Stefan Ernsting
Der rote Elvis
Dean Reed – Cowboy · Rockstar · Sozialist
FUEGO
– Über dieses Buch –
Dean Reed ist der unbekanntesten Superstar aller Zeiten und sein Tod gab immer wieder Anlass zu wilden Spekulationen. Der Sänger und Cowboydarsteller aus Colorado, der im Kalten Krieg zum sowjetischen Propagandamaskottchen avancierte und 1986 in Ost-Berlin ums Leben kam, war lange Zeit vergessen. Seit Tom Hanks aber einen Spielfilm über den berühmtesten Amerikaner östlich der Mauer angekündigt hat, ist das Interesse groß.
Dean Reed spielte in 18 Filmen mit, produzierte 13 LPs und gab Konzerte in 32 Ländern. Obwohl er von den westlichen Medien ignoriert wurde, hielt ihn ein Drittel der Menschheit einst für den größten Popstar aller Zeiten. Er lebte in Chile, Mexiko, Argentinien, Spanien, Italien und zuletzt in der DDR. Dean Reed protestierte international gegen Atomkraft, Militär Juntas oder den Krieg in Vietnam und gab Konzerte in Ländern wie dem Irak, Libanon, Nicaragua, Kuba oder Bangladesch. Bei keinen anderen Weltstar verliefen die Grenzen zwischen Pop und Propaganda so fließend. Dean Reed hatte Kontakte zu hochrangigen Oppositionellen aus aller Welt, KGB-Agenten und Politikern wie Salvador Allende, Daniel Ortega oder Yassir Arafat. Der Stasi galt er als zuverlässiger Informant und den obersten Strategen des Warschauer Paktes als Geschenk des Himmels.
Parallel zu diesem Buch entstand der gleichnamige Dokumentarfilm von Leopold Grün (Totho / Neue Vision), der 2007 im Panorama der 57. Berlinale seine Premiere feiern durfte.
– P R E S S E S T I M M E N –
»Die Geschichte vom Amerikaner, der über das große Wasser in die DDR kam, um dort in einem kleinen See zu ertrinken. Stefan Ernsting hat Reed ein ausgewogenes, faires Denkmal gesetzt.«
Richard David Precht, Literaturen
»Pop war in der DDR nur in einer Placebovariante gestattet, und eine dieser Episoden hat Stefan Ernsting in der Biographie ›Der rote Elvis‹ aufgearbeitet.«
Financial Times
»Hervorragend recherchiert und flüssig geschrieben. Darüber hinaus erfährt der Leser auf beiläufige Weise zahlreiche interessante Details aus Film- und Musikgeschichte.«
Das Parlament
Für meinen Vater, der mir erklärt hat,
daß die Bösen meist Anzüge tragen.
»Von der Berliner Mauer bis Sibirien, Dean Reed aus Colorado ist der größte Star der Popmusik. Reed wird von Russen und anderen Osteuropäern als der prominenteste Amerikaner nach Präsident Ford und Henry Kissinger genannt.«
(People Magazine, 16. Februar 1976)
»Ich hatte noch nie von ihm gehört, bis ich 1979 als Delegierter zum Internationalen Filmfestival Moskau eingeladen war. Ich ging mit meinem Dolmetscher über den Roten Platz, als ich einen Mann sah, der von seinen Fans fast erdrückt wurde. Ich fragte, wer ist das denn, und man sagte, ›Oh, mein Gott, es ist Dean Reed, der berühmteste Amerikaner der Welt!‹«
(Filmemacher Will Roberts beim Boulder Film Festival 2001 in den USA)
»Wenn es um Frieden geht, sollte einem jeder recht sein!«
(Karl-Eduard von Schnitzler)
Einführung:
Der unbekannte Cowboy
»Dies ist der Westen. Wenn die Legende zur Wirklichkeit wird, drucken wir die Legende.«
(Der Zeitungsverleger in Der Mann, der Liberty Valance erschoß )
Am 17. Juni 1986 um 10. 30 Uhr wurde im Zeuthener See bei Berlin die Leiche des amerikanischen Schauspielers und Sängers Dean Reed gefunden. Er war die größte Popikone, die der Sozialismus hervorgebracht hatte, aber im Westen hatte kaum jemand von ihm gehört. Nicht weit entfernt vom Ufer des Sees hatten Volkspolizisten zwei Tage zuvor sein Auto entdeckt. Dean Reed hinterließ einen Abschiedsbrief auf der Rückseite des Drehbuches für seinen Film Blutiges Herz über die Vorfälle in Wounded Knee Anfang der 1970er. Am 24. Juni 1986 hätten auf der Krim die Dreharbeiten beginnen sollen, aber die Produktion war in Zeiten der Perestroika längst nicht mehr erwünscht. Die neuen Männer in Moskau hatten ihn unverhohlen »einen Lakaien Breshnews« genannt und deutlich gemacht, dass in der Sowjetuinion ein neuer Wind wehte.
