Mark hatte größere Ressourcen der »Nichtung« – sein Begriff für den gnadenlos Zug des Kritikers oder des Künstlers, andere Herangehensweise abzulehnen und sie auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen. (Diese Abschätzigkeit war ein Merkmal seiner Autorenpersona, aber ich sollte hinzufügen, dass er als Mensch großzügig und offen war.) Der Improvisationsmusiker John Butcher hat diese Haltung aus der Perspektive des Künstlers in einem Interview mit Wire 2008 so beschrieben:
»Diese Musik befindet sich in Gegnerschaft zu anderer Musik. Sie koexistiert nicht friedlich mit allen anderen. Die Tatsache, dass ich mich dafür entschieden habe, impliziert, dass ich nicht wertschätze, was du da machst. Meine Praxis stellt deine Praxis infrage. Das ist es, was unser musikalisches Denken und unsere Entscheidungen antreibt.«
Für Fisher und Butcher war die »Gegnerschaft« das Wahrzeichen der Ernsthaftigkeit, ein Zeichen, dass etwas auf dem Spiel steht und Differenzen es wert sind, ausgetragen zu werden. Es ist vor allem diese negative Fähigkeit – die Willensstärke, zu diskreditieren und zu verwerfen –, die Musik und Kultur dazu bringt, sich vorwärts zu bewegen, anstatt in halbseidener Toleranz und Anything-Goes-Attitüde zu verharren. Wenn Musik eine Form der »aktiven Kritik« ist, dann ist Musikkritik eine Art klangloser Beitrag zur Musik.
Um meine Gedanken zu ordnen und meinen Kopf freizukriegen, bevor ich diesen Text schreibe, bin ich spazieren gegangen. Es lag etwas Englisches in diesem hellen und schönen Februarmorgen in Südkalifornien – ein stürmischer Wind trieb riesige Wolken über den Himmel, das wattene Weiß durchbrochen von hellen Sonnenstrahlen, so dass irgendwie diese eigentümliche Qualität entstand, die ich mit den wechselhaften Tagen in Großbritannien verbinde. Ich hätte Mark gern Los Angeles gezeigt, ein paar andere Seiten der Stadt (Mark hatte ein paar feststehende Vorstellung von L.A., die mehrheitlich aus Baudrillards Amerika und Michael Manns Heat stammten). Und ich hätte mir sehr gern Suffolk zeigen lassen, diese Küstenregion, die Mark so sehr liebte.
Die Zeit jedoch, die wir tatsächlich physisch miteinander verbracht haben, war schmerzhaft kurz. Es ist gut möglich, dass wir uns weniger als zehn Mal getroffen haben. Die meiste Zeit, die wir uns kannten, haben Mark und ich auf unterschiedlichen Kontinenten gelebt. Das stiftete eine gewisse Reinheit in unserer Freundschaft, die im Grunde nur auf dem geschriebenen Wort beruhte: Es gab viel Kontakt über E-Mails, Debatten auf Blogs oder Internetforen … aber wir haben selten zusammen Zeit verbracht.
Das bedeutet, dass dieser Text nur ein unvollständiges Portrait von Mark sein kann, sowohl als öffentliche Figur wie als Mensch. Wir kannten uns hauptsächlich als virtuelle Kollegen und inoffizielle Kollaborateure (wir haben niemals etwas zusammen geschrieben, aber in verschiedenen Diskussionen haben wir eine Einheitsfront gebildet, beispielsweise bezüglich des Hardcore-Kontinuums, der Hauntology und der Retro-Kritik). Vor allem kannte ich ihn als Leser. (Auch hier war es irritierend, von jemandem Fan zu sein, der einmal ein Fan von mir war). Aber ich weiß, dass es noch viele andere Mark Fishers gab. Mark der Lehrer, Mark der Sohn, Ehemann und Vater. Ich habe ihn fast ausschließlich in den verzweigten Terrains des Diskurses getroffen – des häufig recht hitzigen Diskurses – und ihn recht selten im Alltag getroffen. Ich hätte sehr gern die anderen Marks kennengelernt – Mark, wie er spielt, wie er lacht, sich entspannt, Zeit mit seiner Familie verbringt.
