Elsbroek
Querschädel, Regenlöcher, Schlodderkappes
Ulrich Elsbroek
Querschädel, Regenlöcher,
Schlodderkappes –
wie das Münsterland wirklich ist.
Nebst Kommentaren, Einwürfen und Widerreden der
Annette von Droste-Hülshoff.
Ulrich Elsbroek ist Germanist, lebt seit 1990 in Münster und arbeitet als Texter für Werbung und Öffentlichkeitsarbeit. Im Jahre 2007 hat er sein erstes Buch, den Kriminalroman »Tatort Skulpturenausstellung«, herausgegeben.
Weitere Informationen: www.elsbroektexte.de
© Oktober Verlag, Münster 2010
Der Oktober Verlag ist eine Unternehmung des Verlagshauses Monsenstein und Vannerdat OHG, Münster
www.oktoberverlag.de
Alle Rechte vorbehalten
Satz: Linna Grage
Umschlag: Tom van Endert
unter Verwendung eines Fotos von kallejipp/photocase.com
Herstellung: Monsenstein und Vannerdat
ISBN: 978-3-941895-05-8
eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net
Meinen Eltern
Liebe Leserin und lieber Leser,
kaum in unseren Landstrich hineingeboren, werden uns unsere Eigenheiten um die Ohren geschlagen: Stur seien wir, heißt es. Dauernd regne es, heißt es. Und noch immer künde der Kiepenkerl vom Wesen echten Münsterländertums.
Gut, dachte ich, gehe ich den Dingen auf den Grund. Was ist typisch münsterländisch und was nicht? Immer mit dabei: Unsere Nationaldichterin Fräulein Nette, die – ganz münsterländischer Querschädel – jeden meiner Texte auf ihre sehr eigene Art begleitet.
Ein Buch mit mal überraschenden, mal amüsanten, aber immer interessanten Fakten.
Viel Spaß bei der Lektüre!
Ein Querschädel vor dem Herrn.
Volkscharakter
Pumpernickel, nich Swatbraut.
Münsterländer und Westfalen
Zwei Seelen – ach! – in unserer Brust.
Münsterland und Christentum
Von Gedichten und Wurstbändern.
Münsterländisches Platt
Heimlich ins Wunderland der Poesie.
Märchen und Sagen
Warum wir immer Recht haben.
Das Zweite Gesicht
Der Seufzer des Chigi.
Münsterländisches Wetter
Im Schutze der Kreide.
Topographie des Münsterlandes
Herthas Dank.
Münsterländische Parklandschaft
Münsterland-Shuttle auf Beinen.
Kiepenkerl
Der Nutzen des Liäpels.
Essen und Trinken
Künstler qua Geburt.
Literatur und Kunst
Der Westfale als Tier.
Pferdehochburg Münsterland
Auf- und Abstiege.
Burgen und Schlösser
Dichtung und Wahrheit.
Epilog
Nachweise
Ein Querschädel vor dem Herrn
Volkscharakter
Götz Alsmann und Günther Jauch zum Trotz – wir Münsterländer sind stur und gehen zum Lachen in den Keller. Dieser unausrottbare Charakterzug hat – keine Frage – mit unserem Gründungsmythos zu tun.
Ohne Scherz – bei uns geht folgende Sage vom ersten aller Münsterländer: Als der liebe Gott und Petrus durch das Münsterland kamen, sahen sie, dass dort keine Menschen lebten. Da legte Petrus ein gutes Wort ein und sagte zu Gott, er solle für diesen Landstrich doch auch einen Menschenschlag schaffen. Wie zufällig lag da gerade eine alte Eichenwurzel auf dem Boden. Da stieß der liebe Gott mit seinem Fuß dran und sprach dabei: »Werde Mensch!« Da wurde der Knubben lebendig, rieb sich die Augen und fragte dann: »We stödd mi dao?«, was im Hochdeutschen auch nicht wirklich sympathischer wirkt: »Wer stößt mich da?«
Da haben wir in einem Fragesatz alles zusammengefasst, was uns ausmacht: Der Münsterländer ist trocken, humorlos, ziemlich kurz angebunden und ein Querschädel vor dem Herrn. Dieser, wie unsere Dichterin sagt, »Charakter von bald beschaulicher, bald in sich selbst arbeitender Abgeschlossenheit«; dieses, wie der Reiseführer von 1977 sagt, »herbe, verschlossene Wesen«; diese, wie der Auswärtige sagen würde, offenbare Raubauzigkeit – ja, sie zeichnet uns Münsterländer seit jeher aus.
