Nolans Auseinandersetzung mit Batman ist keine Neuerfindung, sondern eine Aneignung des Mythos, eine große Synkrisis, die die ganze Geschichte der Figur einbezieht. 78Erfreulicherweise ist in Batman Begins nichts »Grau in Grau«, sondern es gibt vielmehr konkurrierende Versionen des Guten. In Batman Begins wird der von Christian Bale dargestellte Bruce Wayne von einer ganzen Reihe Vaterfiguren verfolgt (oder der fast vollständigen Abwesenheit von Müttern: Seine Mutter sagt fast kein einziges Wort), jede mit ihrer eigenen Version des Guten. Zunächst gibt es den biologischen Vater, Thomas Wayne, ein rosig weichgezeichnetes, moralisches Vorbild, die reinste Personifizierung des philanthropischen Kapitals, der »Mann, der Gotham erbaut hat«. Gemäß des schon in den Detective Comics der 1930er formulierten Batman-Mythos, wird Wayne bei einem willkürlichen Überfall getötet und überlebt lediglich als moralisches Gespenst, das das Gewissen des Waisenkindes belastet. Dann ist da R’as Al Ghul, der in Nolans Film als eine Art hypergläubischer ( hyperstitious ) 79Mentor-Guru figuriert, ein terroristischer Charakter, der den gnadenlosen, ethischen Code repräsentiert, der das komplette Gegenteil von Thomas Waynes wohlmeinenden Paternalismus ist. Unterstützt wird Bruce in seinem Kampf zwischen zwei Vaterfiguren (ein Kampf, den er in seiner eigenen Psyche austrägt) von einer dritten, den von Michael Caine gespielten Alfred, den »mütterlichen« Fürsorger, der dem jungen Bruce bedingungslose Liebe schenkt.
Der Kampf zwischen den Vätern wird verdoppelt durch den Konflikt zwischen Angst und Gerechtigkeit, der im Zentrum des Batman -Mythos steht, seit er 1939 das erste Mal erschien. Die Herausforderung für Bruce Wayne besteht in Batman Begins nicht nur darin, die Angst zu besiegen, die von Millers Erfindungen, dem Unterweltboss Falcone und Scarecrow in Form eines »Waffenhalluzinogens« eingesetzt wird, sondern auch Gerechtigkeit zu finden, was, wie der junge Bruce Wayne herausfinden muss, nicht dasselbe ist, wie Rache zu üben.
Von Anfang an bestand der Batman-Mythos darin, die Angst in den Dienst der heroischen Gerechtigkeit zu stellen. Und so widmet sich Christopher Nolans Bruce Wayne der Aufgabe, die Angst gegen die zu richten, die sie verbreiten, ganz wie die Ursprungsgeschichte in den Detective Comics von 1939 Bruce bekanntermaßen sagen lässt: »Kriminelle sind ein abergläubisches, feiges Pack, also muss meine Verkleidung ihre Herzen mit Angst erfüllen.« Und trotzdem wird diese Ursprungsgeschichte bei Nolan sowohl ödipaler als auch anti-ödipaler als in den ersten Comics. Dort entscheidet sich Bruce für den Namen »Batman«, als eine Fledermaus in sein Zimmer fliegt. Nolans Version dieser Urszene ist deutlich anders; sie findet außerhalb seines Zuhauses statt, jenseits des Reichs des Ödipalen, in einer Höhle auf dem weitläufigen Anwesen Wayne Manor und es taucht nicht eine Fledermaus auf, sondern eine ganze (deleuzianische) Horde. 80Doch die Nähe des Namens Batman zu einigen Fällen von Freud – vor allem der »Rattenmann«, aber auch der »Wolfsmann« – ist kein Zufall. Batman bleibt eine vollständig ödipale Figur (woran Batman Begins keinen Zweifel lässt). 81 Batman Begins verknüpft das Tier-werden mit dem Ödipalen, indem er Bruce’ Angst vor Fledermäusen als eine der Ursachen für den Tod seiner Eltern darstellt. Bruce ist in der Oper, als eine Fledermaus auf der Bühne ihn dazu treibt, seine Eltern so lange zum Verlassen der Oper zu drängen, bis sie nachgeben und draußen getötet werden.
