Die Frage, die Al Ghul für Bruce Wayne darstellt ist: Du, mit deinem Gewissen, deinem Respekt für das Leben, ist dein Wille zu schwach, hast du zu viel Angst, um zu tun, was nötig ist? Kannst du handeln? Wayne muss sich entscheiden: Ist Al Ghul, was er zu sein vorgibt, ein eiskaltes Instrument der unpersönlichen Gerechtigkeit, oder ist er eine groteske Parodie? Das ultimative Böse wurzelt im Film schließlich in Ghuls übermäßigen Eifer, nicht in irgendeinem merkwürdigen Diabolismus oder einem psycho-biographischen Zufall. 85
In dieser Hinsicht ist Batman Begins der Film, von dem Žižek dachte, dass es Star Wars: Episode III – Die Rache der Sith hätte sein können: ein Film, mit anderen Worten, der sich traut, die These aufzustellen, dass das Böse aus einem Exzess des Guten entsteht. Für Žižek hätte »Anakin [Skywalker] aufgrund seiner exzessiven Berührung mit dem Bösen überall ein Monster werden und das Böse bekämpfen sollen«, aber
»[a]nstatt sich auf Anakins Hybris zu konzentrieren, als das überwältigende Verlangen, einzugreifen und Gutes zu tun, für diejenigen, die er liebt bis ans Ende zu gehen und zur dunklen Seite überzutreten, wird Anakin einfach als ein unentschiedener Kämpfer gezeigt, der langsam in das Böse abgleitet, indem er der Versuchung der Macht nachgibt und unter den Bann des bösen Herrschers gerät.« 86
Parallel zu Žižeks Lesart von Revenge of the Sith , verdoppelt sich die Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Vater – wer ist eigentlich der Vater? – in Batman Begins durch die bedrohliche (Omni)Präsenz des Finanzkapitals und das Problem, was dagegen getan werden könnte. In Batmans Universum ist »der Name des Vaters« – Wayne – natürlich auch der Name eines kapitalistischen Unternehmens. Die Übernahme von Wayne Industries durch die Aktionäre bedeutet, dass Thomas’ Name gestohlen wurde. Folglich ist Bruce Waynes Kampf gegen das Finanzkapital zugleich zwangsläufig ein Versuch, den in den Schmutz gezogenen Namen seines Vaters wieder reinzuwaschen. Da Wayne Industries das Herz der Stadt ist – wörtlich und im übertragenen Sinne – ist auch Gotham verflucht wie Theben durch die Sphinx. Die Infrastruktur liegt in Trümmern, die Zivilgesellschaft zerfällt, Gotham ist fest im Griff der Krise und einer Welle von Verbrechen, wobei beide dem neuen, räuberischen, entterritorialisierten Kapital zugeschrieben werden, das nun die Kontrolle über Wayne Industries hat. Die Auswirkungen des Finanzkapitals bekommen im Narrativ des Films durch den wohlmeinenden und von dem neuen Regime degradierten Lucius Fox (einem weiteren Kandidaten für die Figur des Vaters) 87eine persönliche Note. Die Implikation ist, dass die elenden Zustände nur verbessert werden könne, wenn der Name des Vaters wieder ins Recht gesetzt wird.
In der Rolle, die der Kapitalismus in Batman Begins spielt, ist der Film bemerkenswert widersprüchlich. Teilweise hat dies mit dem Versuch zu tun, das Narrativ der 1930er Jahre in ein Gewand des 21. Jahrhunderts zu zwängen: Die Verweise auf die Wirtschaftskrise sind ein deutliches Echo der Dreißiger und bilden eine Disjunktion zur heutigen USA, die eine nie dagewesene Phase des ökonomischen Erfolges erlebt. Wie der Kapitalismus selbst – jenes »kunterbunte Gemälde von alldem, was geglaubt worden ist« (Deleuze/Guattari) –, ist auch Nolans Gotham ein Mischmasch aus Mittelalter und jüngster Gegenwart, aus Amerika, Europa und der Dritten Welt. Es ähnelt zugleich den Wolkenkratzern des Expressionismus und den Favela -Feldern des Cyberpunk 88: Der Albtraum des alten Europa explodiert im Herzen des amerikanischen Metropolis.
