein, aber unsere Welten waren einfach inkompatibel. Üblicherweise sind die Vorbands von »Revolverheld« wohl noch jünger als sie selbst und wollen dorthin, wo »Revolverheld« gerade ist. Wir aber waren zwischen 10 und 15 Jahre älter und machten ohne Ehrgeiz, aus purem Spaß Musik, noch dazu mit einer gewissen humoristischen Distanz. Niemand von uns muss mit Musik sein Geld verdienen oder will damit berühmt werden.
Nachdem die kleinen Popstars uns also ein paar nett gemeinte, aber doch irgendwie herablassende Tipps zum Umgang mit dem Publikum gegeben hatten, erzählten sie noch, dass sie am Nachmittag schwimmen gewesen seien. Einfach so, ohne dass es im »schedule« gestanden habe und ohne das Management zu informieren. Spontan und heimlich. Und darauf schienen sie sehr stolz zu sein. Allerdings habe es hinterher etwas Ärger gegeben ...
Plötzlich fühlten wir uns genötigt, den Jungs zu sagen, dass das okay ist. Dass man sich nicht alles vorschreiben lassen darf, dass man auch ruhig mal widersprechen darf, zur Not müssten sie eben den Vertrauenslehrer oder die SV einschalten. Zumindest klang es wohl so. Alles in allem ein verstörendes Gespräch.
Trotzdem gelang es uns, das Publikum angemessen zu unterhalten, obwohl dieses nicht im geringsten kapierte, was wir da taten. Nach einem albernen Winnetou-Faust-aufs-Herz-Ritual mit ihrem Manager bestiegen schließlich die »Revolverhelden« die Bühne, begannen jedes Lied mit einem kurzen Grunge-Gekrache, um es dann für den Strophen-Gesang in die typische deutsche Schlagerpopmatsche à la SilbermondJuliLuxuslärm abrutschen zu lassen.
Bei der Abfahrt wurden wir wieder von kleinen Mädchen umringt, aber nur weil sie wissen wollten, in welchem Hotel ihre Götter abgestiegen waren. Wir sagten: »Im Holiday Inn«. Eine Aussage, die erneut zwischen Vermutung und Lüge oszillierte. Denn natürlich wussten wir nicht einmal, ob es in der Stadt ein »Holiday Inn« gab.
Als wir durch die Menge der kreischende Minderjährigen fuhren, die zum Teil noch ihre am Merchandise-Stand erworbenen, ihrem Alter unangemessenen Tangas mit Revolveraufdruck in den Händen hielten, dachten wir: Gut, dass wir, wenn schon nichts vernünftiges, so doch immerhin etwas anderes gelernt hatten als Popstar.
Howard X und die schwarze Macht des ZDF
VOR UND KURZ NACH SEINER WAHL sahen wir Europäer Barack Obama als links-liberalen Messias, als eine Mischung aus Kennedy, Willy Brandt, Olof Palme und Che Guevara. Aber schon in der ersten Amtszeit wurde klar: Auch er wird Guantanamo nicht auflösen, weiter sinnlose Kriege führen und gnadenlos die Interessen der großen amerikanischen Konzerne vertreten. Als er dann quasi persönlich Angela Merkels Handy abhörte, war die Liebe endgültig enttäuscht. Das Ausmaß der Enttäuschung kann man aber nur verstehen, wenn man die vorangegangene, maßlose Verehrung genauer betrachtet.
Ich kann mich zum Beispiel nicht erinnern, dass es vorher jemals einen deutschen Schlager über einen amerikanischen Präsidenten gegeben hätte. Mal abgesehen vom Abrüstungsschunkler »Sonne statt Reagan« von Joseph Beuys: »Aus dem Land / Das sich selbst zerstört / Und uns den »way of life« diktiert / Da kommt Reagan und bringt Waffen und Tod«. Nun gut, Beuys wurde ja auch nicht als Singer-Songwriter auf die Documenta eingeladen.
An Barack Obama allerdings gibt es eine Ode von einem unserer ganz großen Musikschaffenden: Howard Carpendale. Rätselhafterweise wurde das Lied kein Hit. Auch ich hätte es fast nicht wahr genommen. Glücklicherweise aber neige ich manchmal zu unkontrolliertem TV-Genuss, und so zappte ich mich im Dezember 2008 desorientiert in Carmen Nebels ZDF-Weihnachtsshow, wo ich Carpendale nachdenklich auf einem Barhocker sitzen sah. Und Musik hob an. Schon in diesem Moment spürte ich, dass gleich etwas Besonderes passieren würde.
Carpendale nennt seinen Sound in Interviews gerne »internationale Popmusik«, wir anderen, die wir nicht in Howies kleiner Parallelwelt leben, nehmen den Klang anders war: Es ist eine erbsensuppige, urdeutsche 80er-Jahre-Geräusch-Matschepampe. Wenn man ganz still ist und sich mit einer superheldenartigen Energie konzentriert, glaubt man zwar mitunter, echte Musikanteile heraushören zu können, die aber so verkocht und mit dem ESGE-Zauberstab püriert wurden, dass nur noch Moleküle davon übrig geblieben sind.
Das Intro des Songs wurde von einer jungschnatzigen, durchschnittsattraktiven Mietmusikerin gespielt, die in einem schulterfreien Abendkleid am Flügel saß und so einen schönen Gegensatz zum verlebten, bernhardinergesichtigen Carpendale bildete, der das Lied gesanglich mit folgenden Worten eröffnete: »Ich kenn ihn aus dem Fernsehen / Seit über einem Jahr / Am Anfang war ich skeptisch / Doch am Ende war mir klar / Wenn einer etwas ändert / Dann ist es sicher er ...« Und spätestens jetzt wusste ich, worum es ging, und hatte Angst vor jeder weiteren Zeile. Das konnte der doch nicht wirklich ernst meinen. Aber Howie kannte keine Gnade: »Und ich hätt auch mitgeschrien / Wenn ich dabei gewesen wär: Yes we can!«
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