Smash Hits entstand, als das Glam-Kontinuum gerade zu Ende ging. Das Magazin übernahm vom Punk den am wenigsten Nietzscheanischen Affekt, nämlich seine »Respektlosigkeit«. Bei Smash Hits schlug sich das in einer zwanghaften Trivialisierung nieder, verbunden mit der gutgelaunten Entmystifizierung des Starkultes. Hinter dem albernen Surrealismus von Smash Hits verbarg sich ein solider Common Sense sowie das widersprüchliche Begehren, seine Idole nicht nur besitzen, sondern auch töten zu wollen. Heat war der Nachfolger von Smash Hits und machte es überflüssig. Es brauchte keinen (Pop-) Vorwand mehr, nun konnte man sich einfach direkt mit Celebrities beschäftigen, ohne sich mit den peinlichen Träumen des Pop beschäftigen zu müssen. Chantelle ist die logische Schlussfolgerung dieses Prozesses: Anti-Pop und ein Anti-Idol.
Nietzsche ging davon aus, dass die Art von Nivellierung, für die Chantelle steht, unvermeidlich und notwendig zu jeder Form des Egalitarismus dazugehört. Die Popkultur war jedoch einmal der Bereich, in dem man sehen konnte, dass jeder echte Egalitarismus quer zu solcher Nivellierung steht. Über die Gothic-Kultur habe ich letztes Jahr [2005] geschrieben, dass es sich um eine »paradoxe egalitäre Aristokratie handelt, in der Mitgliedschaft nicht durch Geburt oder Schönheit garantiert wird, sondern durch die Dekoration des Selbst«. Ob wir von der Popkultur noch einmal lernen, dass Egalitarismus dem Willen zur Größe und einer bedingungslosen Forderung nach dem Ausgezeichneten nicht feindlich gegenübersteht, sondern auf ihnen beruht?
Gothic Ödipus:
Subjektivität und Kapitalismus in Christopher Nolans
Batman Begins 71
Batman hat mehr als genug zur »Dunkelheit« beigetragen, die wie ein pittoreskes Sargtuch über der gegenwärtigen Kultur liegt. »Dunkel« meint sowohl einen hervorragend zu vermarktenden ästhetischen Stil als auch einen ethischen, oder besser gesagt, anti-ethischen, Standpunkt, eine Art Hochglanz-Nihilismus, dessen theoretische Grundannahme die Verleugnung der Möglichkeit des Guten ist. Gotham, vor allem wie es Frank Miller in den 1980er Jahren neu erfunden hat, ist gemeinsam mit Gibsons Sprawl und Ridleys L.A. die wichtigste geomythische Quelle dieses Trends. 72
Millers Einfluss auf die Comicwelt war höchstens ambivalent. Man bedenke, dass sein Aufstieg mit der absoluten Unfähigkeit der Superheldencomics, irgendwelche neuen Charaktere mit mythischer Resonanz hervorzubringen, zusammenfällt. 73Die »Reife«, für die Miller gefeiert wurde, korrespondiert der depressiven und introspektiven Adoleszenz seiner Comics, und die schlimmste Sünde ist für ihn, wie für alle Erwachsenen, das Übermaß. Daher sein charakteristischer wortkarger, deflationärer Stil: Man denke an all die bedeutungsschweren Seiten ohne Dialog, auf denen so gut wie nichts passiert und vergleiche sie mit der überschäumenden Spritzigkeit der typischen Marvel-Comics aus den 1960er Jahren. Millers Comics strahlen die brütende Stille eines launischen, fünfzehnjährigen Jungen aus. Es kann keinen Zweifel geben: die Stille bedeutet .
Miller bediente das unredliche, männlich-adoleszente Bedürfnis, sowohl Comics zu lesen als auch sich ihnen überlegen zu fühlen. Seine Entmythologisierung schuf aber unvermeidlich eine neue Mythologie, eine, die sich der verdrängten Mythologie überlegen wähnte, die aber in Wahrheit eine vollkommen vorhersehbare Welt der »moralischen Ambivalenz« darstellt, in der alles »Grau in Grau« ist. Es gibt Gründe, skeptisch gegenüber der von Miller eingebrachten, karikaturenhaften nihilistischen Leere zu sein, dem Noir light, der in Filmen und Büchern längst zum Klischee geworden ist. Die »Dunkelheit« seiner Perspektive ist hingegen eigentümlich beruhigend und ermutigend, und zwar nicht nur aufgrund der Sentimentalität, die sie nie los wird. (Millers »hartgesottene« Welt erinnert nicht so sehr an Noir, sondern an dessen Simulation in Dennis Potters Singing Detective , der Tagtraum-Phantasie eines erfolglosen Schriftstellers, voll von Misogynie und Misanthropie, durchzogen von extremen Selbsthass.)
