Die nationalsozialistische Weltanschauung habe er „sehr gut mit Herz und Verstand“ verinnerlicht und sein Wille sei „fest und rücksichtslos gegen sich und andere“, schrieben seine Vorgesetzten ohne Beschönigungen in einem Bericht vom Juni 1936. Haas sei ein „guter Kamerad“, aber auch ein „Draufgänger“, „gerade, derb, leicht erregbar und zornig“ – genau die Eigenschaften, die ihn für seine späteren Aufgaben qualifizierten. 151Man war zufrieden mit ihm und beförderte den „treuen und pflichteifrigen SS-Führer“ am 13. September 1936 zum Sturmbannführer. 152Damit war er in die Dienstgruppe der Stabsoffiziere aufgestiegen, vergleichbar mit einem Major der Wehrmacht. Sein neuer Kragenspiegel – links das Emblem der SS, die Siegrune, rechts ein Abzeichen mit vier kleinen Rechtecken – zeigte jedem seinen Rang, war aber auch ein Zeichen für seinen raschen Aufstieg. Weiter nach oben ging es auf der Karriereleiter aber zunächst nicht mehr.
2.5 Der Überschätzte: Karrierestillstand und mangelhafte Leistungen in der „SS-Führerschule Dachau“, 1937
Im Frühjahr 1937, als seine erste Tochter mit zehn Jahren beim Jungmädelbund aufgenommen wurde, versetzte man den Familienvater von Wiesbaden nach Westerburg, etwa 15 Kilometer südöstlich von Hachenburg. In Westerburg sollte Haas ab dem 10. März den Führer des III. Sturmbanns der 78. Standarte ablösen, der beruflich genau die entgegengesetzte Entscheidung getroffen hatte. Er könne den Sturmbann nicht mehr führen, weil er „beruflich verhindert“ sei, und habe deswegen „um seine Enthebung gebeten“. 153Er entschied sich damit für seinen Beruf und gegen eine „Karriere“ in der SS – für Haas war das keine Option.
In seinem neuen Amtsgebiet griff Sturmbannführer Haas durch, im Sommer 1937 aber zunächst bei seinen eigenen Männern. Die katholische Gemeinde hatte im benachbarten Betzdorf, etwa 18 Kilometer nördlich von Hachenburg, eine Prozession durch die Straßen organisiert, bei der auch einige SS-Männer mitgelaufen waren. Das wurde im „Schwarzen Orden“ gar nicht gern gesehen, deren Führer die Kirche sowohl institutionell als auch moralisch als Konkurrenten sahen. Das machte auch das „Schwarze Korps“, das kirchenfeindliche Kampf- und Werbeblatt der SS, regelmäßig deutlich. Ob sie es denn nicht gelesen hätten, fragte Adolf Haas die SS-Männer, als er sie im Juli zu ihrer Teilnahme an der Prozession vernahm. „Weltanschaulich sind dieselben garnicht in Ordnung“, meldete Haas nach seinen ersten Verhören. 154„Zu retten ist an diesen nichts mehr.“ Seiner Meinung nach könne hier in dem betreffenden SS-Sturm nur „die rücksichtslose Ausmerzung aller schädlichen Elemente wieder Ordnung schaffen“. Nach vier weiteren Verhören empfahl er, zwei der SS-Männer, die „nicht mehr tragbar“ seien, aus der SS auszuschließen. Bei den anderen zwei schlug er vor, sie „gelinder zu bestrafen, da diese Beiden noch zu brauchbaren SS-Männern erzogen werden können bezw. nur unüberlegt oder aus Rücksicht auf die Angehörigen an der Veranstaltung teilgenommen haben“. Einer von ihnen hatte überzeugend behauptet, er habe sich längst über die Kirche „die richtige, nämlich nationalsozialistische Vorstellung darüber gemacht“ und sogar „meine Braut“ von „dem kath. Glauben fortgebracht“. So vorbildlich war nicht einmal sein vorgesetzter SS-Führer. Noch im August 1937 gab Adolf Haas an, er sei „evangelischer Konfession“. 155Erst seit Jahresende antwortete er auf die „Gretchenfrage“ mit „gottgläubig“, so wie es der Reichsführer-SS seit November 1936 wünschte, und überzeugte auch seine Frau, aus der evangelischen Kirche auszutreten. 156
Trotz seiner Mühen um die „rücksichtslose Ausmerzung aller schädlichen Elemente“ in der Allgemeinen SS, war die neue Stelle in Westerburg eine Sackgasse. Drei Jahre lang blieb Adolf Haas ohne Beförderungen. Seine „Karriere“, die so gut und schnell begonnen hatte, kam zum Stillstand. Wieso ?
