Dass die republikanischen Delegierten den Text Warum ich Ronald Reagan ficken möchte offenkundig als echt akzeptierten, ist zugleich schockierend und eigentümlich vorhersagbar, und tatsächlich zeugen beide Reaktionen von der Kraft Ballardscher Literatur, die aber ebenso wenig in seiner Fähigkeit gründet, die bestehende Wirklichkeit mimetisch zu reflektieren, wie darin, sie phantasievoll zu transzendieren. Vielmehr kreiert Ballard, in den Worten Iain Hamilton-Grants einen »Realismus der Hyperrealität«, eine homöopathische Teilnahme an der medieninduzierten Kybernetisierung der Wirklichkeit im Spätkapitalismus. Der Schock entsteht, wenn wir uns die (scheinbar) radikale Abweichung von Ballards Text vor Augen führen. Warum ich Ronald Reagan ficken möchte ist, wie vieles in Die Schreckensgalerie , vor allem gegen Ende des Romans, der Bericht eines Zuschauerexperiments über die Resonanz auf Medieneindrücke.
»Ronald Reagan und das konzeptuale Autounglück. An paretischen Patienten wurden zahlreiche Untersuchungen durchgeführt, in denen Ronald Reagan in einer Reihe von simulierten Autounfällen erschien – z.B. Massenkarambolagen, Frontalzusammenstößen usw. Dabei zeigten die Patienten ein starkes Interesse an imaginären Anschlägen auf das Leben des Präsidenten und eine deutlich polymorphe Fixierung auf Windschutzscheiben und rückwärtige Wagenpartien. Das Image des Präsidentschaftskandidaten löste starke erotische Phantasien von anal-sadistischem Charakter aus.« 7
Doch diesem Schock steht ein Gefühl der Vorhersagbarkeit entgegen, das durch die coole Eleganz von Ballards Simulationen entsteht. Der technische Stil seiner Sprache – die Unpersönlichkeit und der Mangel an Emotionalität – neutralisiert oder normalisiert das vermeintlich unzumutbare Material. Handelt es sich bei dieser Simulation der Operationen von Hyperkontrollagenturen um Satire oder machen ihre Aktivitäten – und das ganze kulturelle Feld, zu dem sie gehören – Satire überhaupt unmöglich? Was ist eigentlich das Verhältnis zwischen Simulation und Satire? Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir Ballards Text mit anderen, wirklich »satirischen« Texten vergleichen. Doch zuvor sollten wir uns kurz Jamesons Kommentar zur Ablösung der Parodie durch den Pastiche in Erinnerung rufen.
Dies ist nicht der Ort, um sich eingehend den Unterschieden von Parodie und Satire zu widmen; wir gehen von der Annahme aus, dass, worin auch immer diese Unterschiede bestehen, es genügend Gemeinsamkeiten gibt, um in Jamesons Analyse behandelt zu werden. Die Parodie hängt, so Jameson, von einer ganzen Reihe modernistischer Quellen ab, die allerdings alle versiegt sind: das individuelle Subjekt, dessen »persönlicher«, idiosynkratischen Stil, wie Jameson ironisch bemerkt, seine Imitation überhaupt erst möglich machte; ein starkes historisches Bewusstsein, das als sein notwendiges Gegenstück das Vertrauen in wirklich zeitgenössische Formen des Ausdrucks besitzt; und eine Verpflichtung auf ein kollektives Projekt, die das Schreiben motiviert und ihm ein politisches Ziel gibt. Mit deren Verschwinden, so legt Jameson nahe, verschwindet auch der Raum der Parodie. Der individuelle Stil macht einem »Spielfeld einer stilistischen und diskursiven Heterogenität ohne Norm« Platz, so wie auch der Glauben an den Fortschritt und an die Möglichkeit, neue Zeiten in neuen Begriffen zu beschreiben verfällt, um durch die »Imitation toter Stile« ersetzt zu werden, »der Rede durch all die Masken und Stimmen, die im imaginären Museum einer neuen weltweiten Kultur lagern«. Der »neue Analphabetismus« des Spätkapitalismus verweist wiederum auf »Abwesenheit eines großen, kollektiven Ziels.« Das Ergebnis einer solchen tiefenlosen Erfahrung ist, laut Jameson, die Gegenwart der Vergangenheit überall zur selben Zeit und ein Schwinden des historischen Bewusstseins; wir leben in einer »geschichtslosen Welt« die zugleich unfähig ist, irgendetwas anderes als eine neu aufgewärmte Version der Vergangenheit darzustellen. Der Pastiche tritt an die Stelle der Parodie:
»In dieser Situation findet die Parodie, verstanden als parodistischer Umgang mit einem Original, kein Betätigungsfeld mehr. Sie hat sich überlebt, und die seltsam neue Erscheinung des Pastiche, die Imitationskunst, nimmt langsam ihren Platz ein. Pastiche und Parodie sind Imitationen einer eigentümlichen Maske, Sprechen in einer toten Sprache.« 8
