Die „FM-Zeitschrift. Monatsschrift der Reichsführung SS für fördernde Mitglieder“ informiert 1938 über die neu gegründete SS-Führerschule in Dachau.
Der Lehrplan sah sieben Unterrichtseinheiten vor, fünf davon waren „wehrsportlicher“ und militärischer Natur, die anderen beiden umfassten eine ideologische und verwaltungstechnische Weiterbildung: In der „Sportausbildung“ gab es nicht nur Übungen und Wettkämpfe, sondern auch Vorträge über deren „Wert und den Sinn“. 167Sturmbannführer Haas habe zwar Mut, sei aber „schwerfällig“, befanden die Lehrgangsleiter. 168Seine „körperliche Härte“ sei gerade einmal „befriedigend“ und auch seine „theoretischen Kenntnisse über Durchführung und Anlage von Sportübungen“ mangelhaft. Beim „Geländedienst“ sahen die Noten nicht besser aus: Seine bisherige Ausbildung stellte sich als durchschnittlich heraus. Nur „befriedigend“ konnte er das Gelände beurteilen und für Manöver ausnutzen, das „Entfernungsschätzen und Zurechtfinden“ bestand er gerade noch mit „genügend“, ebenso wurden seine theoretischen Kenntnisse zu den Wehrsportübungen eingeschätzt. Haas‘ Fähigkeiten lägen „im besonderen in der Beherrschung der Kommando-Sprache sowie im Exerzierdienst“, hatte der Führer der 78. SS-Standarte im Vorfeld des Lehrgangs geurteilt – doch auch das wurde hier revidiert. Zwar zeigte er sich beim „Einordnen in der Front“ durchaus „willig“. Die Kommandosprache und die Befehlswiedergabe beherrschte er aber wiederum nur „befriedigend“. Beim „Auftreten vor der Front“ zeigte er trotz seiner Fähigkeit, über seine Schwächen hinwegzutäuschen, „teilweise Mangel an Vertrauen zum eigenen vorhandenen Können“. Wie er sich beim „Schiessdienst“ mit Kleinkaliberwaffen und Pistole anstellte, notierten die Lehrgangsleiter nicht. Am Ende des Lehrgangs mussten sie sich aber wohl die Frage stellen, wie er mit diesen Fähigkeiten überhaupt zum SA-Sportabzeichen gekommen war. Jüngeren SS-Männern konnte es bei solchen Gelegenheiten wieder abgenommen werden. Haas, der während des Lehrgangs am 14. November 1937 seinen 44. Geburtstag feierte, durfte das einmal erworbene Abzeichen aus Altersgründen allerdings behalten.
Immerhin beim „Inneren Dienst“ konnte er ein wenig mit „praktische[n] Erfahrungen“ im Schriftverkehr glänzen, wenn auch „Form und Inhalt“ den Anforderungen nicht entsprachen. „Mangelhaft“ waren dagegen seine Kenntnisse im Disziplinarwesen. Unter einem Test, der ebenfalls mit „mangelhaft“ bewertet wurde, notierte sogar ein Prüfer: „Die schlechte Bearbeitung kann ihren Grund jedoch auch darin haben, dass Verfasser mit dem Schreiben offensichtlich auf Kriegsfuss steht.“ 169Seine Rechtschreibung hatte sich seit der Gefangenschaft im Ersten Weltkrieg, in der er angeregt, aber ohne Sorgfalt Tagebuch geschrieben hatte, noch weiter verschlechtert. Das zeigte sich vor allem im weltanschaulichen Unterricht.
Noch vor einem Jahr hatten Haas‘ Vorgesetzte geschrieben, er habe die nationalsozialistische Weltanschauung „sehr gut mit Herz und Verstand“ verinnerlicht – Haas‘ Leistungen in der letzten Unterrichtseinheit straften sie Lügen. Seine Vorkenntnisse entsprächen gerade einmal dem „Durchschnitt“ und es fehlen ihm „sichere Grundlagen“, sagten die Prüfer. 170Sie unterrichteten auf Anweisung Himmlers anhand der „SS-Leithefte“, sozusagen ein Wissens- und Unterhaltungsmagazin für den einfachen SS-Mann. Seit 1935 vermittelten die „Leithefte“ monatlich Propaganda zu verschiedenen Themen wie „Rassenhygiene“ und Freimaurerei, gaben aber auch Tipps für Feiern und Literatur zur Hand und unterhielten die Leser mit Kurzgeschichten von heldenhaften Frontsoldaten und Rubriken wie „Hier lacht der SS-Mann“. 171
Das erworbene „Wissen“ wurde während des Lehrgangs immer wieder in Vorträgen und schriftlichen Prüfungen abgefragt. Bis zu Haas‘ Zeit in Dachau gewähren die Akten vor allem einen bürokratischen Blick von außen auf seinen Karriereweg. Abgesehen von seinem Tagebuch aus dem Ersten Weltkrieg und zwei Lebensläufen sind kaum aussagekräftige Dokumente erhalten geblieben, die Adolf Haas selbst verfasste. Dass fünf weitere solcher „Egodokumente“ heute einen persönlicheren Zugang zu Adolf Haas ermöglichen, ist den Prüfern der Führerschule zu verdanken. Wohl als Referenz für ihre Beurteilungen schickten sie seine Prüfungsaufsätze an das SS-Personalhauptamt. Von da aus gelangten sie in seine Personalakte und zeugen von einem äußerst schlichten Gemüt und einer mangelnden Bildung. So versuchte er sich am 17. Oktober an einem Aufsatz zum Thema „Die Germanen vor der Wanderung und Folgen der Wanderung“. 