Offene Fragen hingegen „öffnen“ den Prozess von Nachdenken und Nachspüren. Wo ich nicht nur vor die Wahl zwischen einem Ja und einem Nein gestellt bin, muss ich nachdenken, in mich gehen, mich konzentrieren. Dadurch werden – wie nicht anders zu erwarten – in unserem Gehirn die dazugehörigen Regionen angesprochen.
Offene Fragen beginnen üblicherweise mit einem W: Was, wer, wie, wodurch, woher usw. Diese Fragewörter lenken die Aufmerksamkeit in die Tiefe, der Mensch beginnt, in sich hineinzuhorchen. Durch sie werden Situationen plastisch, die Erinnerung wird angeregt und man ist eingeladen, immer mehr mit sich selbst in Kontakt zu kommen. Zwei Fragewörter leisten dabei die Hauptarbeit: das Was und das Wie. Gerade der Beginn eines Gesprächs ist meist gekennzeichnet durch das Was: Was hat sich ereignet, was beschäftigt Sie? Und auch: Was sind die Fakten, die Umstände? Das heißt, durch das Was suchen wir weitgehend Sachinformationen. Auch diese können durchaus einen ersten Beitrag dazu leisten, Gehirnregionen anzuregen, weil die Beschreibung der Situation einerseits die linke Hemisphäre zum Berichten benutzt, andererseits die Situationen ja auch bildhaft wachruft, also die rechte Hälfte einbezieht.
Noch tiefer führt das Wie. Die Frage „Wie hat sich das abgespielt?“ lässt geradezu ins Nachdenken eintauchen. „Wie ist Ihnen dabei zumute?“ oder „Wie geht es Ihnen damit?“ – solche Fragen schlagen auch gleich die Brücke ins Nachfühlen, also zur rechten Hirnhälfte.
W-Fragen sind offensichtlich ein geeigneter Generalschlüssel für seelische Tiefen – mit einer Ausnahme: Viel benutzt und selten nützlich ist das Warum!
In unserem Sprachgebrauch kann das Warum in zweierlei Hinsicht einem therapeutischen Prozess abträglich sein: Erstens hören viele Gefragte aus dem Warum einen unterschwelligen Vorwurf heraus – und manchmal ist es ja auch so gemeint („Warum kommst du erst jetzt?“ – „Warum hast du meine Post geöffnet?“ – „Warum machst du das?“). Wenn es aber nicht als Vorwurf gemeint ist, kann man diesen Eindruck vermeiden durch die Wahl einer anderen Formulierung: „Wo hast du denn gesteckt?“ – „Was hat dich veranlasst, meine Post zu öffnen?“ – „Wozu machst du das?“ – solche Fragen drücken zwar etwas ganz Ähnliches aus wie das Warum, transportieren aber eine andere „Note“ und wecken weitaus seltener Assoziationen zu Vorwürfen.
Ein zweiter Grund, mit dem Warum sparsam zu sein: Wer nach dem Warum gefragt wird, beginnt üblicherweise sofort, in der linken Gehirnhälfte eher oberflächlich rationale Gedankenspuren abzufahren, von reaktiven Rechtfertigungen angefangen bis zu angestrengten Überlegungen – ja, warum eigentlich? Tritt an diese Stelle beispielsweise die Frage: „Wie ist es dazu gekommen …“, dann werden Abläufe rekonstruiert, der Denkprozess und damit auch die Antwort wird dadurch plastisch.
Wie, was, wodurch und ihre Verwandten könnte man also als „plastische“ Fragewörter bezeichnen – und diesen lässt sich das Warum nicht zuordnen, weil es auf der eher abstrakten, linearen Ebene bleibt.
Damit ist zum Thema Fragestil bereits das Wesentliche abgehandelt. Zwar sind kluge Fragen entscheidende Anstöße in einer therapeutischen oder beratenden Begleitung, doch wir können im Gespräch noch auf andere Weise zum Resonanzkörper werden und das Innere eines Patienten zum Klingen zu bringen:
Der zweite Schlüssel: „Spiegeln“
Die Entdeckung der sogenannten Spiegelneuronen hat neurowissenschaftlich bestätigt, was menschliche Erfahrung schon immer wusste, nämlich dass wir tatsächlich mit einem anderen Menschen mitfühlen und uns in gewissem Maße in ihn hineinversetzen können. Für unsere Zuarbeit zum Stress Release stehen wir somit auf einem soliden Fundament, wenn wir unserem Gegenüber Worte, Bilder, Assoziationen und Empfindungen zur Verfügung stellen, die während eines Gesprächs in uns auftauchen.
