Mark Fisher
k-punk
Ausgewählte Schriften 2004-2016
Mit einem Vorwort von Simon Reynolds
Aus dem Englischen von Robert Zwarg
FUEGO
- Über dieses Buch -
Die meisten Schriften des 2017 verstorbenen Mark Fishers wurden nicht in Büchern, Zeitungen oder akademischen Journalen publiziert, sondern auf seinem Blog k-punk. Hier entwarf und perfektionierte Fisher seine originäre, an der Gegenwart und ihren kulturellen Artefakten orientierten, radikalen und kompromisslosen Theorie. Sowohl ein Roman J.G. Ballards oder Margaret Atwoods, Hollywood-Produktionen wie Batman Begins und Avatar , als auch ein Album von James Blake oder The Cure konnten Fisher gleichermaßen ein Anlass sein, darüber nachzudenken, ob nicht alles ganz anders sein könnte – oder warum es in Zeiten des kapitalistischen Realismus so schwer ist, sich dieses Andere vorstellen. Der Band versammelt eine Auswahl der sich auf Literatur, Musik, Film, Fernsehen und Politik aufspannenden Beiträge, die zwischen 2004 und 2016 mehrheitlich auf k-punk erschienen sind.
Pressestimmen
» k-punkist kein gewöhnliches Sachbuch, es beruht zum Großteil auf Fishers Beiträgen zu seinem gleichnamigen Blog … Das Format ist insofern am ehesten mit Wolfgang Herrndorfs ebenfalls nach dem Suizid des Autors veröffentlichten ›Arbeit und Struktur‹ vergleichbar. Für beide gilt, dass sie sich sehr gut immer wieder zur Hand nehmen lassen und nicht am Stück gelesen werden müssen.« (Johannes Creutzer, konkret )
»Seine Schriften sind hellsichtig und wie eine Offenbarung, da er mit Literatur, Musik und Kino auf vertrautem Fuß stand und mühelos deren innere Geheimnisse enthüllt.« (VICE)
»Das Buch sprüht vor Kampfeslust, es erfrischt. Fishers Faible für das Seltsame und Gespenstische, das Mäandern von David Bowie zu The Cure macht einfach Spaß.« (Gerlinde Pölsler, Falter, Wien)
»Wer sich auf die keinesfalls zur leichten Fünf-Minuten-Lektüre gedachten Kurzessays einlässt, erlebt einen gewaltigen Input, der zugleich zum Mit- und Weiterdenken anregt.« (Frank Schäfer, Good Times )
»Der beste kulturwissenschaftliche Autor seiner Generation.« (Los Angeles Review of Books)
Das Merkwürdige ist, dass ich mit Marks Denken schon vertraut war, lange bevor ich ihn das erste Mal traf. Im Grunde kannte ich ihn, bevor ich von ihm wusste.
Lass mich das erklären. 1994 schrieb ich einen Artikel für Melody Maker über eine sehr konzeptuelle Band aus Manchester namens D-Generation, bei der Mark spielte. Aber am Telefon hatte ich immer nur mit jemandem anderen gesprochen, mit Simon Biddell. Weil mich die Ideen der Band so interessierten, kam es mir nicht mal in den Sinn, meine ganz normale journalistische Arbeit zu machen und zu fragen, wer noch in der Band ist. Gut ein Jahrzehnt später, als er mir schüchtern die Geschichte in einer E-Mail offenbarte, habe ich erfahren, dass ich im Grunde über Mark geschrieben hatte. Und tatsächlich, als ich den vergilbten Artikel wieder gefunden hatte – da waren sie, D-Generation als »Band der Woche« in der »Advance«-Spalte von Melody Maker , Mark genau in der Mitte des Fotos: seine Frisur eine Art Madchester-mäßiger Bob, seine Augen, die in äußerster Intensität suchend und unheilvoll den Leser anstarren.
