Orson Card - Der rote Prophet

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Der junge Alvin zieht aus dem Berg der Magie. Dort herrscht Ta-Kumsaw, der Prophet der Indianer, und er haßt alle Weißen.

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Orson Scott Card

Der rote Prophet

1. Hooch

Dieser Tage fuhren nicht viele Flachboote den Hio entlang, zumindest keine mit Pionieren an Bord, keine mit Werkzeug und Mobiliar und Saatgut und einigen Ferkeln, um damit eine Schweinezucht zu beginnen. Es bedurfte nur einiger Feuerpfeile, und schon würde irgendeine Horde Roter eine ganze Reihe halb verkohlter Skalps besitzen, die sie in Detroit an die Franzosen verkaufen könnten.

Doch Hooch Palmer kannte solche Sorgen nicht. Die Roten wußten alle ganz genau, wie sein Flachboot aussah: hochbeladen mit Fässern. In den meisten dieser Fässer schwappte der Whisky, was auch so ziemlich die einzige Musik war, die die Roten verstanden. Doch inmitten des Riesenstapels Bottiche gab es ein Faß, in dem es nicht schwappte. Das war mit Schießpulver gefüllt, und daran befestigt war eine Lunte.

Wie benutzte er dieses Schießpulver? Manchmal ließen sie sich von der Strömung herbeitreiben, stießen sich mit ihren Stangen um eine Krümmung, und plötzlich erblickte man ein halbes Dutzend Kanus, mit dick bemalten roten Kicky-Poo. Oder man erblickte ein Feuer, das in Ufernähe brannte, und um das Feuer einige Shaw-Nee-Teufel, die Feuerpfeile in den Händen trugen.

Für die meisten Menschen hätte dies bedeutet, daß die Zeit zum Beten, zum Kämpfen und zum Sterben gekommen war. Doch nicht für Hooch. Der baute sich mitten auf seinem Flachboot auf, eine brennende Fackel in der einen Hand, die Lunte in der anderen, und rief: »Ich jage den Whisky in die Luft!«

Nun verstanden die meisten Roten zwar nicht sehr viel Englisch, doch was ›in die Luft jagen‹ und ›Whisky‹ bedeutete, wußten sie alle. Und so wurde er nicht etwa von schwirrenden Pfeilen oder dahinjagenden Kanus eingeholt: statt dessen fuhren die Kanus an der gegenüberliegenden Flußseite an ihm vorbei. Irgendein Roter schrie:

»Carthage City!« Und Hooch erwiderte brüllend: »Stimmt genau!«, worauf die Kanus einfach den Hio hinabsausten, dem Ort entgegen, wo dieser Branntwein schon bald verkauft werden würde.

Für die Jungen an den Schifferstangen war es die erste Reise flußabwärts, und sie wußten noch nicht so viel wie Hooch Palmer, weshalb sie sich auch fast die Hosen vollgemacht hätten, als sie zum ersten Mal die Roten mit Brandpfeilen erblickten. Und als sie mitansehen mußten, wie Hooch seine Fackel an die Lunte hielt, da wären sie am liebsten sofort in den Fluß gesprungen. Hooch hatte immer nur gelacht und gelacht. »Ihr Burschen versteht nichts von Roten und Branntwein«, hatte er gesagt. »Diese roten Teufel tun nichts, was dazu führen könnte, daß auch nur das winzigste Tröpfchen aus einem dieser Fässer im Hio endet. Die würden glatt, ohne zu zögern, ihre eigene Mutter umbringen, wenn sie sich zwischen sie und ein Faß stellte. Aber uns werden sie nichts tun, solange ich das Schießpulver bereithalte, nur für den Fall, daß sie Hand an mich legen sollten.«

Insgeheim mochten die Schifferjungen sich vielleicht fragen, ob Hooch wirklich das ganze Floß samt Mannschaft in die Luft jagen würde, die Wahrheit aber war, daß er es tatsächlich getan hätte. Er war kein großer Denker und vergeudete auch nicht viel Zeit darauf, über den Tod, das Jenseits oder ähnliche philosophische Dinge nachzugrübeln, doch zu einem Schluß war er immerhin gelangt: Wenn er starb, so glaubte er, würde er nicht allein sterben. Und er ging auch davon aus, daß niemand, der ihn umbringen sollte, davon auch nur den allergeringsten Vorteil haben würde. Und ganz bestimmt nicht irgendein halbtrunkener, hasenfüßiger Roter mit einem Skalpiermesser.

Das schönste Geheimnis aber war, daß Hooch überhaupt keine Fackel und schon gar keine Lunte gebraucht hätte. Ja, diese Lunte führte genaugenommen nicht einmal ins Innere des Pulverfasses — Hooch wollte nicht Gefahr laufen, daß sich das Pulver versehentlich entzündete. Nein, wenn Hooch sein Flachboot jemals hätte in die Luft jagen müssen, dann hätte er sich dazu nur hinsetzen und eine Weile darüber nachzudenken brauchen. Und schon bald hätte sich das Pulver erhitzt, und dann — bumm! — wäre es losgegangen.

