In diesen Worten steckt das Wesentliche seiner Namenswahl und der Sendung, die er sich zu eigen macht, wenn er den Glauben und die Hoffnung von mehr als einer Milliarde Katholiken nährt und ihnen Einheit verleiht. Durch seine Worte und Gesten zu Beginn seines Pontifikates, nicht zuletzt anlässlich des Weltjugendtages in Brasilien (23. – 28. Juli 2013), deutet er tiefgreifende Veränderungen an, die für die katholische Kirche den Eintritt in das dritte Jahrtausend bedeuten könnten. Möge es Gott so gefallen!
Petrópolis, Juli 2013
Leonardo Boff
Botschaft des heiligen Franziskus an die Jugendlichen heute
Liebe Jugendliche, meine Brüder und Schwestern!
Auch ich war einst jung wie ihr. Ich war der Sohn des Pedro Bernardone, eines reichen Tuchhändlers. Wie er nahm ich an den berühmten Verkaufsmessen in Südfrankreich und Holland teil. Ich lernte Französisch und lernte auch ein wenig die Welt kennen, besonders die Musik der Spielleute und Minnesänger der Provence.
Meine Jugend als Partylöwe
Mein überaus reicher Vater ermöglichte mir alle Annehmlichkeiten. Ich war der Anführer einer Gruppe von jungen Müßiggängern, die sich auf den Straßen die Nacht um die Ohren schlugen, höfische Liebeslieder sangen und fahrenden Sängern zuhörten, die von Ritterabenteuern erzählten. Wir veranstalteten ausgelassene Feste mit einer Menge Tumult und Lärm. So verbrachten wir einige fröhliche Jahre.
Nach einiger Zeit verspürte ich eine große Leere in mir. All das war gut, aber es füllte mich nicht aus. Um meine Krise zu überwinden, wollte ich Ritter werden und im Kampf gegen die Mauren Heldentaten vollbringen. Doch mitten auf dem Weg dahin hielt ich inne. Ich ging in ein Kloster, um zu beten und Buße zu tun. Doch bald bemerkte ich, dass dies nicht mein Weg war.
Der Ruf, die Kirche wieder aufzubauen
Allmählich jedoch erstarkte in mir eine seltsame Liebe zu den Armen und ein tiefes Mitleid mit den Leprakranken, die isoliert von den Menschen außerhalb der Stadtmauern lebten. Ich besann mich auf Jesus, der ebenfalls arm war und am Kreuz viel leiden musste.
Eines Tages kam ich in die Kirche San Damiano. Lange Zeit verharrte ich dort in Betrachtung des leidenden Antlitzes des gekreuzigten Christus. Plötzlich kam es mir vor, als hörte ich eine Stimme, die vom Christus her kam: „Franziskus, baue meine Kirche wieder auf, die in Trümmern liegt.“
Diese Worte drangen mir tief ins Herz. Ich konnte sie nicht vergessen. Mit meinen eigenen Händen begann ich, die kleine, alte und verfallene Kirche Portiunkula wieder aufzubauen. Dann wurde mir bewusst, dass die Stimme, die ich gehört hatte, eine andere Kirche gemeint hatte: Nicht eine aus Stein, sondern die Kirche, die aus Menschen, Prälaten, Äbten, Priestern und nicht zuletzt dem Papst besteht. Sie befand sich in moralischem Verfall. Viel Unsittlichkeit und Machthunger gab es da, es wurden Paläste für die Kardinäle und den Papst und prunkvolle Kirchen gebaut. All das hatte Jesus ganz sicherlich nicht von seinen Nachfolgern gewollt.
Die Entdeckung des Evangeliums der Armen
Um die Kirche wieder aufzubauen, ging ich an die Quelle zurück, um daraus zu schöpfen. Ich wandte mich den Evangelien und der Nachfolge des armen Jesus zu. Niemand regte mich dazu an oder trug es mir auf. Gott selbst aber war es, der mich zu den Leprakranken führte. Und ich wurde von gewaltigem Mitleid für sie ergriffen. Was ich zuvor als bitter empfand, wurde mir nun aufgrund des liebenden Mitleids süß. Ich begann in den Dörfern in einer einfachen Sprache, die alle verstanden, die Worte Christi zu verkündigen. Ich sah es den Leuten an, dass dies genau das war, worauf sie hofften und was sie hören wollten.
Alle Kreaturen sind unsere Geschwister
Auf meinen Wanderungen faszinierte mich die Schönheit der Blumen, der Gesang der Vögel, das Rauschen der Bäche. Ich hob den Regenwurm von der staubigen Straße auf, damit er nicht zertreten wird. Ich begriff, dass wir alle zusammen unseren Ursprung im Herzen unseres gütigen Vaters haben. Deshalb sind wir alle Geschwister: Bruder Feuer und Bruder Wasser, Schwester und Herrin Sonne, Schwester und Mutter Erde, ja sogar der Wolf von Gubbio ist unser Bruder.
