Jonathan!
Ihren Ehemann!!!
Man braucht
nichts im Leben
zu fürchten,
man muß nur
alles verstehen.
(Marie Curie)
3
Er stand neben dem flackernden Kamin. Einen Arm lässig auf die Umrandung gelehnt, in der anderen Hand ein Glas haltend, schaute er ihr erwartungsvoll entgegen. Brenda stürzte auf ihn zu, stolperte unbeholfen über die Leine, die der Drachen jetzt losgelassen hatte, und fiel – trotz allem – erleichtert in Jonathans ausgebreitete Arme. Lächelnd fing er sie auf und küßte sie. Hart, sehnsüchtig. Und Brenda vergaß alles in diesem Moment, fühlte nur noch, wie stolz er auf sie war, daß sie es bis hierhin geschafft hatte. Dann schob er sie von sich, sein Blick musterte sie, ganz langsam, von unten nach oben; die prüfenden Augen blieben in den ihren hängen, und Brenda konnte den Schalk in ihnen aufblitzen sehen.
»Du kommst spät, a gráidh; was hat dich so lange aufgehalten?«
Brenda sah ihn entgeistert an. Also das war doch wohl die Höhe!
»Was … was mich aufgehalten hat? Aufgehalten?? Oh, entschuldige bitte, Liebling, aber ich wußte ja nicht, daß die Uhr läuft, während du hier im Warmen sitzt und ich splitterfasernackt versuche, in dieses … dieses – was ist das hier überhaupt? Ach Scheiße, ist ja auch egal – jedenfalls hier ’reinzukommen und dich zu finden und … und …« Sie rang japsend nach Luft. »Sag mal, spinnst du jetzt total? Was hast du Mistkerl dir eigentlich dabei gedacht, mich hier in dieser … dieser Einöde auszusetzen? Und noch dazu nackt und gefesselt? Sollte das vielleicht lustig sein?«
Sie stampfte verzweifelt mit dem Fuß auf.
»Ich renne hier durch die Gegend, praktisch jeder kann mich so … so sehen – und dann muß ich mich auch noch von … von irgendwelchen … Männern erniedrigen lassen, und du … du … du fragst mich, warum ich … also … ich – verdammt!«
Brendas Stimme überschlug sich. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie wäre in Tränen ausgebrochen. Jonathan nahm sie in den Arm, wiegte sie wie ein Kind hin und her und murmelte fremde Laute in ihr Ohr. Jetzt weinte sie wirklich. Froh, alles überstanden zu haben, Kleidung tragen zu dürfen und wieder in seinen Armen zu liegen. Was bis jetzt nur in ihren eigenen vier Wänden stattgefunden hatte, hatte sie nun in der freien Natur erlebt. Warum nahm er ihr denn nicht die Fesseln ab? Sie würde ihn so furchtbar gerne umarmen und sich an ihm festhalten. Aber erst nachdem sie ihm eine runtergehauen hätte!
Stattdessen hielt Jonathan ihr sein Glas an den Mund. Sie roch den lebensgeisterweckenden Duft von Whisky, nahm einen tiefen Schluck und mußte husten, rang keuchend nach Atem. Scharf floß der Alkohol durch ihre Kehle in den leeren Magen, und eine wohlige Wärme breitete sich in ihr aus. Jonathan lächelte mit der Überzeugung eines Mannes, der sich durchaus im Recht sah, und trocknete mit seinem Taschentuch Brendas Tränen.
»Geht es wieder?«
Sie nickte. Jetzt erst wurde ihr bewußt, wo sie sich befanden, und ihr dämmerte, daß sie beim Betreten des Salons flüchtig mehrere Gesichter gesehen hatte.
»Vielleicht könntest du dann mal für ein paar Sekunden den Mund halten und dich wie eine gut erzogene Ehefrau verhalten – wäre das möglich? Dann würde ich dir nämlich gerne meine Familie vorstellen.«
Wie bitte!?
Mit diesen Worten drehte er sie herum, hielt sie unnachgiebig an den Oberarmen fest und beugte sich zu ihr herunter. Familie? Brenda wurde knallrot. Sie hatte nur Augen für Jonathan und ihre Wut gehabt und dabei glatt verdrängt, daß sich noch andere Menschen in dem Raum aufhielten. Gott, wie schämte sie sich! Was mußten die nur von ihnen beiden denken? Jonathan schob sie ein paar Schritte vorwärts und deutete vage in den Raum hinein.
»Brenda, darf ich dir meinen Vater Henry McArcher, den Laird of Glenridge, vorstellen? Und das dort ist Connor – der älteste von uns vier Brüdern – und seine Frau Rachel, hier haben wir Malcolm und Lucinda, und das sind Frederick und Katherine. Tja – und das, ihr Lieben, ist sie: die neue Lady McArcher. Brenda. Meine Frau. Sie ist im Moment noch etwas schüchtern – verständlicherweise –, aber ich denke mal, sie freut sich sehr, euch jetzt endlich kennenzulernen; nicht wahr, Brenda?«
Brenda nickte nur benommen und leckte sich die trockenen Lippen. Vier Brüder.
