Der Rote Fächer
Eine Episodenerzählung
Kapitel 1: Die Gattin des Shogun
Kapitel 2: Die Geisha
Kapitel 3: Unruhige Fahrt
Kapitel 4: Erobertes Land
Kapitel 5: Oscar M...
Kapitel 6: Flower Power
Kapitel 7: Das Ende der Odyssee
Cover: Konstanze Lunnee
Impressum
Konstanze Lunnee
Copyright: © 2013 Konstanze Lunnee
Published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
ISBN: 978-3-8442-5207-1
Kapitel 1
Die Gattin des Shogun
Es war ein kalter nasser Wintertag. Schwerer Schnee fiel in dichten Flocken und ein eisiger Wind ließ die Natur erstarren.
Im Palast des Shogun waren die Bediensteten pausenlos damit beschäftigt, die Räume warm zu halten, vor allem die der Gemahlin des Herrschers. Sie kam aus einer wärmeren Gegend und litt sehr unter der winterlichen Kälte und den dunklen Tagen. Tiefe Traurigkeit legte sich über ihre Seele und sie ließ die Fenster verhängen und weigerte sich, ihre Gemächer zu verlassen.
Der Shogun liebte seine Frau abgöttisch und überlegte, wie er ihr eine Freude machen und sie aufheitern konnte.
Er erinnerte sich, dass seine Frau im Sommer stundenlang am Gartenteich saß und den Anblick der Lotosblüten genoss. Beim Anblick der zarten Blüten lächelte sie stets glücklich, so wie damals als er sie kennengelernt hatte.
Einen Moment verlor sich der Shogun in Erinnerungen:
Die Vermählung hatte im Sommer stattgefunden, an einem warmen sonnendurchfluteten Tag. Der Weg war bestreut mit Lotosblüten und die Braut schien elfengleich darüber zu schweben. Die Hochzeitstafel war von Papiersegeln überdacht und hinter jedem Sitzplatz stand ein Diener mit einem großen Ziehfächer um der Braut und den Gästen eine leichte kühle Brise zuzufächeln. Was für ein Fest, welche Freude, was für ein Glück! –
Der Gong für die Teezeremonie riss den Shogun aus seinen Gedanken. Er eilte zu den Gemächern seiner Gattin um ihr während der Teezeremonie Gesellschaft zu leisten und sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Es brach ihm das Herz sie so traurig und kraftlos zu sehen.
Nachdem er in seine Räume zurückgekehrt war, reifte in ihm ein Gedanke: er wollte seiner Frau etwas Besonderes schenken, etwas, das es nur einmal im ganzen Land gab, einen Fächer, den sie stets bei sich tragen konnte, einen, den man schmal zusammenklappen konnte und der aufgeklappt auf der äußeren Seite einen goldenen Glücksdrachen zeigen sollte und auf der inneren Seite einen Seerosenteich. Immer wenn seine Gattin den Fächer aufklappte, konnte sie sich dann an dem Seerosenteich erfreuen.
Der Shogun rief die bekanntesten Künstler des Landes in den Palast und schilderte ihnen seine Idee. Er forderte alle zu einem Wettstreit auf, einen klappbaren Fächer zu konstruieren und zu gestalten, der seiner Frau gefallen würde und dazu beitragen könnte sie aufzuheitern.
Noch 3 Monde würde es dauern bis zum Geburtstag seiner Frau und bis dahin sollte der Fächer fertig sein.
Unter den einberufen Künstlern war auch ein junger Mann, der gerade dabei war, sich durch seine zarten filigranen Arbeiten einen Namen zu machen.
Was der Shogun nicht wusste, es war der Jugendfreund seiner Frau. Die Beiden hatten ihre Kindheit miteinander verbracht und sich vor Jahren ewige Liebe geschworen. Nachdem aber der Shogun Interesse an der jungen Frau gezeigt hatte, musste sie dem Willen des Herrschers nachgeben, ansonsten wären ihre Eltern wegen Hochverrates hingerichtet worden. Niemand durfte es wagen, dem Shogun ein „Nein“ entgegenzusetzen.
Wenn sie im Sommer am Seerosenteich saß und die zarten schimmernden Blüten betrachtete, brachten sie ihre Erinnerungen zurück in eine glückliche Zeit und in ihre Heimat, die sie aus Gehorsam zu ihrem Gebieter verlassen hatte um ihm in seinen kalten Palast zu folgen.
Kurz vor dem Geburtstag seiner Gattin versammelten sich wieder alle Künstler im Palast um ihre Werke zu präsentieren.
Der Shogun war sehr angetan von den unterschiedlichen Lösungen und ließ alle Fächer auf einem großen Seidentuch ausbreiten. Rund um das Tuch wurden Lampions angeordnet, rosa Kirschblütenzweige umrahmten und schmückten das Ganze. Der Shogun geleitete seine Gattin in den Raum mit den Geschenken, damit sie sich das für sie Schönste aussuchen konnte.
Seine Gattin war sehr gerührt ob der Bemühungen ihres Mannes und näherte sich den ausgebreiteten Fächern. Ihr Blick schweifte darüber und blieb auf einem der Fächer liegen. Sie erkannte sofort, dass er ein Werk ihres Jugendfreundes sein musste, denn sie hatte seine Art zu malen noch in genauer Erinnerung. Fast versagten ihr die Beine den Dienst, ihre Knie zitterten und ihr Herz klopfte zum Zerspringen.
Der Fächer war aus hauchdünnen rot lackierten Bambusplättchen gearbeitet, ein filigranes Sägemuster zierte den oberen Rand. Er lag aufgeklappt auf dem Tuch und sie erkannte in der Bemalung den Seerosenteich ihrer Jugendzeit, an dem sie sich immer mit ihrem Jugendfreund getroffen hatte und an dem sie sich ewige Liebe geschworen hatten.
Sie brach in Tränen aus und der Shogun glaubte, es wäre aus Rührung über seine Großzügigkeit - wie konnte er ahnen was in seiner Frau vor sich ging.
Sie kniete vor dem Tuch nieder, nahm den Fächer behutsam an sich und drückte ihn an ihr Herz: „Nur dieses Geschenk möchte ich haben, mein Gemahl,“ flüsterte sie fast tonlos, wandte sich um und begab sich zurück in ihre Gemächer.
Von nun an trug sie den Fächer stets bei sich, Sommer wie Winter. So fühlte sie sich in gewisser Weise mit Ihrer Liebe vereint.
Der Shogun war sehr stolz auf sich und glaubte, sie trüge den Fächer aus Dankbarkeit und Liebe zu ihm und zum Glück erfuhr er nie, dass sie ihn aus Liebe zu einem anderen bei sich trug.
Er entlohnte den Künstler fürstlich und förderte seine Bekanntheit. In unzähligen Holzschnitten und Tuschzeichnungen verewigte dieser seine Jugendliebe und sie ging als „Dame mit dem Fächer“ in die (Kunst)-Geschichte ein.
Der Klappfächer an sich wurde zu einem Statussymbol und verbreitete sich im Lauf der Jahrzehnte über die Königshäuser der ganzen Welt.
Als der Shogun starb überlebte ihn seine Frau um viele Jahre, aber als Witwe des Herrschers war es ihr untersagt, wieder zu heiraten.
Nach ihrem Tod kamen ihre persönlichen Sachen in eine Truhe und wurden im Ahnenraum des Palastes gelagert, wo sie im Laufe der Jahre in Vergessenheit gerieten.
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