Viele alte Kumpanen, die mit mir Feste gefeiert hatten, schlossen sich mir an. Eine sehr liebe, schöne Freundin, Klara von Assisi, riss von zu Hause aus und wollte unser einfaches Leben teilen. Wir initiierten eine Bewegung von Armen. Nichts nahmen wir mit auf den Weg als ein leidenschaftlich glühendes Herz und die Freude des Geistes. Wir arbeiteten auf den Feldern oder bettelten um Almosen. Wir wollten den Spuren des demütigen Christus folgen, der arm und ein Freund der Armen war. Und Papst Innozenz III. selbst zögerte zwar sehr, doch im Jahr 1209 bestätigte er unsere Lebensweise und erlaubte uns, überall das Evangelium Jesu zu verkündigen.
Nach einigen Jahren waren wir bereits so zahlreich, dass ich nicht mehr wusste, wie man so viele Menschen aufnehmen und sie anleiten kann. Den Rest der Geschichte kennt ihr. Ich muss das hier nicht wiederholen. Später wurde mit Unterstützung des Papstes jener Tage der Orden der Minderbrüder gegründet, der sich bald in verschiedene Zweige ausfächerte und bis heute besteht.
Seht, meine lieben junge Leute, meine Geschwister, ich habe eine Erfahrung gemacht, die ihr als Jugendliche sicherlich auch kennt: Ich war von Freunden umgeben, verstand es zu feiern und unternahm eine Menge verrückter Sachen. Wir haben also etwas gemeinsam.
Ich will mich in eure Zeit hineinversetzen und euch sagen, wozu der Geist Gottes mich nun antreibt.
In Liebe und Fürsorge der Mutter Erde zugetan
Zu allererst bitte ich euch: Liebt die Schwester und Mutter Erde und sorgt für sie. Sie ist krank und von Fieber befallen. Lange Zeit schon haben wir sie über Gebühr ausgeplündert. Um das wiederherzustellen, was wir ihr innerhalb eines Jahres entnehmen, braucht sie anderthalb Jahre. Den Brasilianern hat sie vielleicht ihr wertvollstes Erbe anvertraut: den Amazonas-Regenwald, eine Überfülle an Süßwasser, eine immense Vielfalt lebendiger Arten und große Flächen fruchtbaren Bodens. Bewahrt dieses Erbe für eure Kinder und für die ganze Menschheit.
Wir müssen dringend ein weltweites Bündnis schließen, um uns um die Erde und um einander zu kümmern. Andernfalls kann es zu verheerenden Katastrophen kommen, die die gesamte Gemeinschaft des Lebens betreffen. Wir sind also mit einer großen Gefahr konfrontiert. Doch wenn wir gemeinsam in Solidarität Verantwortung übernehmen und ein Verhalten der Fürsorge für alles, was existiert und lebt, entwickeln, dann können wir diese Tragödie abwenden. Und es wird noch einmal gut für uns ausgehen.
An der Seite der Armen und Unterdrückten
Viele Kinder der Mutter Erde, unsere Geschwister, sind arm und leiden Hunger. Millionen wurden der Armut entrissen und können ein Leben mit einem Minimum an Würde führen. Und dennoch gibt es so viele, die auf der Straße leben, weil sie krank, drogenabhängig, obdachlos sind. Seid wie der gute Samariter, der sich über sie beugte und ihnen half, wieder auf die Beine zu kommen. Der gekreuzigte Jesus lebt fort in den Gekreuzigten dieser Welt. Wir müssen sie vom Kreuz herunterholen und ihre Auferstehung ermöglichen.
Das Herz verlangt sein Recht
Es gibt noch etwas anderes, was mich in der Tiefe meines Herzens bewegt und was ich euch sagen will: Wir müssen unser Denken und unser Herz ändern.
Das Denken müssen wir ändern, um die Wirklichkeit mit anderen Augen zu sehen. Die Wissenschaftler heute zeigen uns auf, dass die Erde lebendig ist und keineswegs ein toter Gegenstand, eine Art Depot für unerschöpfliche Ressourcen, die wir nach Gutdünken benutzen könnten. Diese Ressourcen sind vielmehr begrenzt. So zum Beispiel die fossilen Energiequellen wie Erdöl und Kohle, der fruchtbare Boden und das Saatgut. Wir müssen mit diesen Gütern schonend umgehen, damit sie auch den künftigen Generationen in ausreichendem Maß zur Verfügung stehen.
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