D-Generation war eine dieser Bands, die Wasser auf die Mühlen der Musikpresse waren, eine Goldgrube für eine bestimmte Art Kritiker: Der konzeptuelle Rahmen war bissig und provokativ, der Sound hing dem Konzept ein bisschen hinterher. Wenn ich den Artikel heute noch einmal lese und seit vielen Jahren einmal wieder D-Generations EP Entropy in the UK höre, stelle ich fasziniert fest, wie viele der Elemente, auf die sich Mark immer wieder beziehen sollten, bereits vorhanden waren. In gewisser Weise steht Punk im Mittelpunkt seiner Weltsicht: D-Generation beschreiben ihre Musik als »Techno, der vom Geist des Punks verfolgt wird« (im wahrsten Sinne des Wortes, zum Beipiel in dem Song »The Condition of Muzak«, wo es ein Sample von Johnny Rottens Abschiedsworten am Ende der Show im Winterland 1978 gibt – »Habt ihr manchmal das Gefühl, verarscht zu werden?« – und sein bitteres, höhnisches Lachen dann in ein Riff übergeht). Es gibt die Hass-Liebe zu England: Hass auf die rüstige, kunstlose und antiintellektuelle Seite des Nationalcharakters (in »Rotting Hill« wird ein Satz aus der Filmversion von Glück für Jim gesampelt: »Das gute alte England? England war niemals gut!«), Liebe zu jener dunklen, künstlerischen, devianten Tradition, zu der The Fall, Wyndham Lewis und Michael Moorcock gehören (die alle in den Pressematerialien von D-Generation erwähnt werden). Außerdem gibt es einen frühen Beweis für Marks Verachtung für Retro: Der Song »73/93« nimmt sich das vor, was D-Generation die »Nostalgie-Verschwörung« nennen. Und es gibt sogar flackernde, ektoplasmatische Vorzeichen der Hauntology, jener Musik-, Denk- und Gefühlsströmung des 21. Jahrhunderts, über die Mark so fesselnd geschrieben hat.
Jenseits dieser Details ist aber auch die Struktur des Zusammentreffens erhellend und paradigmatisch. Da ist ein Musikjournalist (in dem Falle ich), der hungrig nach einer Band mit Ideen sucht, der schließlich eine findet (in diesem Fall, D-Generation) und mit diesen Musikern, die selbst wie Kritiker denken, eine symbolische Allianz eingeht. So funktionierte Mark, wenn es um etwas anderes als Spaltung ging. Seine produktive Zusammenarbeit mit Burial, The Caretaker, Junior Boys und anderen Künstlern war im Grunde eine sich gegenseitig intensivierender Feedbackschleife zwischen dem Musiktheoretiker und dem Musikproduzenten. Die Grenze zwischen beiden Praktiken löste sich auf. Kritiker und Musiker trugen gleichermaßen zum Gesamtbild bei und trieben es in einer Dialektik des Vorstoßes, der Reaktion, des Ausweichens und des Zusammenstoßes voran.
Mark Fisher ist mit der britischen Musikpresse der Achtziger großgeworden (vor allem New Music Express ), später wurde er angetrieben von dem, was in den Neunzigern davon noch übrig war (vor allen Melody Maker und Wire ); vielleicht war er der letzte Vertreter einer verschwindenden Gattung: der Musikkritiker als Prophet. Seine wichtigste Aufgabe bestand darin, die avancierteste Kunst zu finden und in ihrem Namen zu missionieren, während man zugleich die Laserstrahlen der Negativität auf alles richtet, wo falsch abgebogen wurde, um Raum zu schaffen für die wahre Musik unserer Zeit. Dieser messianische Musikkritiker lobte nicht nur waffenstark das Neue und Radikale, sondern er stellte die Musik auch vor große Herausforderungen – genauso wie die Hörer und Leser.
Fisher wurde der beste Musikautor seiner Generation. Aber das ist nur ein Gebiet, auf dem er Erfolg hatte. Brillant schrieb er über alles, was sich in der Nähe der Populärkultur befand: Fernsehen, Science-Fiction, Mainstream-Filme (vor allem die Pulp-Seite des Spektrums – es hat mich immer fasziniert, wie Mark sich irgendwelche Sachen wie 2005 das CGI-Spektakel King Kong ansah, einfach um zu schauen, ob sich zufällig nicht doch etwas retten lässt, etwas, das er für sein Konzept des »Pulp-Modernismus« brauchen kann). Auch über Hochkultur konnte Mark fesselnde Texte schreiben – bildende Kunst, Fotografie, Literatur, Kunstkino. Und er schrieb eindrücklich über Politik, Philosophie, geistige Gesundheit, das Internet und soziale Medien (die Phänomenologie des digitalen Lebens – die spezifischen Effekte der vernetzten Einsamkeit und der abgelenkten Langeweile). Vor allem aber schrieb Mark oft über viele – manchmal alle – diese Dinge zugleich. Er stiftete Verbindungen zwischen weit auseinanderliegenden Feldern, zoomte heran, um aufmerksam ästhetische Details zu betrachten, zoomte heraus, um die größtmögliche Perspektive zu haben, Mark konnte Metaphysik in einer Fernsehserie wie Sapphire & Steel entdecken, psychoanalytische Wahrheiten in einem Joy-Division-Song, politische Schwingungen im Gewebe eines Burial-Albums oder eines Kubrick-Films. Sein Thema war das menschliche Leben (obwohl er sich selbst weder als Humanist noch als Vitalist verstand). Die Ambition war riesig; der Blick umfassend.
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