Auf einem Sportlehrgang des SS-Oberabschnitts Rhein am 21. September 1937 erwarb er das SA-Sportabzeichen in Silber und damit auch automatisch die Prüfberechtigung für seinen Sturmbann. 157Besonders stolz konnte er darauf jedoch nicht sein. Das SA-Sportabzeichen galt in der SS als verhältnismäßig einfach, zumal es in der SA sogar Pflicht war. Bereits 1935 hatte Heinrich Himmler den dringenden Wunsch geäußert, jeder SS-Mann unter 50 Jahren solle diese Prüfung absolvieren, die natürlich vor allem vormilitärischen Charakter hatte. Ein paar Wochen nach dem Lehrgang notierten Haas‘ Vorgesetzte zudem, er habe „wenig Sport getrieben“ und sei „schwerfällig“. 158Sie stellten auch seine sonstigen Fähigkeiten Ende 1937 auf eine harte Probe. Man wollte sehen, ob er überhaupt für „höhere Dienststellen“ tauge. Immerhin stieg mit den Dienstgraden auch die Verantwortung, Kenntnisse an die untergebenen SS-Männer kompetent weiterzugeben. Bereits 1935, als Haas hauptamtlicher Führer wurde, hatte der SS-Oberabschnitt Rhein gemahnt: „Führer sein heisst Vorbild sein! Lehren bedingt eigenes Können.“ 159
Neben militärischen und wehrsportlichen Übungen stand vor allem die „weltanschauliche Schulung“ im Mittelpunkt der SS-eigenen Aus- und Fortbildung. „Sie durfte im Dienst keiner Einheit fehlen“, schreibt der Historiker Hans-Christian Harten. 160Später, während des Krieges, sei die SS-Ideologie der Kitt gewesen, der die verschiedenen Teile der SS zusammenhielt und aus ihr einen Bund der Täter formte. Ein zentraler, umfangreicher Schul- und Ausbildungskomplex war seit 1933 im nahen Umfeld des Konzentrationslagers München-Dachau entstanden – Himmlers „Modelllager“ für das KZ-System, sowohl für den Lageraufbau und die grausame Behandlung von Häftlingen als auch für den Drill der Wärter. 161Passend dazu eröffnete die Allgemeine SS auf Himmlers Befehl ab 1937 die „SS-Führerschule Dachau für Führer von Sturmbannen und Standarten“. 162Damit verbunden war eine Professionalisierung der Führungskultur. Für den ersten Lehrgang im Oktober sollten die Führer der SS-Oberabschnitte aus ihren Reihen Führer vorschlagen und für jeden eine „eingehende Beurteilung“ abgeben. 163Plötzlich war Schluss mit den frisierten Beurteilungen für Adolf Haas, mit denen seine Vorgesetzten ihn so schnell hatten aufsteigen lassen. Am 4. Oktober 1937 relativierte der Führer der 78. SS-Standarte als Erster die bisherigen Urteile:
„SS-Sturmbannführer Haas ist als Führer eines Sturmbannes im allgemeinen geeignet. Es hat sich jedoch erwiesen, dass er in der Führung eines ländlichen Sturmbannes besser ist. Im Schriftwechsel sind seine Leistungen nicht immer ausreichend; hier bedarf er dringend der Unterstützung schriftgewandter Referenten. Seine Verwendung in höheren Stäben oder überhaupt höheren Dienststellen ist nicht gegeben. Bei den wachsenden Anforderungen, die an einen SS-Führer gestellt werden müssen, wird jedoch in späterer Zeit auch seine Belassung in der jetzigen Dienststellung in Frage gestellt sein. Sein Können liegt im besonderen in der Beherrschung der Kommando-Sprache sowie im Exerzierdienst; sein Auftreten führt leicht zu einer Überschätzung seiner Person und seines Könnens.“ 164
Eine vernichtende Einschätzung. Der Führer des SS-Oberabschnitts Rhein stimmte dieser zu, gab aber Adolf Haas eine Chance, sich zu bewähren. 165„Als ich in der Standartenpost einen Brief vorfand, ‚Absender RFSS‘ [Reichsführer-SS], war mein Gedanken, was ist denn jetzt wieder los?“, erinnerte sich Haas später. „Seinen Inhalt, den ich zwei bis dreimal durchgelesen hatte, machte mir so langsam klar, daß ich nach München-Dachau in einen Kursus mußte.“ 166Am Sonntag, dem 10. Oktober 1937 kam er abends mit 29 anderen SS-Führern aus dem ganzen Reich in Dachau an. Er hatte ein „allgemeines Kasernenleben“ erwartet, „wie immer auf einem Lehrgang. Aber wir sollten uns sehr geteuscht haben. Denn wir fanden ein schönes neues Heim vor, wo wir uns sehr wohl fühlen konnten. Die Zimmer sehr sauber, alles neue Möbel. Wasser alles da. Und was ganz groß war, nur mit drei Mann belegt.“ Am nächsten Tag ging es los.
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