Es ist kaum überraschend, dass Millers Art des Realismus in einer Zeit in den Comics auftauchte, da sich das Wirtschaftsmodell Reagans und Thatchers als die einzige Lösung für die Probleme der USA und Großbritanniens präsentierte. Beide behaupteten, uns von den »tödlichen Abstraktionen« der »Ideologien der Vergangenheit« erlöst zu haben. 74Sie weckten uns aus den angeblich falschen und gefährlich verblendeten Träumen der Gemeinschaft und machten uns wieder mit der »essenziellen Wahrheit« vertraut, dass der Mensch nur durch sein eigenes, animalisches Interesse motiviert werden kann.
Diese Versatzstücke gehören zu einem impliziten ideologischen Gerüst, das wir kapitalistischer Realismus nennen können. Auf der Grundlage einer Reihe von Annahmen – Menschen folgen ausschließlich dem Eigeninteresse, (soziale) Gerechtigkeit kann niemals erreicht werden – entwirft der kapitalistische Realismus ein Bild dessen, was »möglich« ist.
Für Alain Badiou indiziert der Aufstieg dieses beschränkten Möglichkeitssinns eine Phase der »Restauration«. Wie Badiou in einem Interview mit der Zeitschrift Cabinet erklärte, »meint ›Restauration‹ in Frankreich die Phase der Rückkehr des Königs 1815, nach der Revolution und nach Napoleon. Wir befinden uns in einer solchen Phase. Wir sehen den liberalen Kapitalismus und sein politisches System, den Parlamentarismus, als die einzig natürliche und annehmbare Lösung.« 75Laut Badiou tritt die Verteidigung dieser politischen Konstellation als ein Senken der Erwartungen auf:
»Wir leben in einem Widerspruch: Es herrschen brutale, zutiefst ungerechte Zustände – in denen jede Existenz allein in Geld gemessen wird – und diese Zustände werden uns als Ideal angeboten. Aber um ihren Konservatismus zu rechtfertigen, können die Parteigänger der herrschenden Ordnung diese Zustände nicht wirklich als ideal oder wunderbar bezeichnen. Also haben sie sich entschieden, einfach zu sagen, dass der ganze Rest schrecklich ist. Natürlich, so sagen sie, leben wir nicht in einer Welt des Guten. Doch zum Glück leben wir auch nicht in einer Welt des Bösen. Unsere Demokratie ist nicht perfekt. Aber sie ist immer noch besser als eine brutale Diktatur. Kapitalismus ist ungerecht. Aber er ist nicht so ein Verbrechen wie der Stalinismus. Wir lassen zwar Millionen Afrikaner an AIDS sterben, aber wir sind keine rassistischen Nationalisten wie Milošević. Wir töten Iraker mit unseren Flugzeugen, aber wir schneiden ihnen nicht mit Macheten die Kehlen auf wie in Ruanda, und so weiter.« 76
Kapitalismus und die liberale Demokratie sind »ideal« genau in dem Sinne, als sie »das Beste« sind, »was zu erwarten ist«, will sagen, das am wenigsten Schlimme . 77Etwas davon hallt in Millers Darstellung des Helden in Die Rückkehr des dunklen Ritters und Batman – Das erste Jahr nach: Batman ist vielleicht autoritär, gewalttätig und sadistisch, aber in einer Welt endemischer Korruption ist er die am wenigsten schlimme Option. (Inmitten einer allgegenwärtigen Bestechlichkeit könnten solche Eigenschaften sogar notwendig sein.) Ganz im Sinne der Darstellung Badious ist es in Millers Gotham unmöglich geworden, die Existenz des Guten anzunehmen. Das Gute hat keine positive Präsenz – das einzige Gute, das es gibt, muss mit Verweis auf ein selbsterklärendes Böses bestimmt werden. Das Gute, mit anderen Worten, ist die Abwesenheit eines Bösen, dessen Existenz offen auf der Hand liegt.
Das Faszinierende der jüngsten Batman -Verfilmung, Batman Begins (unter der Regie von Christopher Nolan), liegt in der zaghaften Rückkehr zur Frage nach dem Guten. Der Film gehört immer noch zur »Restauration«, insofern als er sich nichts jenseits des Kapitalismus vorstellen kann: Wie wir sehen werden, dämonisiert Batman Begins eine bestimmte Form des Kapitalismus – das postfordistische Finanzkapital – und nicht den Kapitalismus an sich . Und dennoch lässt der Film die Möglichkeit eines Handelns offen, das der kapitalistische Realismus verneint.
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