Als die beiden Ewalde – zwei angelsächsische Missionare – um das Jahr 690 auf dem Weg in unser Siedlungsgebiet waren, um vor den Eingeborenen vom neuen christlichen Glauben zu künden, wurden sie ohne viel Federlesens erschlagen. We stödd mi dao? Als gegen Ende des 8. Jahrhunderts der Welschenkönig Karl der Große einen weiteren Versuch startete, uns zum christlichen Glauben zu bekehren, haben wir – We stödd mi dao? – immer wieder Aufstände angezettelt und dem Frankenherrscher immerhin über 30 Jahre gezeigt, was eine sächsische Harke ist. Und als im 16. Jahrhundert einige niederländische Eiferer die lendenlahmen, weil christlich gewordenen Münsterländer mit frischen Ideen und Vielweiberei aufmischten, war es ihnen auch wieder nicht recht. Die Wiedertäufer wurden mit glühenden Zangen öffentlich zu Tode gefoltert. We stödd mi dao?
So war er immer, der Münsterländer, und so wird er immer sein. In welcher Zeit er auch lebt – aus seinen derben, kartoffelfarbenen Klamotten, aus seinen Augen, ja aus seiner ganzen Haltung lugt der sture Knochen. Von 1000 offenliegenden Möglichkeiten, ein Problem zu lösen, ist ihm immer nur die eine präsent: die mit dem Kopf durch die Wand. Seine Gesichtszüge sind – wie das Wetter im Allgemeinen – wolkenverhangen. Seine Mundwinkel folgen konsequent der Anziehungskraft der Erde. Wenn sich zwei Münsterländer begegnen, zeigt sich die höchste Form freudigen Begrüßens in der Andeutung eines Kopfnickens. Sind sich umgekehrt zwei Münsterländer spinnefeind, so bedenken sie sich gegenseitig mit einem nur leicht wahrnehmbaren, dumpfen Murren, das irgendwo zwischen Brustkorb und Kehlkopf stecken bleibt. Sie sehen: Da der Münsterländer an sich kein Mensch großer Worte ist, benötigte er im Grunde keinen Mund, wenn ihn die Evolution – ebenfalls ein sturer Knochen – dem Münsterländer an sich nicht mitgegeben hätte. So hat dieser nun mal einen Mund und nutzt ihn vornehmlich zur Aufstellung goldener Worte, die – wie in die sprichwörtliche münsterländer Eiche geschnitzt – sein Grundverhältnis zur Welt beschreiben, wie etwa: »Wat mot, dat mot« – vulgo: »Was sein muss, muss sein«.
Wer möchte, findet Bestätigung bei unserer Nationaldichterin, die sich selbst einmal als »widerhaarige Natur« bezeichnete. Alle Gepflogenheiten durchbrechend, sucht sie schon nach 7 Monaten das Licht der Welt, verwehrt sich mit 17 Jahren gegen die Bezeichnung »kleine Nette«, disputiert Verwandte wie Bekannte schwindlig, so dass sogar der große Wilhelm Grimm ärgerlich feststellte, dass mit dem jungen Reichsfräulein nicht gut fertig zu werden sei, nimmt es mit den Männer-dominierten Rollenvorgaben ihrer Zeit ebenso auf wie mit dem lieben Gott, bis sie gegen Ende ihres Lebens feststellt: »… es mag mir mitunter schaden, daß ich so starr meinen Weg gehe«.
Diese letzte Aussage war freilich dem Umstand geschuldet, dass der münsterländische Schriftsteller Levin Schücking, der wenige Jahre zuvor der innige, wenn auch platonische Geliebte von Fräulein Nette war und sich um die Veröffentlichung ihrer Gedichte kümmerte, sich schon mal die Freiheit herausnahm, an ihren Werken eigenmächtig Änderungen vorzunehmen. Das konnte das poetische Fräulein nicht dulden.
Man könnte diese Reaktion der Droste einerseits als durchaus verständlich durchgehen lassen, wenn sie sich andererseits nicht so wunderbar ins einmal gepinselte Bild vom sturen, eigensinnigen Münsterländer einfügte. Deshalb bleiben wir bei dem einmal gefassten Urteil: Der Münsterländer ist trocken, humorlos, ziemlich kurz angebunden und ein Querschädel vor dem Herrn.
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