Samt Anhang. Und ein Vater. Gab es auch eine Mutter? Heiliger Strohsack! Alkohol – sie brauchte unbedingt noch einen doppelten Whisky, um das hier zu überleben! Jonathan drehte sie noch Stück weiter.
»Und das, liebste Brenda, ist Miß Gibbons; sie kennst du ja schon. Sie ist der gute Geist des Hauses, unsere Hausdame, Vaters Gesellschafterin, und sie hat mitgeholfen, uns vier Jungs tatkräftig zu erziehen. Und bevor du jetzt irgend etwas sagst, was dir später bestimmt unheimlich peinlich sein wird, würde ich vorschlagen, daß du dich dort auf deinen Platz setzt. Vorher könntest du Miss Gibbons vielleicht in angemessenem Ton bitten, dir die Handschellen abzunehmen. Ich bin mir sicher, daß sie das gerne tun wird!«
Dann ließ er sie los und nahm in einem der Sessel Platz, ließ sie einfach alleine da stehen; alle blickten sie jetzt abwartend an, mit durchweg unbewegten Gesichtern, die ganze Familie. Und natürlich dieser Drachen.
Das war sie also – die Familie ihres Mannes, die er bisher mit keinem Wort erwähnt hatte! Die Personen, die ihm, neben ihr selber, am nächsten waren. Wie waren sie? Und vor allem: Warum begegneten sie ihr erst jetzt? Monate nach ihrer Hochzeit?
Die Männer thronten in tiefen, gemütlichen Ohrensesseln, die drei Frauen dagegen saßen gesittet neben den Sesseln auf noch niedrigeren Hockern, die Beine akkurat zusammengestellt und in den Händen Gläser mit Sherry. Der Hocker neben Jonathan war noch frei, wartete auf sie. Brenda atmete tief durch. Also denn … Es war erniedrigend, keine Frage, und sie gewann den Eindruck, daß – wenn sie jetzt den Raum verließe – keiner sie aufhalten würde und Jonathan sie sofort wieder nach Hause bringen würde. Sie kam sich vor wie in einem Experiment. Ein Bazillus, ganz allein auf einer riesigen Glasfläche, bereit, um unter ein Mikroskop geschoben und untersucht zu werden. Um ihre Bereitschaft und ihre Gefügigkeit zu prüfen.
Wollte sie das? Oder wollte sie wieder nach Hause, nach Hamburg? Nun, bis jetzt war es doch aufregend gewesen, nicht wahr? Und sie hatte Gefallen an dem Spiel gefunden. Wenn sie jetzt ginge, wäre alles vorbei … würde sie nie erfahren, wie es weitergehen könnte. War es tatsächlich denkbar, daß die ganze Familie …? Nein, das konnte nicht sein – oder doch? Immerhin schienen sie es völlig in Ordnung zu finden, daß der Sohn und Bruder seine Frau von fremden Männern benutzen ließ. Oder wußten sie nichts davon? Na ja … Brenda erinnerte sich, daß sie es eben selbst hinausposaunt hatte; aber das schien keinen hier besonders zu erschüttern. Ebensowenig die Tatsache, daß dieser Drachen – oh Verzeihung: Miß Gibbons natürlich! – sie an einer Leine ins Zimmer geführt hatte. Was war in dieser Familie los?
Brenda räusperte sich kurz und blickte den Drachen an, kämpferisch, trotzig. Und wuchs in den nächsten Sekunden ein Stück über sich selbst hinaus.
»Würden Sie mir – bitte – die Handschellen abmachen, Miß Gibbons?«
Sie hatte den ganzen Rest ihrer Selbstsicherheit zusammengenommen und eine gehörige Portion Ironie dazu, um diesen Satz herauszubringen. Innerhalb von Sekunden hatte sie damit ihr früheres Leben als eigenständiges Individuum aufgegeben. Sie wußte es nur noch nicht …
Zu ihrem Vorteil mußte man sagen, daß Miß Gibbons nicht im mindesten beleidigt oder triumphierend darauf reagierte. Sie wirkte nun wie eine durch und durch redliche und aufmerksame Hausangestellte, nicht mehr wie eine Gefängniswärterin. Sie nickte, kam zu Brenda und schloß die Handschellen auf; auch die Leine entfernte sie, rollte sie penibel zusammen und verstaute sie in der Tasche ihres Kostüms. Dann schenkte sie sich selbst einen Whisky ein und setzte sich in den letzten der sechs freien Sessel, die gemütlich um den Kamin drapiert waren. Brenda indessen ging steifbeinig zu ihrem Hocker und nahm ebenfalls Platz. Jonathan drückte ihr ein Glas in die Hand, und sie trank den Whisky fast in einem Zug, zum einen, um sich aufzuwärmen, und zum anderen, um ihren rasanten Herzschlag zu beruhigen. Es half ein wenig, nicht mehr ganz so präsent im Mittelpunkt zu stehen. Noch keines der anderen Familienmitglieder hatte ein Wort mit ihr gewechselt; auch bei der Vorstellung hatten sie nur milde lächelnd genickt. Und nun unterhielten sie sich weiter, als sei in der Zwischenzeit nichts gewesen, als hätte man nicht eben noch eine gefesselte Frau zu ihnen geführt und sie in ihre Mitte gesetzt.
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