Typischerweise „spiegelt“ der Therapeut in drei Versionen:
1. Er drückt das Gehörte noch einmal mit eigenen Worten aus, einmal um den Gesprächspartner prüfen zu lassen, inwieweit er sich richtig verstanden fühlt, und zum anderen, um ihm Gelegenheit zu geben, seine Aussage noch einmal zu überdenken. Diese Spiegelungsfacette kann zugleich Empathiebekundung einschließen („Ich kann gut verstehen, wie Sie sich gefühlt haben, als …“).
2. Als Zweites können Verhaltensweisen während einer Sitzung „gespiegelt“ werden: Körpersprache, Mimik, Stimmlage … Dadurch wird sich der Betroffene leichter bewusst, wo inneres Empfinden und äußeres Verhalten eventuell nicht kongruent sind. (Beispiel: Der Patient erzählt lächelnd über ein erschreckendes Ereignis oder er sitzt immer verkrampfter auf seinem Stuhl, während er von seiner „liebevollen Beziehung zur Mutter“ spricht …) Der Hinweis auf einen solchen Widerspruch kann den Betroffenen in eine bewusstere Selbstwahrnehmung lenken.
3. Bei einer dritten Facette des Spiegelns nimmt der Therapeut eigene Körperreaktionen auf und bringt sie ins Gespräch. Oft spürt der Begleiter nicht zugelassene Gefühle des anderen in sich selbst aufsteigen (psychotherapeutisch als Übertragung bekannt). Sie können bewusst als „Mantel“ angeboten werden, in den der Patient „hineinschlüpfen“ kann, wenn er ihm passt.
Ähnlich anregend können im Gespräch Vergleiche, Metaphern oder kurze Geschichten wirken. Auch hier „spiegelt“ sich etwas vom Patienten, erlaubt ihm jedoch zugleich einen gewissen Abstand. Er ist nicht gezwungen, das unmittelbar mit sich selbst zu identifizieren, sondern kann es sich erst einmal „anschauen“, um zu entscheiden, was davon er sich zu eigen macht. Dabei haben Sprachbilder den Effekt, von vornherein die gewünschten Brücken zur rechten Gehirnhälfte zu schlagen. Sie sind jedoch kein stilistischer Selbstzweck, sondern sollen durch die Analogien etwas deutlicher machen, als es zuvor gewesen ist.
Eine Spiegelung besonderer Art kann das Verständnis von Krankheitssymptomen als Ausdruck seelischer Botschaften sein. Manchmal scheint der Körper bei psychosomatischen Erkrankungen „wortwörtlich“ das auszudrücken, was die Seele des Menschen ohne dieses Hilfsmittel nicht hörbar machen kann. Schon unsere Sprache drückt immer wieder aus, wie sehr Gefühle den Weg in den Körper finden: „Da wird mir übel!“ – „Das macht mir Kopfzerbrechen.“ – „Das liegt mir im Magen.“ – „Davor habe ich Schiss …“ Dem Patienten gegebenenfalls solche Wortspiele anzubieten, die den Blick in den Spiegel des Körpers lenken, kann Brücken zum Verständnis bauen. (Viele Anregungen hierzu finden sich in Rüdiger Dahlkes Buch Krankheit als Symbol.) Während meine Beispiele Gefühlsäußerungen sehr linear mit dem Körper in Verbindung bringen, stehen hinter vielen Erkrankungen ebenfalls oft komplexere seelische Lasten, die es aufzudecken und zu bearbeiten lohnt.
Der dritte Schlüssel: „Herauskristallisieren“
Die größtmögliche Wirkung beim Stress Release scheinen wir zu erzielen, wenn nicht möglichst vieles oder gar „alles“ in Angriff genommen wird, sondern wenn sich die Problemsituation eines Patienten verdichten lässt auf das Kernproblem, das hinter seinen Schwierigkeiten steht. Wenn man mittendrin steckt, wie das ja bei Betroffenen der Fall ist, „sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht“. Wir können hundert Tipps von Eheexperten beherzigen, uns eine gemeinsame Auszeit zu gönnen oder jede Woche einmal 15 Minuten miteinander frei zu reden, aber wir werden in der Regel nur selten einen wirklichen Durchbruch schaffen, solange wir nicht unser verstelltes Reaktionsmuster erkennen, durch dessen Brille wir den Partner sehen.
Die therapeutische Aufgabe, mit dem Patienten immer wieder auf den „springenden Punkt“ zuzuarbeiten, profitiert von Hilfsmitteln wie:
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