Entgegen Jamesons eigener Aussagen über Ballard 9, besteht ein wichtiger Unterschied zwischen Ballards Text und dem Pastiche in der Abwesenheit jeglicher »Nostalgie« oder eines »nostalgischen Modus« – die in anderen postmodernen Texten ständig präsent sind, wie Jameson zeigt. Tatsächlich machen die textlichen Innovationen Ballards – wie man im Seitenlayout von Die Schreckensgalerie sieht – zu einer Art Anomalie in Jamesons Analyse; in diesem Sinne scheint Ballard eher zum Modernismus, wie Jameson ihn versteht, zu gehören. In anderer Hinsicht jedoch – besonders bezüglich des Verfalls von individueller Subjektivität und dem Scheitern kollektiven politischen Handelns – ist Ballard emblematisch für Jamesons Postmoderne. Anders als der Pastiche imitiert Ballard jedoch keinen »persönlichen oder einzigartig idiosynkratischen Stil«. Der Stil, den Ballard in Warum ich Ronald Reagan ficken möchte imitiert – ein Stil, der dem gesamten Roman eigen ist – besteht gerade im Fehlen jeder Einzigartigkeit: Wenn es irgendwelche Idiosynkrasien gibt, dann gehören sie zum Register der (pseudo-)wissenschaftlichen Reportage, nicht zur Persönlichkeit eines individuellen Subjekts. Die Tatsache, dass der Text von einer politischen Führungspersönlichkeit handelt, weist auf die Abwesenheit einer expliziten – und wenn es um Satire oder Parodie geht, impliziten – politischen Teleologie in Ballards Schriften hin. In diesem Sinn ist Warum ich Ronald Reagan ficken möchte anders als Jamesons Pastiche, »frei von den Hintergedanken der Parodie«.
Darin unterscheidet sich Ballards Text von einem klassischen Stück Satire wie Jonathan Swifts Ein bescheidener Vorschlag . Ein bescheidener Vorschlag ist ein paradigmatischer Fall dessen, was Joyce »kinetische« Kunst genannt hat, eine Kunst, die unter spezifischen politischen und kulturellen Umständen entstanden ist und ein bestimmtes Ziel im Blick hat, nämlich das Publikum zum Handeln zu bringen. Swifts politische Motive – seine vernichtende Kritik an einigen grausamen englischen Reaktionen auf die Hungersnot in Irland – zeichnen sich durch einen bestimmten stilistischen und thematischen Exzess aus (ein Exzess, der einigen Lesern von Swifts Text vollkommen entgangen ist, die ihn vielmehr für bare Münzen nahmen). Ballards Text hingegen, der auch unter spezifischen soziokulturellen Umständen entstanden ist, ist gekennzeichnet von Flachheit. Darin geht er (sogar) einen Schritt über Burroughs hinaus. Denn trotz ihres sprachlichen Einfallsreichtums bleiben Burroughs’ humorvolle »Routinen« wie die vom »vollkommenen, von allen Ängsten befreiten Amerikaner« 10durch ihre Übertreibung und ihre klare politische Agenda vollständig in der klassischen Tradition der Satire: Indem Burroughs eine Reihe exzessive Tropen verwendet, verspottet er die amoralische Haltung der amerikanischen Technologiewelt. Im Gegensatz dazu »fehlt« Ballards Texten ein Plan für die Leser oder den von Jameson beschriebenen »Hintergedanken«; der parodierende Text beruhte immer auf der Wichtigkeit des Parodisten dahinter, dessen implizit angezeigten Haltungen und Meinungen, Warum ich Ronald Reagan ficken möchte hingegen ist so kalt und anonym wie der Text, den er imitiert. Während wir Burroughs über den »vollkommenen, von allen Ängsten befreiten Amerikaner« und den absurden Exzess der Wissenschaftler lachen hören können, ist die Reaktion Ballards auf die Wissenschaftler, die er imitiert, unlesbar. Was möchte »Ballard«, das der Leser fühlt: Abscheu? Amüsement? Es bleibt unklar und ist auch, wie Baudrillard mit Blick auf Crash 11 gesagt hat, irgendwie unaufrichtig von Ballard, dass er seine Texte – durch einleitende Bemerkungen – übercodiert und mit all dem traditionellen Ballast der »Warnung« versieht, dem sie sich selbst offenkundig entziehen. Die Haltung, die Ballard in Warum ich Ronald Reagan ficken möchte annimmt, ist nicht die der (satirischen) Übertreibung, sondern eine Art (simulierte) Extrapolation. Schon allein das Genre der Umfrage oder der Untersuchung macht, wie Baudrillard zeigt, die Frage unbeantwortbar und unentscheidbar.
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