172Heinrich Himmler war vom Germanenkult geradezu besessen. Der Nationalsozialismus, meinte er, könne und müsse das deutsche Volk wieder zu ihrem wahren germanischen Wesen zurückführen. 173In Dachau sollte Adolf Haas diesen Ursprung erklären. Zwar zählte er die Stämme der West- und Ostgermanen auf, erläuterte kurz die Tugenden der Germanen als „Volk ohne Raum“ und verwies im letzten Satz auch auf die Christianisierung der Germanen, die Himmler als die Ursünde des deutschen Mittelalters betrachtete. Die schwammigen und fehlerhaften Ausführungen reichten jedoch bei Weitem nicht aus. „Völlig ungenügend“ vermerkten die Prüfer neben der Note „4“ unter dem Text. Fünf Tage später bekam Haas eine neue Chance, als er über „Staat und Wirken Heinrichs I. u. Adolf Hitler“ schreiben sollte. 1936 hatte Heinrich Himmler zum tausendsten Todestag von Heinrich I. an seinem Grab im Dom von Quedlinburg eine Rede gehalten. 174Den Wortlaut versuchte Adolf Haas wiederzugeben:
„Heinrich I. ist im Jahre 919 als Herzog der Sachsen deutscher König geworden. Das Reich bestand nur noch dem Namen nach. Das ganze Reich war im Verlaufe von 3 Jahrhunderten total darniedergegangen, unter dem schwäschlichen Nachfolger Karl des Franken [Karl der Große]. Er [Heinrich I.] lehnt[e] die Krönung durch die Kirche ab, denn er hatte eingesehen, daß die Kirche der Untergang der Germanen war. Das Bauerntum lag ganz darnieder, welches doch der Grundstock eines Volkes sein muß. Heinrich I. war es darum zu tun, für sein Volk die Lebensmöglichkeit zu schaffen, und er schaffte es. Sehen wir Adolf Hitler[,] er fand als einfacher Mann einen ganz danieder liegenden Staat, den die vorhergehene Regierung total zu Grunde gerichtet hatte.“ 175
Nach kaum einer Seite brach er mitten im nächsten Satz über das Bauerntum ab und schloss, wohl aus Zeitnot, hastig mit dem Fazit: „Und beide haben es fertig gebracht, Heinrich I u. Adolf Hitler eine neue deutschen Heim-Staat zu schaffen.“ Am Ende bekam er wieder nur ein „ungenügend“ als Note. Auch beim Vortragen von weltanschaulichen Themen benahm er sich „schwerfällig“. 176Allerdings vermerkten die Prüfer nach vier Wochen, gewiss mit Eigenlob, dass seine Einstellung zur NS-Weltanschauung „durch den Lehrgang stark gefördert“ wurde. 177Am vorletzten Tag des Lehrgangs wurden die Teilnehmer gebeten, dieses Mal ohne Benotung, ihre „Erfahrungen und Wünsche“ aufzuschreiben. Haas schlug vor, jedem Sturmbann eine „hauptamtliche Schreibkraft“ zur Verfügung zu stellen, „um den Stabsscharführer zu entlasten“. 178„Entlasten“ wollte er, der ja laut einem Prüfer „mit dem Schreiben auf Kriegsfuss stand“, wohl vor allem sich selbst.
Am Mittwoch, den 10. November 1937 ging es nach Hause. Indessen schrieben die Lehrgangsprüfer die abschließenden Beurteilungen. Lob bekam Adolf Haas nur wenig, „gut“ seien nur seine Sauberkeit sowie sein „Benehmen im Aussendienst“. 179Seine Haltung sei „soldatisch“, könnte aber „straffer sein“, seine „körperliche Rüstigkeit“ aber immerhin „trotz seines Alters befriedigend“. Das Verhältnis zu den Kameraden sei „zurückhaltend“, das zu seinen Vorgesetzten „abwägend“ – aber er „fügt sich in den Rahmen“. Sein Wille sei zwar „zäh“, doch sein Auffassungsvermögen „begrenzt“. Daher müsse er „regsamer“ werden und „sich noch manches aneignen“, um die „geistige Frische“ zu erreichen, die man von einem höheren SS-Führer erwarte. Immerhin sehe er nun die „Notwendigkeit der eigenen Weiterbildung ein“. Trotz seiner durchschnittlichen bis mangelhaften Leistungen hatte Haas den Lehrgangsleitern offenbar weismachen können, er leide unter wirtschaftlichen „Schwierigkeiten“ und sei daher „verbittert“. In der gesamten Personalakte findet sich jedoch kein einziger Hinweis darauf, dass Haas Schulden hatte oder dass sein verhältnismäßig gutes Gehalt nicht ausreichte. Im Januar 1938, also kurz nach seiner Rückkehr aus Dachau, bezog er ein Bruttoeinkommen von 527 RM, mehr als drei Mal so viel wie der durchschnittliche Bürger. 180Damit konnte er seiner Familie ein neues Eigenheim in „Hachenburg, Siedlung“ in der Liegnitzer Straße finanzieren, ganz in der Nähe vom jüdischen Friedhof und dem ehemaligen Judenfriedhofsweg, den er 1933 in Dehlinger Weg hatte umbenennen lassen. 181
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