Das Moment des Schauers und das Moment des Ödipalen waren im Batman-Mythos von Beginn an verbunden, schon auf den zwei Seiten der Detective Comics , in denen Batmans Geschichte erzählt wird. Kim Newman schreibt, dass Waynes Epiphanie – »Ich muss eine schreckliche Kreatur der Nacht werden … Ich muss eine Fledermaus werden … ein seltsames Geschöpf der Nacht« – »unterschwellige« Zitate von Dracula (»Geschöpfe der Nacht, welch süße Musik sie machen«) und Das Cabinet des Dr. Caligari (»Du sollst Caligari werden«) enthält. 82Diesen drei Bildern folgen drei im oberen Teil der Seite, in denen der geschockte Bruce seine toten Eltern betrachtet (»Vater, Mutter (…) Tot, sie sind tot.«) und auf ihren Tod »schwört«, sie zu »rächen, indem ich für den Rest meines Lebens Verbrecher bekämpfe«. Batman ist ganz bewusst als eine Figur im Stile des Schauerromans entworfen, als ein »merkwürdiges Geschöpf der Nacht«, aber eines, das »die Nacht« gegen die Verbrecher wendet, die sich in ihr verbergen.
Nicht nur war Batman – vermittelt über die Horrorfilme von Universal – tief vom deutschen Expressionismus beeinflusst, sondern auch vom Film Noir, der, wie die Batman-Comics, in den späten 1930er und frühen 1940er Jahren entstand. (Wie wir bereits gesehen haben, kann Millers Batman als eine in vieler Hinsicht postmoderne Variante dieser Linie gelten.) Eine Bemerkung von Alenka Zupančič weist uns auf eine mögliche, verborgene Quelle für die Verbindung zwischen Batman und dem Film Noir hin: Wieder ist es Ödipus. »[I]m Gegensatz zu Hamlet «, schreibt Zupančič,
»wurde über die Ödipusgeschichte oft gesagt, dass sie zum Genre des Whodunnits gehört. Manche gingen sogar noch weiter und sahen in König Ödipus den Prototypen des Noir -Genres. So erschien König Ödipus in der ›Noir-Reihe‹ des französischen Verlags Gallimard (›aus dem Mythos übersetzt‹ von Didier Lamaison).« 83
Batman, der Superheld-Detektiv, tritt in die Fußstapfen des ersten Detektivs, Ödipus.
Letztlich besteht das Problem für Batman allerdings darin, dass er Ödipus bleibt, ohne den Ödipuskomplex bewältigt zu haben. Wie Zupančič herausstellt, geht es im Ödipuskomplex um die Diskrepanz zwischen dem Symbolischen und dem empirischen Vater: Der symbolische Vater ist die Verkörperung der symbolischen Ordnung selbst, der ehrwürdige Träger von Bedeutung und Vertreter des Gesetzes; der empirische Vater ist der »einfache, mehr oder weniger brave Mann«. Für Zupančič besteht der gewöhnliche Verlauf der »typischen Genese von Subjektivität« darin, dass das Kind zuerst auf den symbolischen Vater trifft und erst dann lernt, dass diese mächtige Figur ein »einfacher, mehr oder weniger braver Mann« ist. Bei Ödipus, so Zupančič, verläuft dieser Prozess aber genau umgekehrt. Ödipus trifft zunächst auf einen »unhöflichen, alten Mann auf der Straße« und erfährt erst später, dass dieser »einfache Mensch«, dieses »vulgäre Wesen« sein Vater war. Deswegen geht »Ödipus den Weg der Initiation (der ›Symbolisierung‹) rückwärts und bemerkt so die radikale Kontingenz des Symbolischen.« 84
Für Bruce Wayne gibt es aber keine Diskrepanz zwischen dem Symbolischen und dem Empirischen. Thomas Waynes früher Tod bedeutet, dass er in der Psyche seines jungen Sohnes als der mächtige Vertreter des Symbolischen eingefroren ist; er wurde niemals auf den Status eines einfachen Mannes »entsublimiert«, sondern er bleibt ein moralisches Vorbild – tatsächlich ist er der Vertreter des Gesetzes als solchem, er musst gerächt werden, aber er kann ihm niemals gleichkommen. In Batman Begins ist es der Auftritt von R’as Al Ghul, der die ödipale Krise auslöst. Der junge Bruce Wayne ist davon überzeugt, dass der Tod seines Vaters seine Schuld ist, doch Al Ghul versucht ihn davon zu überzeugen, dass die Schuld am Tod der Eltern bei Bruce’ Vater liegt, weil der gutmütige und liberale Thomas Wayne nicht gehandelt hat; er war ein willensschwacher Versager. Bruce weigert sich jedoch, diese Initiation mitzumachen und hält dem »Namen des Vaters« die Treue, während Al Ghul eine Figur des Exzesses und des Bösen bleibt.
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