Das letzte Mal, dass ich Mark persönlich getroffen habe, war im September 2012, bei dem Musikfestival Incubate im niederländischen Tilburg. Das Thema des Festivals war Do-it-yourself. Ich hielt die Keynote und diskutierte verschiedene Aspekte der DIY-Ideologie und fragte mich, ob sich dieses kulturelle Ideal nicht vielleicht überlebt hat. Mark war als nächster dran und entschied sich spontan, seinen Vortrag zu ändern und stattdessen frei zu reden und anzuschließen an dem, worüber ich gesprochen hatte. Es war wie in den alten Blogzeiten, außer dass es diesmal in Echtzeit und in einem echten Raum geschah. Während ich einen Text abgelesen hatte, vermischt mit der einen oder anderen improvisierten Bemerkung, sprach Mark ohne Manuskript, schöpfte aus dem formidablen Arsenal seines Kopfes, formulierte neue Gedanken und stiftete elektrisierende Verbindungen. Sein Auftritt war typisch für seine Kollegialität und seine geistige Beweglichkeit. Später verglich es Mark mit einem Stand-up-Programm – er fügte hinzu, dass es ein Problem sei, dass Institutionen und Individuen begannen, seine Vorträge auf Video aufzunehmen und sie bei YouTube hochzuladen, da die Leute so zu vertraut mit seinem Material werden. Ich glaube jedoch nicht, dass das jemals ein Problem war: Mark war eine unerschöpfliche Quelle der Einsichten und des Überblicks, er sprudelte vor neuen Wahrnehmungen und originellen Formulierungen, einprägsamen Maximen und treffenden Aphorismen. Er hatte immer noch etwas zu sagen.
Aber dann hatte Mark keine Zeit mehr.
Ich spüre seine Abwesenheit als Freund, als Genosse, aber vor allem als Leser. Es gibt viele Tage, an denen ich mich frage, was Mark über dieses oder jenes wohl gesagt hätte. Mir war nicht klar, wie abhängig ich von den Überraschungen und Herausforderungen war, die Mark mir unregelmäßig bereitet: der Reiz und Funke seines Schreibens, die Klarheit, die er in so gut wie alles bringen konnte. Mir fehlt Marks Geist. Es fühlt sich einsam an.
Simon Reynolds, 2018
1. Warum ich das Blog begonnen habe? Weil es mir als ein Raum erschien – der einzige Raum –, in dem sich eine Art Diskussionskultur erhalten kann, die einst in Musikzeitschriften und Kunstschulen begann, die aber inzwischen so gut wie ausgestorben ist, was meines Erachtens nach schreckliche kulturelle und politische Folgen hat. Mein Interesse an Theorie entstand fast ausschließlich wegen Autoren wie Ian Penman und Simon Reynolds, deswegen gab es für mich schon immer eine enge Verbindung zwischen Theorie und Pop/Film. Ich will keine rührseligen Geschichten erzählen, aber für jemanden mit meinem Hintergrund konnte dieses Interesse kaum irgendwo anders herkommen.
2. Aus diesen Gründe hatte ich immer ein, ähm, schwieriges Verhältnis zur Universität. So wie ich Theorie verstanden habe – nämlich vor allem vor dem Hintergrund der Popkultur – wurde sie in der Universität eigentlich verabscheut. Fast immer, wenn ich mit der Akademie zu tun hatte, war das eine im wörtlichen – und klinischen – Sinne deprimierende Erfahrung.
3. Ccru hat sich unter schwierigen Bedingungen als eine Art Schnittstelle für Popkultur und Theorie gebildet. Die ganze Idee einer Pulp-Theorie bzw. von Theorie-Literatur war/ist eine Art und Weise, Theorie durch popkulturelle Formen hindurch, nicht »darüber«, zu betreiben. Nick Land war hier die entscheidende Figur, insofern als er einige Zeit lang eine Stellung »innerhalb« eines philosophischen Instituts besetzen konnte, während er sich intensiv den Verbindungen nach außen widmete. Kodwo Eshun ist jemand, der diese Verbindungen in die andere Richtung stiftete – aus der Popkultur IN abstruse Theorie hinein. Was wir jedoch alle teilten, war die Ansicht, dass beispielsweise eine Musik wie Jungle bereits in sich enorm theoretisch ist; es brauchte keine Akademiker, um sie zu beurteilen oder darüber zu dozieren – die Rolle des Theoretikers ist die des Verstärkers.
4. Der Begriff k-punk kam aus den Zusammenhängen von Ccru. »K« war der libidinös bevorzugte Ersatz für das in Kalifornien oder bei Wired so beliebte »cyber« (das Wort Kybernetik geht auf das griechische Wort kyber zurück). Ccru verstand Cyberpunk nicht als (früher einmal angesagtes) Literaturgenre, sondern als distributive kulturelle Tendenz, die durch neue Technologien ermöglicht wird. In ähnlicher Weise meint »Punk« keinen Musikstil, sondern ein Zusammentreffen jenseits legitimer bzw. legitimierter Räume: Fanzines waren wichtiger als die Musik, insofern als sie eine ganze Reihe anderer, ansteckender Aktivitäten hervorbrachten, die das Bedürfnis nach einer zentralisierten Kontrolle zerstörten.
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