Und damit basta!
Pumpernickel, nich Swatbraut
Münsterländer und Westfalen
Um ganz ehrlich zu sein: Der Mythos von der Erschaffung des ersten Münsterländers ist nur eine Geschichte – eine schöne, aber ausgedachte Geschichte. Und es geht mir nicht wirklich gut damit, wenn ich Ihnen ein weiteres Geheimnis verraten muss: Wir Münsterländer sind eigentlich keine eigene Spezies. Wir sind – nun ja – Westfalen.
Wer sind sie aber, diese Westfalen? Woher stammen sie?, so fragen wir uns und suchen die Antwort bei einer Dichterin, die zumindest in einer Hinsicht zwar nicht von den Jägern, aber umso mehr von den Sammlern abzustammen scheint. Was sie nicht alles mit großer Leidenschaft zusammenklaubte: »Mineralien, Versteinerungen, Muscheln, römische Münzen, geschnittene Steine, Pasten, geschliffene Edel- und Halbedelsteine, geschnitzelte Sachen in Elfenbein Holz et cet, auch allerley, meistens kleine, alte Kupferstiche, – ausgegrabne Urnen, Lampen et cet«, wie sie begeistert ihrem Onkel Carl von Haxthausen schrieb.
Aber um auch das noch zu verraten: Natürlich stammen wir nicht von den Jägern und Sammlern ab, zumindest nicht unmittelbar. Zwar schauten auch sie mal in unseren Landstrich hinein. Aber sie wollten – wie auch andere Völkerschaften – nicht auf Dauer bleiben. Das änderte sich erst mit dem 2. nachchristlichen Jahrhundert. Zu dieser Zeit begann das kleine Völkchen der Sachsen im südlichen Holstein zusehends unruhig zu werden und den Blick auf Landmassen zu richten, die der Eroberung harrten.
Mit großem Erfolg. Gegen Ende des 7. Jahrhunderts hatten wir Schwertgenossen nahezu den gesamten heutigen nordwestdeutschen Raum – von Arnheim im Westen bis Magdeburg im Osten, von Marsberg im Süden bis zur Nordseeküste – besiedelt. Damit fing aber der Ärger erst an. Denn aufgrund des Expansionsdranges waren die bald einsetzenden Auseinandersetzungen mit den weiter südwestlich siedelnden Franken nahezu unvermeidlich. Weit vor Karl dem Großen beginnend, kulminierten sie unter seiner Regentschaft. Wie sich dieser Lump erdreistete, unser Nationalheiligtum, die Irminsul, zu zerstören! Wie er bei Verden über 4500 meiner Landsleute massakrierte! Angesichts der offenbaren äußeren Bedrohung differenzierten wir uns zu den drei sächsischen Teilstämmen Ostfalen, Engern und Westfalen aus, die je nach Schlachtenglück Frieden mit Karl schlossen, Kriege erklärten, Frieden schlossen ... und so weiter und so weiter, bis wir alle den christlichen Glauben annahmen und uns ins große, mächtige Frankenreich eingliedern ließen.
Der Begriff »Westfalen« wurde zum ersten Mal im Jahre 775 in den fränkischen Reichsannalen erwähnt. Damit war er in die Welt entlassen und suchte fortan nach Bestätigung auf historischer Bühne. Mit nicht wirklich nachhaltigem Erfolg. Sicher: Er wabert immer wieder als landsmannschaftliche Zuordnung durch die Weltgeschichte, aber nur selten verdichtet sich das Stammesgebiet der Westfalen zu einer politischen Einheit. Das sich seit Ende des 12. Jahrhunderts herausbildende Herzogtum Westfalen blieb nur ein kleiner Flecken im Sauerländischen. Auch das 1807 von den Franzosen gegründete Königreich Westphalen konnte uns nur schwerlich überzeugen, schon weil es uns Münsterländer weitgehend ausschloss. Erst die preußische Provinz Westfalen – infolge des Wiener Kongresses (1814/15) auf die historische Bühne geholt – brachte Stammesgebiet und politische Verwaltung so einigermaßen in Deckung – allerdings unter fremdherrschaftlichem Vorzeichen. Seit 1946 befinden wir mürrischen Westfalen uns in eheähnlicher Gemeinschaft mit den Frohnaturen vom Nordrhein.