Der alte Hooch war nämlich ein Funke. Gewiß, es gab Leute, die behaupteten, daß es gar keine Funken gebe, und zum Beweis fragten sie einen: »Hast du jemals einen Funken kennengelernt, oder kennst du jemanden, dem das passiert ist?« Aber das war natürlich überhaupt kein Beweis. Denn wenn man zufällig ein Funke war, dann ging man schließlich nicht damit hausieren. Nein, der einzige Wert, der darin lag, ein Funke zu sein, war der, daß man aus der Entfernung ein Feuer entfachen konnte. Doch so etwas wollte man immer nur herbeiführen, wenn es um ein schlechtes Feuer ging, das irgend jemandem weh tun, ein Gebäude abfackeln oder irgend etwas in die Luft jagen sollte. Nein, Hooch war kein Narr. Nie erzählte er anderen davon, wie er Dinge erhitzen und in Flammen setzen konnte.

Doch er hätte es getan. Eher hätte er das Pulver und sich selbst und seine Schiffsjungen und seinen ganzen Branntwein in die Luft gejagt, bevor er zugelassen hätte, daß auch nur ein Roter sich alles durch einen Mord aneignete.

Es war also ganz gut, daß die Roten den Branntwein so sehr liebten, daß sie kein Risiko eingehen mochten, auch nur den kleinsten Tropfen davon zu vergeuden. Kein Kanu kam ihnen zu nahe, kein Pfeil pfiff vorbei. Hooch und seine Fässer und Bottiche glitten so friedlich über das Wasser, wie man es sich nur wünschen konnte. Direkt bis Carthage, Gouverneur Harrisons hochtrabender Name für ein Staket mit hundert Soldaten, genau an der Stelle, wo der Little My-Ammy River auf den Hio traf. Doch Bill Harrison gehörte zu jener Sorte Menschen, die zuerst den Namen festlegten, um dann hart dafür zu arbeiten, daß der Ort diesen Namen auch verdiente. Und tatsächlich qualmten diesmal bereits an die fünfzig Kamine außerhalb des Stakets, was bedeutete, daß Carthage City schon fast zu einem Dorf geworden war.

Noch bevor die Anlegestelle in Sicht kam, hörte er ihr Gebrüll — da mußte es Rote geben, die ihr halbes Leben damit verbrachten, am Flußufer herumzusitzen und auf das nächste Branntweinboot zu warten. Und Hooch wußte auch, daß sie diesmal besonders sehnsüchtig warteten, nachdem er gesehen hatte, wie sich neulich in Fort Dekane das Geld von einer Hand in die andere bewegte. Die anderen Branntweinhändler waren also aufgehalten worden, bis das alte Carthage City so trocken sein mußte wie eine Bullenzitze. Und da kam nun Hooch mit seinem Flachboot, das schwerer beladen war als jemals zuvor, und diesmal würde er ordentliches Geld verdienen, soviel war sicher.

Bill Harrison mochte zwar so eitel sein wie ein Pfau, er mochte sich Allüren zulegen und sich selbst Gouverneur nennen, obwohl ihn niemand dazu gewählt hatte, doch er verstand sein Geschäft. Er hatte seine Jungs in den feschen Uniformen an der Anlegestelle in Reihe aufgebaut, so ordentlich, wie man es sich nur wünschen konnte, mit geladenen Musketen und bereit, die erste Rothaut niederzuschießen, die auch nur einen Schritt in Richtung Ufer machte. Das war keine bloße Formalität — diese Roten sahen äußerst gierig aus, wie Hooch erkannte. Natürlich hüpften sie nicht auf und ab wie die Kinder, sondern standen einfach nur da und sahen zu, ohne sich darum zu scheren, wer sie sehen konnte, bereit zu Kratzfüßen und Verneigungen, zum Flehen und Betteln, bereit zu sagen: »Bitte, Mr. Hooch, ein Faß für dreißig Hirschfelle.« Ach, das würde ihm aber süß in den Ohren klingen! Bitte, Mr. Hooch, nur einen Becher Branntwein für diese zehn Moschusrattenpelze.

»Whed-haw!« rief Hooch. Die Schifferjungen sahen ihn an, als sei er verrückt geworden, denn sie wußten ja nicht, wie diese Roten einmal ausgesehen hatten, lange bevor Gouverneur Harrison hier seinen Laden aufgezogen hatte, wie sie keinen Weißen Mann eines Blickes gewürdigt hatten und wie man in ihre Zelte hatte hineinkriechen müssen, um darin an Rauch und Dampf beinahe zu ersticken, um dazusitzen und Zeichen zu geben und ihr Kauderwelsch zu sprechen, bis man Erlaubnis zum Handeln erhielt. Damals war es so gewesen, daß die Roten mit Pfeil und Bogen dastanden, und man sich vor Angst beinahe in die Hose machte, sie könnten zu dem Schluß gelangen, daß der eigene Skalp mehr wert war als alle Tauschgüter, die man dabeihatte.

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