In einer faszinierenden Lektüre von Batman Begins erklärt China Miéville, das der Antikapitalismus des Films letztlich ein Plädoyer für den Faschismus enthält. Der Film, schreibt Miéville,
»handelt von der Selbsterkenntnis des Faschismus und der einzige Kampf, den er durchmacht, ist die Anerkennung seiner eigenen Notwendigkeit. Batman Begins plädiert für eine Ära der absolut(istisch)en Unternehmen gegen die ›postmoderne‹ soziale Diffusion des Aktienkapitals (die hier im Sinne einer Unternehmenslogik der alten Schule als eine Art Schwäche gesehen wird), ganz zu schweigen von der Dummheit der wohlmeinenden, liberalen Reichen, die nicht verstehen, dass ihr Wunsch, mit den Armen und der Arbeiterklasse zu reisen, die ›Ursache‹ der sozialen Konflikte darstellt, weil der Reiche in sein Schloss gehört und der Arme vor das Tor, und weil die Auflösung dieser Grenzen die tierischen Instinkte der Schafherde verwirrt. Der Film sagt ziemlich deutlich (offenkundig, wenn man das Hochbahn-Setting betrachtet, in einem Dialog mit Spi derman 2 , einem dummen aber gutmütigen Film, der glaubt, dass alle Menschen im Grunde vernünftig sind), dass die Massen gefährlich sind, außer man zwingt sie zum Gehorsam (Spidey gehört auch zu den Massen – sie nähren ihn und passen auf, dass es ihm gut geht; Batman ebenfalls –, die Massen sind ein mörderischer, animalischer Mob, weil sie im Grunde ›nicht genug Angst haben‹). Die letzte Möglichkeit, diese soziale Katastrophe zu ›lösen‹ besteht […] in der Zerstörung des Massentransportsystems, das alles ruiniert hat, indem es im wörtlichen Sinne, die Armen erhoben und auf eine Stufe mit den Reichen gestellt hat: Wenn beide zusammen reisen, ist der sozialdemokratische Wohlfahrtstaat im Gegensatz zur Trickle-Down-Ideologie ein schöner Traum, führt aber zum gesellschaftlichen Zusammenbruch und vergisst den Terrorismus, der Transportsysteme durch den Himmel in große Gebäude inmitten von an New York erinnernden Städten jagt – 9/11, verursacht von der Krise der ›exzessiven Solidarität‹ und der Arroganz der Massen, die ›nicht genug Angst vor ihren Hirten haben‹. Alles in allem ist es ein Film, der darauf beharrt, dass soziale Stratifikationen notwendig sind, um Tragödien zu verhindern und dass sie durch Terror gegenüber dem Plebs instandgehalten werden müssen, den großen Unternehmen zuliebe, die bei einem Happy End […] wieder in den Händen eines einzelnen, aufgeklärten Despoten landen, Hurra, der uns vor der Verwüstung des gesellschaftlichen Konsenses rettet.« 89
Ohne Zweifel stellt der Film das Finanzkapital als ein Problem dar, das durch die Rückkehr des re-personalisierten Kapitals gelöst wird, worin der »aufgeklärte Despot« Bruce die Rolle des toten Thomas einnimmt. Ebenso klar ist, wie wir gesehen haben, dass Batman Begins unfähig ist, sich eine Alternative zum Kapitalismus vorzustellen und stattdessen eine nostalgische Reise in frühere Formen des Kapitalismus empfiehlt. (Eine der strukturgebenden Phantasien des Films besteht in der Idee, dass Verbrechen und soziale Desintegration ausschließlich Produkte kapitalistischen Scheiterns sind, statt unvermeidbare Begleiterscheinungen kapitalistischen »Erfolges«.)
Und dennoch müssen wir zwischen dem unternehmerischen Kapitalismus und dem Faschismus unterscheiden, und sei es nur, weil der Film es auch tut. Die faschistische Option repräsentiert nicht Wayne/Batman, sondern R’as al Ghul. Es ist Ghul, der die totale Zerstörung von Gotham plant, das er als unrettbar korrupt ansieht. Waynes Sprache ist nicht die Sprache von Erneuerung durch Zerstörung (und hier finden sich der Kapitalismus á la Schumpeter und der Faschismus, die ansonsten weit voneinander weg sind, ganz nah beieinander), sondern von philanthropischer Verbesserung. (Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die Massen, die Batman verfolgen und auslöschen wollen, in einem pointierten Verweis auf Romeros Living Dead -Filme, unter dem Einfluss von Scarecrows »Halluzinogenwaffe« stehen, auch wenn uns dieses Bild der Massen mehr über das politische Unbewusste der Filmproduzenten sagt als über die Massen selbst.)
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