Der Befund wird deutlich: Das, was wir im politischen Sinne als Westfalen bezeichnen, hat sich als nicht sonderlich resistent gegenüber den Wechselfällen der Geschichte erwiesen. Das mag ein Grund dafür sein, dass wir Münsterländer unsere Identität schon frühzeitig an etwas ausgerichtet haben, das kein flüchtiges Ereignis ist, sondern wirklich Bestand hat: das Münsterland! Denn das Münsterland ist klar definiert! Das Münsterland gibt keinen Anlass zu Missverständnissen! Das Münsterland ist immer und ewig!
Kein Wunder also, dass wir mit einem besonders stark ausgeprägten Regionalpatriotismus gesegnet sind. Lauschen wir hierzu ein weiteres Mal der größten aller Dichterinnen, die in ihrem Prosawerk »Bei uns zu Lande auf dem Lande« mit einem bemerkenswerten Syllogismus aufwartet: »Ich bin ein Westphale und zwar ein Stockwestphale, nämlich ein Münsterländer.« Damit ist die Beziehung zwischen dem Münsterländer einerseits und dem Westfalen andererseits ein für alle Mal geklärt. Wir sind das Original, die anderen das Surrogat. Wir sind das Pumpernickel, die andern nur Swatbraut.
Wenn Sie – verehrte Leserin, verehrter Leser – dieses Verhältnis einmal in diesem Sinne verinnerlicht haben, verstehen Sie die Bedeutung der folgenden Sätze für uns Münsterländer. Der im münsterländischen Laer geborene und nachmalig in Köln als Kartäuser-Mönch weilende Werner Rolevinck kommt in seinem um das Jahr 1474 veröffentlichten »Westfalenlob« zu Aussagen, die in die sprichwörtliche münsterländische Eiche geritzt und deshalb für die Ewigkeit gemacht sind. Die Westfalen seien »starkgebaute, kerngesunde schöne Gestalten, als wenn sie vom Tau des Himmels sich ernährten«. Ein Riesenlob für die Westfalen, gewiss. Aber welch unvergleichlich größeres für uns, die Pumpernickel! Da lesen wir doch gerne weiter – so etwa, dass sie, die westfälischen Männer, unvergleichlich wertvoller seien »als alle Tiere und andere Schätze, wertvoller als alle Erzeugnisse zum Lebensunterhalt der Menschen. Und solche Menschen hat Westfalen seit unvordenklichen Zeiten in solcher Menge, daß ich kein Land in der ganzen Christenheit wüßte, das in dieser Hinsicht mit unserem Westfalenland sich messen könnte«.
Ich denke, jetzt haben Sie den richtigen Eindruck von uns Münsterländern erhalten. Damit möchte ich meine Ausführungen über das Verhältnis von Pumpernickel und Swatbraut mit einem sehr beschwingten Gefühl beenden.
Zwei Seelen – ach! – in unserer Brust
Münsterland und Christentum
Der einzige Führer, dem wir uns je mit Haut und Haaren verschrieben haben, der in unseren Sagen weiterlebt und bis heute unser Herz wärmt, ist der Sachsenherzog Widukind. Aus ganz besonders hartem Holz geschnitzt, hat er sich mit List und – wie hier bereits mehrfach erwähnt – mit einer gewissen, in unserem Landstrich nicht unüblichen Halsstarrigkeit immer wieder den Unterwerfungsversuchen Karls des Großen widersetzt.
Der mittlerweile bekannte Kartäuser-Mönch Werner Rolevinck schreibt, dass unser Herzog der härteste aller Gegner war, mit dem der Frankenkönig je zu tun gehabt habe: »Widukind war der tapferste Gegner Karls. Unermüdlich war er tätig, und kein anderer unter der Sonne hat dem König so schwer zu schaffen gemacht wie er.« Natürlich schwillt dir vor Stolz die Brust, wenn so von deinem Fürsten gesprochen wird. Einerseits.
Andererseits fangen damit unsere Probleme erst an, die wir Nachfahren mit ihm haben. Denn emotional ganz auf der Seite des sächsischen Heiden stehend, müssen wir, die christlich Nachgeborenen, moralisch der Seite des Sachsenschlächters Karl zuneigen, der am Ende unsere Vorfahren unter das Dach eines Großreiches mit christlicher Staatsreligion zwingen konnte. Das ist der Grund, warum wir in unseren Sagen mit sehr gespaltener Zunge von unserem Fürsten singen: Einerseits loben wir den enormen Widerstand und die herrlichen Großtaten unseres Herzogs, deren größte andererseits darin bestand, klein beizugeben und sich dem christlichen Glauben zu unterwerfen. Kein Wunder, dass der äußerst grausam geführte Krieg Karls gegen die Sachsen im Nachhinein in einem sehr milden Licht erscheint.
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