Aber Dean Reed war längst zu seinem eigenen Mythos geworden und der Tod des Amerikaners wurde zum Politikum erster Güte. Freunde, Verwandte und Fans standen vor einem Rätsel. Die staatlichen Medien der DDR sprachen von einem tragischen Unfall, um eine öffentliche Diskussion zu vermeiden. Vertuschungsmanöver und die Gerüchte um einen mysteriösen Abschiedsbrief nährten einschlägige Verschwörungstheorien, die sich schon bald um den Tod von Dean Reed rankten. Niemand mochte so recht glauben, daß ein durchtrainierter Endvierziger wie er versehentlich in knietiefes Wasser fiel und ertrank. Man wußte, daß man nur einen Teil der Geschichte kannte und die Wahrheit vermutlich nie ans Licht kommen würde.
Je länger ich die Geschichte von Dean Reed recherchierte, desto dubioser erschien sie. Legendenbildung und Wunschdenken dichteten Dean Reed nachträglich eine Schlüsselrolle im Kalten Krieg an, die kaum zu überprüfen war. Verschwundene Stasiakten, Kontakte zu zweitrangigem Geheimdienstpersonal und Geschichten aus dritter Hand schienen sich zu einem Spionagethriller zu vermengen. Die Handlung: Ein Mann wird bei seinem einsamen Kampf an der unsichtbaren Grenze von Freund und Feind gleichermaßen verraten.
Dean Reed war der unbekannteste Superstar aller Zeiten. Er spielte in 18 Filmen mit, produzierte mehr als ein Dutzend Langspielplatten und pflegte Kontakte zu Politikern wie Salvador Allende oder Yassir Arafat. Für viele Menschen im Ostblock war er der erste amerikanische Rockstar gewesen, den sie zu Gesicht bekamen. Reed drehte an der Seite von Yul Brynner, Anita Ekberg, Lana Turner, Franco Citti, Armin Mueller-Stahl oder Trashgrößen wie Elisabeth Campbell, Sal Borgese und Cris Huerta, aber sein Name war lange Zeit nur als kuriose Randnotiz im Internet verzeichnet.
Dean Reed gab als erster Amerikaner Konzerte hinter dem Eisernen Vorhang und tourte durch 32 Länder. Er spielte Songs von Elvis und den Beatles, trug »richtige« Jeans und war ein echter Amerikaner wie aus dem Bilderbuch. Charisma, gutes Aussehen und ein makelloses Lächeln hatten ihm bereits 1959 einen Plattenvertrag bei Capitol Records in Hollywood beschert. Ab 1960 lebte Dean Reed in Chile, Argentinien und Peru, drehte in Italien eine Reihe von Spaghettiwestern und war ansonsten beständig auf Tourneen unterwegs.
1972 hatte er seinen Wohnsitz in die DDR verlegt und verhalf dem grauen sozialistischen Alltag zu ein wenig Glamour. Als revolutionäres Vorbild für die Jugend mauserte er sich schnell zum parteitreuen Bürger und reckte bei jeder Gelegenheit die Faust in die Kameras.
Dank der für ihn unbeschränkten Reisefreiheit konnte er auch nach seiner Übersiedlung in die DDR international gegen Atomkraft, die chilenische Militärjunta oder den Krieg in Vietnam protestieren. Er spielte im Irak, in Nicaragua, auf Kuba oder in Bangladesch, wusch Flaggen vor amerikanischen Konsulaten, schrieb öffentliche Protestbriefe an den amerikanischen Präsidenten, unterstützte die prosowjetische Volkspartei in Afghanistan und ließ sich im Libanon mit umgehängtem Maschinengewehr und Palästinensertuch fotografieren. Wo auch immer die USA sozialistische Regierungen zu unterwandern versuchten, inszenierte sich Dean Reed als Blockadebrecher im Auftrag des Rock ’n’ Roll.
Bei keinem anderen Weltstar verliefen die Grenzen zwischen Pop und Propaganda so fließend wie im Falle von Dean Reed. Sein Erfolg in den Siebzigern und sein späteres Scheitern an den eigenen Ansprüchen stand stellvertretend für das Scheitern einer staatlichen Kulturpropaganda, die jungen Menschen im ehemaligen Ostblock einen Hauch von weiter Welt vermitteln sollte und dabei unfähig blieb, eine eigene Popkultur zu entwickeln.
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